Abtreibung

Am Samstag demonstrieren sogenannte LebensschützerInnen mit ­einem Schweigemarsch gegen Schwangerschaftsabbrüche

Notfalls durch alle Instanzen

Justiz Radikale AbtreibungsgegnerInnen verklagen eine Ärztin – weil sie auf ihrer Webseite darauf aufmerksam macht, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt

TeilnehmerInnen des „Marschs für das Leben“ gegen Abtreibung 2012 Foto: Björn Kietzmann

von Dinah Riese
und Eiken Bruhn

„Schwangerschaftsabbruch“. Wegen dieses einen Wortes auf ihrer Webseite muss sich die Gießener Ärztin Kristina Hänel am 24. November vor Gericht verantworten. Der Vorwurf: Verstoß gegen Paragraf 219a des Strafgesetzbuches (StGB), der die „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ verbietet. Angezeigt wurde sie von radikalen AbtreibungsgegnerInnen. Am Samstag werden diese auf ihrem jährlichen „Marsch für das Leben“ in Berlin fordern, Abtreibungen „zu beenden“.

Denn Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland zwar verboten, aber straffrei. Wer sich in einer anerkannten Beratungsstelle beraten, eine dreitägige Bedenkfrist verstreichen und den Abbruch innerhalb der ersten 12 Schwangerschaftswochen vornehmen lässt, wird nicht verfolgt. So regelt es der „Abtreibungsparagraf“ 218. ÄrztInnen, die den Abbruch unter diesen Bedingungen durchführen, handeln nach geltendem Recht. Nicht so, wenn sie das in schriftlicher Form öffentlich mitteilen.

Denn der Paragraf 219a besagt, dass sich strafbar macht, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften seines „Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise“ Abtreibungen „anbietet, ankündigt“ oder „anpreist“.

„Es ist das dritte Mal, dass die ‚Initiative Nie Wieder‘ mich anzeigt“, sagt Kristina Hänel. Die 61-jährige Allgemeinmedizinerin führt seit mehr als 30 Jahren Schwangerschaftsabbrüche durch. Doch es ist das erste Mal, dass sie vor Gericht muss. Eine Statistik über alle Anzeigen und Verfahren in Deutschland gibt es nicht – nur einen Überblick auf den Webseiten des „Nie-Wieder“-Vorsitzenden Klaus Günter Annen. Auf Domains mit Namen wie „Abtreiber.com“ oder „Babycaust.de“ listet Annen die Namen und Anschriften von ÄrztInnen, die Abbrüche durchführen, sowie seine Anzeigen gegen sie auf.

Die große Mehrheit der Staatsanwälte erhebt demnach keine Anklage. Nicht etwa, weil sie der Meinung sind, die ÄrztInnen handelten im Recht. Tatsächlich legen die meisten den Paragrafen 219a so aus, dass schon der sachliche Hinweis auf die Leistung Schwangerschaftsabbruch als Werbung zum eigenen Vermögensvorteil zu werten sei, weil der Arzt oder die Ärztin ein reguläres Honorar erwarte. Sie beziehen sich dabei auch auf ein Urteil des Landgerichts Bayreuth aus dem Jahr 2007. Dass es meist trotzdem nicht zur Anklage kommt, liegt daran, dass die betreffenden ÄrztInnen die Rechtslage nicht kannten und den Eintrag umgehend von ihrer Webseite entfernen.

Kristina Hänel hat das nicht getan. Aus diesem Grund erhob der zuständige Staatsanwalt Anklage, die betraute Richterin am Amtsgericht Gießen ließ die Anklage zu. Bei der vorangegangenen Anzeige aus dem Jahr 2008 sei noch von einem „unvermeidbaren Verbotsirrtum“ ausgegangen worden, heißt es in der Anklageschrift. Allerdings sei der Angeklagten damals der „Rahmen des rechtlichen Dürfens“ vor Augen geführt worden.

