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Wer ist ein guter Migrant?Scheitern dürfen

Ein AfD-Politiker hat Menschen, die nach Deutschland zugewandert sind, als „Gesindel“ bezeichnet. Daran erinnert eine Aktion im Netz. Und nun?

Fleißig – nicht stumm und ergeben: Streikende bei den Ford-Werken 1973 in Köln Foto: Klaus Rose

„Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.“ Kennen Sie diesen Satz? 1965 hat das Max Frisch gesagt; was er damit meinte, war: Deutschland hatte mit der Türkei ein Anwerbeabkommen unterzeichnet, Hunderttausende Menschen zogen mit ihren Familien nach Deutschland. Sie wurden als Arbeitskräfte angeworben, die man schlechter als die „eigenen“ deutschen Arbeiter*innen behandeln konnte. Als Menschen waren sie egal.

Seit vergangenem Wochenende kursiert auf Twitter ein abgewandeltes Zitat zusammen mit einem Bild eines AfD-Abgeordneten: „Wir riefen Gastarbeiter, bekamen aber Gesindel.“ Nicolaus Fest, AfD-Abgeordneter im EU-Parlament, hat das 2017 geschrieben.

Und es gibt mehr solcher AfD-Zitate. In Farbgebung und Schrift erinnern die Bilder an AfD-Plakate, nur das Partei-Logo fehlt. Darauf zu lesen sind Aussagen von AfD-Politikern aus den letzten Jahren. Die Aktion stammt vom Twitteraccount „HoGeSatzbau“, einer satirischen Initiative, die seit fünf Jahren aktiv im Netz ­gegen rechte Gruppierungen wie Pegida oder „Hooligans gegen Salafisten“ vorgeht. Ziel sei es, so sagte es ein Sprecher der HoGeSatzbau gegenüber dem Bayerischen Rundfunk, „Dinge, die die AfD gesagt hat und von denen sie gerne hätte, dass sie vergessen werden, dass diese Dinge in Erinnerung gerufen werden“.

Nun kann man diese Aktion lustig finden, man kann sie auch als wichtig erachten. Wichtig, weil man niemals aufhören sollte, öffentlich zu machen, welche abscheulichen und menschenfeindlichen Dinge AfD-Politiker*innen und ihre Anhänger*innen von sich ­geben. Und wichtig auch deshalb, um in aller Deutlichkeit klar zu machen, dass derartige Aussagen niemals Normalität sein dürfen in diesem Land. Doch anstatt die AfD mit der Verbreitung ihres Mülls zu enttarnen, passierte etwas anderes.

Ein Paradebeispiel

Kinder und Enkel*innen von Gastarbeiter*innen sahen sich in den vergangenen Tagen dazu genötigt, ihre Existenzberechtigung in diesem Land mit der harten Arbeit ihrer Familienangehörigen zu begründen.

Was hier passiert, ist ein Paradebeispiel dafür, wie Migrationsdebatten in Deutschland geführt werden

Auf Twitter schrieben Menschen Dinge wie: „Mein Opa Ali Dogan ist 1964 in dieses Land gekommen, hat 30 Jahre lang in der Automobilindustrie in Stuttgart geschuftet und dieses Land mit aufgebaut.“ Oder: „Mein Vater, Ahmet Secgin, kam 1962 in die #BRD, schuftete 42 Jahre […] war nie arbeitslos, ging 2004 mit 65 Jahren ehrenhaft in Rente, starb 2019 mit 80 Jahren.“

Was hier passiert, ist ein Paradebeispiel dafür, wie Migrationsdebatten in Deutschland seit Jahrzehnten geführt werden. Irgendwer wertet Migrant*innen ab, diese sehen sich gezwungen dagegen zuhalten und mit Erfolgsgeschichten und Diplomen Beweise dafür zu liefern, dass sie und ihre Familien eben nicht das faule „Gesindel“ sind, als das sie von Konservativen und Rechten bezeichnet werden.

Was in diesen Debatten also im Zentrum steht, ist die Frage: Wem nützt Migration? Antwort: der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft. Und wenn sie nicht mehr nützt, wenn sie sich nicht auszahlt, dann weg mit euch, dann seid ihr nichts mehr wert. Nur fleißige Migrant*innen sind gute Migrant*innen – so das gängige Narrativ.

