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Werkshalle mit Madonna

Dichten als Wettbewerbsvorteil. VW lädt sich Intellektuelle als „Weltenbürger“ ein. Begegnung mit Klaus Kocks, dem VW-Kommunikationsvorstand  ■ Von Volker Weidermann

Manche Manager von VW sagen hinterher: Beim Kocks, da muß man sich zwar diesen Kulturscheiß anhören, aber feiern, das kann er. Bestes Buffet, Trinken bis nachts um vier, und vorher redet halt so ein Dichter.

Klaus Kocks findet das nicht so schlimm. „Auch die nehmen davon was mit. Da bin ich sicher.“ Klaus Kocks ist Mitte Vierzig, Karibik-gebräunt, Schnauzbartträger, dunkles, dauergewelltes Haar, goldene Armbanduhr. Er ist Germanist, hat über Brecht promoviert und ist seit einigen Jahren Kommunikationsvorstand von VW. In dieser Position ist er für das Image des Automobilunternehmens zuständig. Für PR. In dieser Funktion hat er vor einiger Zeit den „Weltenbürger-Verein“ erdacht. Der „Weltenbürger“ soll VW-Managern das gelungene Zusammenspiel fremder Kulturen nahebringen. Zu diesem Zweck lädt der offiziell vom Volkswagenwerk unabhängige Verein in Zusammenarbeit mit der Kulturzeitschrift Lettre International regelmäßig einen Intellektuellen oder Dichter aus mehr oder weniger fernen Weltregionen ein, der – das ist Bedingung – „in mehreren Kulturen gelebt haben“ muß und „diese Erfahrung in seinem Werk zum Ausdruck bringt“.

An diesem Abend ist der bosnische Dichter Dzévad Karahasan zu Gast. Karahasan kommt aus Sarajevo und lebt zur Zeit als Stadtschreiber in Graz. Er war vor der Katastrophe des Krieges in seinem Heimatland der große Sänger des „Wunders des bosnischen Kulturmodells“. Er sprach von der ungeheuren Produktivität von Spannungen, die entstehen, wenn Menschen unterschiedlicher Kulturen zusammenleben und selbstbewußt ihre verschiedenen Identitäten gegeneinander vertreteten. Sarajevo galt ihm als neues Jerusalem. Auch jetzt noch, nach dem schrecklichen Krieg, der die Spannungen zwischen den Kulturen auf das mörderischste instrumentalisierte, hält Karahasan unbeirrt an der Einzigartigkeit des 500 Jahre alten bosnischen Kultursystems fest. Glaubt, daß noch gut weitere 500 Jahre Multikulti in Bosnien bevorstehen.

Über das Engagement der VW- Tochter Skoda in Bosnien wird an diesem Abend nicht weiter gesprochen. Ob eine multikulturelle Belegschaft eingestellt werden wird, ob das gewollt ist, wie das funktionieren kann. Auch das gehört zum Selbstverständnis des Weltenbürger-Vereins: daß Standortfragen oder die Unternehmensstruktur von VW an diesen Abenden keine Rolle spielen. „Wir von VW“, so Kocks, „mischen uns ja auch nicht in das Werk des Dichters ein, da kann der geldgebende Konzern von den Intellektuellen die gleiche Rücksicht erwarten.“ Auch bei Breyten Breytenbach aus Südafrika war das so und bei Yang Lian aus China. Das brauche er beim Ex-taz Mann Frank Berberich, der als Lettre-Herausgeber für die Auswahl der geladenen Autoren zuständig ist, gar nicht zu thematisieren. „Das versteht sich von selbst.“

Zufrieden sieht Kocks in die Runde: An kleinen Bistrotischen sitzen die feinen Gäste des Abends. „Repräsentanten aus Wirtschaft, Kultur und Politik“, heißt es im Programm. Iris Radisch ist da, von der Zeit, Dirk Schümer von der FAZ, der Regierungssprecher der niedersächsischen Landesregierung plaudert mit einem Vertreter von VW. „Sehen Sie“, sagt Kocks, „die wären sonst nicht ins Gespräch gekommen.“ Gefällt es den Gästen aus Politik und Kultur, hat VW später sicher auch was davon.

