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Berlin Biennale eröffnetWenn der Fuchs durch den Zaun schlüpft

Auf List und Humor setzt die 13. Berlin Biennale. Die Schau thematisiert postkoloniale Fragen ohne übergestülpte Ideologie – gelingt dieser Ansatz?

Während der Haft in Myanmar gemalt, jetzt auf der Berlin Biennale ausgestellt: „The Return“, 2000 von Htein Lin Foto: Htein Lin

Kurz denkt man, Zasha Colah, die Kuratorin der gerade eröffneten Berlin Bien­nale, werfe einen ins wilhelminische Kaiserreich mit seinen fatalen Helden zurück. Denn im Berliner Ausstellungshaus KW steht jetzt ein Monument. Wie ein archaischer Tempelaufstieg legt sich eine Treppe aus Sandsteinen in den White Cube, den Architekt Hans Düttmann dem Gebäude einer alten Margarinefabrik angefügt hatte. Damals, als 1998 die erste Biennale für zeitgenössische Kunst im KW stattfand.

Jetzt, zu ihrer 13. Ausgabe, stapelt die italienische Künstlerin Margherita Mos­car­dini 561 nummerierte Steine zu einer scheinbar jahrhundertealten Architektur. Über ihr lehnt ein Histo­rien­schinken an der Wand: „Der Berliner Kongreß 1878“ von Anton von Werner, dessen Original sich heute in der Berliner Senatskanzlei befindet und das der Fotograf Armin Linke hier nun im großen Format abgelichtet hat.

Ruhmvoll ausgeleuchtet ist der schnaps­backige Bismarck darauf, schüttelt dem russischen Diplomaten Graf Schuwalow die Hand. Dahinter ordnete von Werner in feiner Lichthierarchie das Personal dieses politischen Ereignisses an, bei dem der Balkan unter den Mächten Europas aufgeteilt und der Weg zum Ersten Weltkrieg geebnet wurde. Ein anderes Berliner Politikertreffen kommt einem bei dem Anblick in den Sinn: die Kongokonferenz. Bei der sollte unter der Ägide Bismarcks das koloniale Schicksal gleich ganz Afrikas besiegelt werden.

Doch das Monument ist schräg. Das Riesenfoto ist in einzelne Rahmen zerstückelt und die schnöde Amtswand aus der Senatskanzlei hat sich in Linkes Ablichtung geschoben. Die Realität drückt sich in das Abbild einer politischen Geschichte, von der man weiß, dass sie für die Welt heute keine gute Wendung genommen hat.

Berlin Biennale

„das flüchtige weitergeben“: 13. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst, bis 14. September; 13.berlinbiennale.de

Kappen vom Tahrir-Platz

Die Stränge von Berlins Historie verlaufen immer wieder durch diese 13. Berlin Biennale mit ihren 170 Beiträgen von 60 internationalen, oftmals hier kaum bekannten Künst­le­r:in­nen. Aber auf derart offizielle, repräsentative Formen wie bei diesem Setting von Moscardini und Linke trifft man nicht mehr. Denn hier, unter dem Titel „das flüchtige weitergeben“, geht es vielmehr um eine Kunst, die auftauchen und wieder verschwinden kann.

Wie die Stolper-Performances der Künstlergruppe Akademia Ruchu aus dem Polen zu Ostblockzeiten. Auf körnigen Videoaufnahmen sieht man, wie jemand in einer Einkaufsstraße plötzlich über seine eigenen Füße fällt. Passanten erschrecken, die nächsten kichern, kurze Irritation, dann geht’s weiter.

Als rätselhafter Prozessionszug erscheinen die konischen Kappen der ägyptischen Künstlerin Huda Lutfi, angefertigt aus Zeitungsartikeln über die Proteste am Tahrir-Platz während des Arabischen Frühlings. Lutfi stellte sie in Kairo aus Solidarität mit den Protestierenden kurzweilig in der Öffentlichkeit auf. Woanders lassen die Aktivistinnen von Lanna Action in einem DIY-Videospiel Damenslips gegen die Tatmadaw, die Militärs in Myanmar, werfen. Das alles ist eine Kunst, die sich eigentlich dem offiziellen Blick entziehen kann wie ein Fuchs, der durch einen Zaun schlüpft.