Ihr helft nicht, wenn ihr auf Beschimpfungen mit Gastarbeiter-Romantik antwortet

Es ist schmierig, wenn Menschen wie Nicolaus Fest Mi­grant*innen mit ihren Aussagen in die Position bringen, sich rechtfertigen zu müssen. Denn natürlich werden sie das tun, weil sie es leid sind, abgewertet und beleidigt zu werden. Doch diese Rechtfertigung hat auch in sich selbst etwas Problematisches. Denn mit ihr reproduziert man genau den Maßstab, den Rechte ansetzen: Ein guter Migrant ist ein schweigender und arbeitender Migrant.

Was in Migrationsdebatten deshalb ständig zu kurz kommt, sind Geschichten des Scheiterns. Menschen sollen, ja sie müssen in ihrem Leben sogar scheitern dürfen. In Deutschland zählt das aber nicht für alle Menschen gleich, so war das schon immer. Ein Vorwurf, auch von vielen Betroffenen selbst, lautet deswegen immer öfter: Ihr helft nicht, wenn ihr auf Beschimpfungen mit „Gastarbeiter-Romantik“ antwortet.

Klar, Widerspruch ist wichtig. Geschichten, die bislang keinen Raum fanden, müssen unaufhörlich erzählt werden. Was es aber künftig auch braucht, sind Geschichten fernab der Romantik. Die neue Strategie muss lauten: Erzählt Geschichten des Scheiterns, die nicht vom ersten VW Golf handeln. Brecht das Narrativ der stummen Gastarbeiter*innen. Es braucht eine Gegenerzählung, die sich nicht an rechten Vorstellungen abarbeitet. Eine Gegen­erzählung, die keine Reaktion ist, sondern Aktion.

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3 Kommentare

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  • Die Antwort auf diese Frage beantworten viele Länder sehr unterschiedlich.

  • Eine Migration von Arbeitskräften, die bereit sind sich im Arbeitsmarkt zu integrieren und die Sprache zu lernen, nützt sicher nicht nur der Bevölkerung in Deutschland sondern genauso den Migranten.

    Wenn diese keinen Vorteil davon hätten nach Deutschland zu kommen würden sie entweder im Herkunftsland bleiben, oder in ein anderes Land emigrieren.

  • "Was in diesen Debatten also im Zentrum steht, ist die Frage: Wem nützt Migration? Antwort: der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft." – So weit, so unterkomplex. Zur Gegenerzählung gehört auch, dass auch dieses Framing entromantisiert wird. Insbesondere, wenn das Thema „Gastarbeiter“ reduziert wird auf die türkische Arbeitsmigration, die einige Eigenheiten aufweist, die sie von der Einwanderung aus Portugal, Italien, dem ehemaligen Jugoslawien und Griechenland unterscheidet. Das Anwerbeabkommen mit Griechenland sollte ursprünglich das letzte gewesen sein. Das Anwerbeabkommen mit der Türkei wurde nicht auf Wunsch der Deutschen Industrie oder der "Weißen Mehrheitsgesellschaft" zwecks besserer Ausbeutungschancen abgeschlossen, sondern auf Druck der USA und der Türkei („Wenn die Griechen ihre Leute schicken dürfen, dann wir auch“), die Anfang der 60er gerade einen faschistischen Putsch erlebte und deren neue Machthaber mit protestierenden StudentInnen, ArbeiterInnen und Arbeitslosen „umgehen“ musste.



    Das Anwerbeabkommen war das Ventil, das die sozial und politisch unter Druck stehende Türkei entlastete, indem auf diese Weise fast eine Million Arbeitslose nach Deutschland verfrachtet werden konnten. Die „Gastarbeiter“ spielten auch weiterhin eine zentrale Rolle für die türkische Wirtschaft: Sie schickten monatlich einen Teil ihres Lohns in die Türkei zu den Verwandten. Nach Schätzungen lebten in den frühen 70ern bis zu zehn Prozent der türkischen Bevölkerung teilweise oder ganz von Überweisungen aus Deutschland. Insofern hat auch die türkische (PoC?) Mehrheitsgesellschaft daraus ihren Nutzen gezogen.



    Das alles schmälert nicht die Relevanz der individuellen Geschichten des Scheiterns oder auch der Erfolge oder auch des Malochens der Eingewanderten. Es weist aber daraufhin, dass es aufschlussreich sein, bei der Thematisierung von „Einwanderung nach Deutschland“ die Bezüge zwischen Herkunftsland und Einwanderungsland genauer zu betrachten.