: Wenn der Mullah kein Taxi kriegt
Widerstand auf Umwegen gegen religiöse Eiferer im Iran: Verbotene Zeitungen gründen sich neu, die Teheraner geben sich gelöst und widerspenstig
aus Teheran BERNHARD ODEHNAL
Kasra Nouri hat jetzt ein eigenes Büro. Seit sechs Monaten schon. In Nouris Karriere ist das eine außergewöhnlich lange Zeit. In den vergangenen zwei Jahren musste der Teheraner Journalist siebenmal seine Arbeitsstelle wechseln. Kaum hatten er und seine Kollegen sich in einer Redaktion eingerichtet, kam schon wieder der Gerichtsbote mit der Mitteilung, die Zeitung werde geschlossen. Einmal lautete die Begründung „Unruhestiftung“, ein anderes Mal „Verstöße gegen das islamische Recht“. Nouri hat die Papiere gar nicht so genau gelesen: „Es waren doch immer nur Vorwände, um uns zu schikanieren.“
Trotzdem machten die Journalisten genau das, was die gottesfürchtigen Richter befahlen: Sie räumten die Redaktion. Nie protestierten sie auf der Straße oder mussten von der Polizei aus den Büros getragen werden. Zu groß ist die Angst, den Konservativen einen Vorwand für Polizei- oder gar Militäreinsatz zu liefern. „Wir suchten uns ein anderes Büro“, sagt Nouri, „und begannen sofort mit einer neuen Zeitung.“ Auch das sei Widerstand.
Neue Formen des Protests werden im Iran dringend gesucht, seit sich die religiösen Kräfte von ihrem Schock über den Durchmarsch der Reformer in Regierung und Parlament erholt haben. Zwar wurde Präsident Mohammad Chatami vergangenes Jahr wiedergewählt, und die ihn unterstützenden liberalen Parteien haben eine satte Mehrheit im Parlament. Doch die wahre Macht liegt noch immer beim religiösen Führer Ali Chamenei und den Konservativen im religiösen Wächterrat.
Die Journalisten waren unter den Ersten, die den Zorn der Religiösen zu spüren bekamen. In den vergangenen zwei Jahren wurden über 20 Tageszeitungen geschlossen und fast ebenso viele Journalisten verhaftet. Die Justiz untersteht zwar formell dem Minister aus Chatamis Kabinett, hört aber praktisch auf einen Chamenei-treuen Justizchef. Ob dieses System der Verfassung entspricht, ist umstritten. Wer es aber kritisiert, wie etwa der bekannte liberale Abgeordnete Hussain Loqmanian, macht sich zum Staatsfeind.
Loqmanian wurde letzten Monat verhaftet. Kurz darauf wanderten auch 15 Mitglieder der Iranischen Freiheitsbewegung ins Gefängnis. Die nationalistische Gruppe steht zwar in Opposition zur Regierung, hat aber die Islamische Revolution von 1979 mitgetragen und ist deshalb in der Bevölkerung hoch angesehen. Jetzt stehen ihre Mitglieder wegen „unislamischen Verhaltens“ vor Gericht. Wenn sie jetzt schon ihre eigenen Leute anklagen, fragt sich Nouri, wer bleibt da überhaupt noch verschont?