Für Hänel ist die Anklage ein Skandal. Mit dem Paragrafen 218 sei geregelt, unter welchen Umständen Frauen abtreiben können. „Wenn der Gesetzgeber sagt, dass das straffrei ist, muss er den Frauen auch die Möglichkeit geben, sich selbst umfassend über Methoden und Ärzte zu informieren“, sagt Hänel. „Es gibt in Deutschland ein Recht auf freie Arztwahl.“

Der Paragraf 219a StGB soll verhindern, dass „der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird“, erklärt die Gießener Staatsanwaltschaft. Für Hänel eine absurde Vorstellung. „Es ist doch niemand für Abtreibungen“, sagt sie. „Weder ich noch die Frauen, die zu mir kommen.“ Es gebe nun mal Situationen, in denen eine Frau kein Kind bekommen wolle oder könne. „Es ist meine Pflicht, diese Frauen medizinisch zu versorgen.“

„Anbieten und werben sind nicht gleichzusetzen“, sagt auch die Kieler Rechtswissenschaftlerin Monika Frommel. Sie vertritt Hänel vor Gericht. „Die Auslegung der Staatsanwaltschaft widerspricht der Reform des Abtreibungsrechts. Ärzte handeln rechtmäßig, wenn sie die gesetzlichen Anforderungen einhalten.“ Deswegen müssten sie über den Eingriff auch informieren dürfen.

Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen Paragraf 219a StGB sind sehr selten – aber sie existieren. Da ist der bereits erwähnte Fall aus Bayreuth aus dem Jahr 2007, der mit einer Verwarnung endete. Eine andere Ärztin aus Nordrhein-Westfalen musste zwei Mal vor Gericht. Das erste Verfahren im Jahr 2008 endete mit einer Verwarnung und einer Geldbuße von 1.800 Euro.

Die Demo: Am 16. September fordern die selbsterklärten „LebenschützerInnen“ in Berlin ein striktes Verbot von Abtreibungen. Der vom Bundesverband Lebensrecht organisierte Marsch findet seit 2002 statt. Er wird unter anderem von der katholischen Kirche und evangelikalen Kreisen unterstützt.

Die Gegendemo: Gegenproteste gibt es seit 2008. Unter anderem ruft das queer-feministische Bündnis „What the Fuck“ zu Gegendemo und Blockaden auf. Es kritisiert die Forderung nach einem Abtreibungsverbot ebenso wie das reaktionäre und homophobe Frauen- und Familienbild der „Lebensschützer“. (dir)

Sieben Jahre später waren es schon 6.400 Euro. Dieses Mal wertete das Gericht einen Eintrag in den Gelben Seiten als „Inserat“ und verhängte einen Strafbefehl. Und das, obwohl auf ihrer eigenen Webseite die Leistung nicht aufgeführt war und sie den Eintrag in den Gelben Seiten nicht selbst veranlasst und dort um Korrektur gebeten hatte.

Viele ÄrztInnen seien heute abgeschreckt von der Aussicht, mit Anzeigen der LebensschützerInnen überzogen zu werden – und führten die Abbrüche lieber gar nicht erst durch, sagt Christian Albring, Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte in Deutschland.

Frauen sind durch das Werbeverbot bei der Arztwahl zudem von ihren ÄrztInnen oder Beratungsstellen abhängig. Recherchieren sie selbst im Netz, landen sie fast zwangsläufig auf den Seiten der AbtreibungsgegnerInnen. Eine der wenigen verfügbaren Alternativen ist eine Liste mit ÄrztInnen in Deutschland, die der Wiener Gynäkologe Christian Fiala ins Netz gestellt hat, weil er die deutsche Rechtslage für inakzeptabel hält.

Auch Kristina Hänel will diese Situation nicht länger hinnehmen. „Es ist ja nicht so, dass dadurch irgendwelche Abtreibungen verhindert würden“, sagt sie. Wenn es sein muss, will sie durch alle Instanzen gehen.