Aber es geht auch um den Inhalt der Abende. Den multikulturellen Gedanken. Ein schöner Satz von Kocks dazu lautet: „Moral- und Wertvorstellungen werden wettbewerbsrelevant.“ Das heißt erstens, daß VW sich in den Ländern, in denen der Konzern produziert, auf die Kultur des jeweiligen Landes weitestgehend einstellen sollte. Kocks nennt als Beispiel die Madonnenbilder im mexikanischen VW-Werk. „Nach unserem Verständnis und für mich als Atheist grausamer Kitsch. Für die Arbeiter vor Ort aber ungeheuer wichtig. Auf jeden fertiggestellten New Beetle folgt ein kurzes Dankgebet.“ Dies zu akzeptieren und zu fördern sei für die Mitarbeitermotivation und die Produktivität der Standorte ungeheuer wichtig, meint Klaus Kocks. Ora et labora für die Exportbilanz.

Auch den Produktentwicklern tut ein multikulturelles Bewußtsein not: „Produkte und Technologien brauchen nachhaltige Akzeptanz“, so der Kommunikationsvorstand. „Sich kenntnisreich und sensibel in unterschiedlichen Kulturen zu bewegen, wird für zukünftige ökonomische Entscheidungen von ausschlaggebender Bedeutung sein.“ Das heißt: Anpassung an fremde Kulturen, um erfolgreich Produkte zu verkaufen. Schöngeistig ausgedrückt (für die Gäste aus den Feuilletons) heißt das: „Das Fremde nicht als Bedrohung begreifen, sondern als Horizonterweiterung und Bereicherung.“ Vor allem das Wort „Bereicherung“ ist in diesem Zusammenhang doch sehr schön gewählt, nicht?

VW soll, wenn es nach Klaus Kocks geht, eine andere Unternehmenspolitik verfolgen, als es zum Beispiel McDonald's tut. Der Hamburgerkonzern, der in jeden Winkel der Welt exakt die gleichen Produkte trägt und mit seinen Filialen und Betriebsräumen der ganzen Welt seine Unternehmenskultur überstülpt. Für Madonnenbilder ist beim Frühstück bei McDonald's kein Platz. Nach Kocks' Philosophie schadet das am Ende vor allem dem Unternehmen selbst.

Das alles will Vorstandsmitglied Kocks seinen höheren Mitarbeitern nahebringen, um langfristig die Unternehmenskultur zu beeinflussen. Um da noch direkter einwirken zu können, kommt der Weltenbürgerklub jetzt auch zum Sitz des Mutterkonzerns nach Wolfsburg. Aber auch hier ist es nicht so, daß da jetzt schön im Werk die Arbeiter zusammenkommen und sich fremde Dichter anhören. Nein, man hat das Schloß der Stadt gemietet und sitzt im selben feinen Rahmen wie in Hannover. Eliten-, nicht Arbeiterbildung ist das Stichwort von Klaus Kocks. „Ich habe mit dem Wort kein Problem“, sagt er. Das Dritte Reich war letztlich nur möglich, weil die bürgerliche Elite versagt hat. VW lädt in seinen Weltenbürgerkreis bewußt nur die sogenannte „Elite“ ein.

Und damit glaubt Kocks auch zu bewirken, daß VW-Gewerkschafter, die sich zum Beispiel vor einiger Zeit zu einer gemeinsamen Aktion gegen die Unterschriftenaktion der CDU zusammenfanden, um darauf hinzuwirken, daß keiner von ihnen da unterschreibt, signalisiert bekommen: He, Leute, in unserem Unternehmen sind genau solche Aktionen sehr erwünscht.

Antirassismus, Multikulturalismus und das Lernen von fremden Kulturen als Marktstrategien. Das sind doch immerhin sehr schöne Ideen. Wenn es natürlich bei sechswöchigen einstündigen Dichterreden bleibt, bei denen konkrete Unternehmensstrukturen nicht mitthematisiert werden dürfen und man sich ansonsten darauf beschränkt, sich mühsam ein verstaubt-scheinmodernes Image mit Bands wie Pink Floyd oder Genesis einfach aufzukaufen, dann kann man noch lange darauf warten, daß die Alt-68er endlich den New Beetle kaufen. Aber: Die Richtung stimmt, VW! Und die Kästner- Zeile „Die Welt verbessern und dran verdienen – das lohnt sich, drüber nachzudenken“, könnte fast von Klaus Kocks gedichtet sein.

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