Chefredakteur Masoud Safiri wurde zwar auch schon zweimal entlassen, und seine jetzige Zeitung Hajatenou gehört zu den liberalen Blättern. Doch da der Herausgeber des Blattes der Bruder des religiösen Führers Ali Chamenei ist, fühlt sich Safiri relativ sicher. Er ist glühender Anhänger Chatamis und überzeugt, dass Reformen gar nicht scheitern können: „Man kann sie nur beschleunigen oder bremsen.“ Die Konservativen schaufelten sich ihr eigenes Grab. „Wenn die Reformer scheitern, dann scheitert das gesamte System der islamischen Republik Iran.“
Das heftige Bremsen der Religiösen hat den Staat bereits lahm gelegt. Die Regierung kann in Wirtschaft und Gesellschaft keine Reformen durchführen, weil die Gesetze fehlen. Das Parlament kann die notwendigen Gesetze zwar beschließen, aber sie werden durchgehend vom Wächterrat abgelehnt. Trotzdem verteidigen Liberale wie Masoud Safiri das System einer gemeinsamen geistlichen und weltlichen Staatsführung. Sie sehen die Repressionen als Prüfstein auf dem vorgezeichneten Weg zur Demokratie: „Wenn Verhaftungen und Gerichtsverfahren der Preis sind, um die Schwächen im System aufzuzeigen, werden wir diesen Preis bezahlen.“
Auch wenn Chatamis Reformen die Struktur der Macht nicht angetastet haben, ist in den Straßen von Teheran der Wandel unübersehbar. Die Zeit des Tschadors ist vorbei, die Frauen tragen Hosen und coole Sonnenbrillen, im reichen Norden der Stadt fahren sie mit Vorliebe große Allradwagen. Das Kopftuch ist gesetzlich vorgeschrieben, aber bei den Mädchen rutscht es oft ganz weit zurück auf den Hinterkopf. Bärte sind bei den Männern völlig aus der Mode. Kein Muezzin ruft zum Gebet, im Straßenlärm der chaotischen 13-Millionen-Stadt würde ihn ohnehin niemand hören.
Religion, sagen die Mädchen und Jungen, die im Theatercafé an der Vali-Asr-Straße sitzen, sei Privatsache, „das geht auf der Straße niemanden etwas an“. Nur selten sind die Mullahs in ihren Turbanen und langen Gewändern zu sehen. Für sie ist das Leben schwer und der Weg durch die Stadt sehr lang geworden. Kein Taxi nimmt sie mit. „He, Hadschi“, rufen die Taxifahrer spöttisch, „warum nimmst du denn nicht deinen Mercedes?“
Die gelöste und widerspenstige Stimmung in der Bevölkerung treibt zaudernde liberale Politiker zum Widerstand – wenn auch mit großer Verzögerung. Einen Monat nach der Verhaftung des Abgeordneten Loqmanian entschloss sich Parlamentssprecher Mehdi Karroubi am vergangenen Dienstag, die „Aggression der Justiz gegen das Parlament“ in einer emotionalen Radioansprache anzuprangern und mit dem Boykott aller Sitzungen zu drohen. Der Protest wirkte unerwartet schnell: Noch am selben Tag wurde Loqmanian vom religiösen Führer Chamenei begnadigt und aus der Haft entlassen.
Auch der Versuch der Geistlichen, die Presse mundtot zu machen, war nicht besonders erfolgreich. Wo eine Zeitung geschlossen wurde, entstand bereits am nächsten Tag eine neue. Allein nächste Woche sollen drei neue Tageszeitungen in Teheran erscheinen. Die Nachfrage nach Journalisten ist groß. Obwohl jetzt die ersten Absolventen des neu gegründeten Journalistenstudiums auf den Markt drängen, gibt es im Medienbereich keine Arbeitslosigkeit. Freilich haben die ständigen Angriffe der Religiösen Spuren hinterlassen: Zahm seien die Medien geworden, klagt Kasra Nouri, in den Readaktionsräumen regiere die Selbstzensur.
Nouri hat nach der bislang letzten Schließung einer Zeitung schnell wieder einen Job gefunden. Der 32-Jährige mit dem sanften Lächeln und der leisen Stimme ist jetzt Chefredakteur von Iran, der zweitgrößten – und sehr regierungsnahen – Zeitung des Landes. Wenn er durch die Büros geht, stehen Reporter und Grafiker auf und begrüßen ihn mit einer Verbeugung. Sein Büro hat Nouri freilich nur notdürftig eingerichtet – falls bald wieder der Gerichtsbote klopft.
Der Autor ist Auslandsredaktor der Zürcher Weltwoche.
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