In Kairo aus Solidarität zu den Protestierenden vom Tahrir Platz ausgestellt: „The Fool's Journal“, 2013/14 von Huda Lutfi Foto: Marvin Systermans; Courtesy: Huda Lutfi; Gypsum Gallery, Kairo; The Third Line Gallery, Dubai

Den Fuchs hat sich die aus Indien kommende Zasha Colah zum Symbol ihrer Schau gemacht. Immer wieder sieht man ihn, im Katalog, auf der Website, er streunt durch die mesopotamischen Landschaften auf den Wandmalereien von Larissa Araz in einem Gebäudeflügel des Museums Hamburger Bahnhof, auch eine der vier Spielstätten der Biennale. Dort informiert Araz, dass die türkischen Behörden dem ­Vulpes vulpes kurdistanica vor einigen Jahren das kurdistanica aus seiner taxonomischen Bezeichnung gestrichen haben, als angebliche „Gefahr für die Nationale Einheit“.

Autoritäre Zustände

Den Fuchs wählte Colah als Symbol für die List und auch für die Narretei, die einem auf dieser Biennale so viel begegnet. Denn wie ist Kunst überhaupt möglich, in einer repressiven Umgebung, in einer autoritären Gesellschaft, wenn nicht durch Humor, fragt sie. Und rückt damit beängstigend nahe an ein jetziges Weltgefühl heran.

Welche Absurdität die autoritären Zustände annehmen können, die man gerade allerorts wahrnimmt, zeigt eine Verhörszene in dem Film von Simon Wachsmuth. Ein Richter und ein Angeklagter mit Schweinemaske streiten darüber, ob jemand im Schwebezustand vorher von oben herabgefallen oder von unten abgehoben war. Eine göttlich dadaistische Konversation über die Gedankenfreiheit, wäre sie nicht so beklemmend, Wachsmuths Schauspieler bewegen ihre Münder gar nicht.

Man kann diese Schau als postkolonial bezeichnen, wie sie die Konflikte anspricht, den künstlerischen Aktivismus gegen Umweltverschmutzung, Ressourcenausbeutung, Menschenrechtsverletzungen, Krieg in vielen Gebieten, die einst europäische Kolonien waren oder es auf eine Art noch sind. Doch anders als bei vielen Kunstausstellungen, die sonst unter dem Label postkolonial laufen, stülpt die Kuratorin der Schau keine ideologischen Schablonen über. Ihr geht es bei dieser Biennale um eine andere, sehr existenzielle Sache. Darum, wie auch unter hohem Druck ein Menschsein möglich ist, durch die Kunst.

Eindringlich zeigt dies eine Performance des Burmesen Htein Lin 2008 in Paris. Auf einer wackeligen One-Shot-Aufnahme läuft der Künstler, der nach Protesten gegen das Militärregime in Myanmar lange in Haft gewesen war, nackt durch einen dunklen Saal und verfolgt den Flug einer imaginären Fliege, als ob sich das Insekt in seine frühere Haftzelle verirrt hätte. Irgendwann schluckt er sie, zuckt und windet sich wie unter Elektroschocks, um schließlich mit einem unglaublichen Gesichtsausdruck, wirr und hellwach zugleich, mit „Where is the Fly“ nach sich selbst zu fragen.

Psychotrip ins Bewusstsein

Die selten gezeigte Aufnahme ist ein bewegender Psychotrip ins Bewusstsein eines Gefangenen, der versucht innere Freiheit zu bewahren. Auch seine Malereien mit ihren fratzenhaft verdrehten Körpern aus der Zeit der Haft werden ausgestellt.

Immer wieder schnüren sich auf dieser intelligenten Schau die Dinge zusammen, verknoten sich Geschichte, Kunstwerk und Ort. In dem Gerichtsgebäude an der Lehrter Straße etwa, der zweiten großen Spielstätte dieser Biennale. In dem fand 1916 auch ein Prozess gegen Karl Liebknecht statt. Viele Jahre stand der historische Backsteinbau leer. Am bröckelnden Wandputz im Flur scheinen daher die mit strammen Strichen skizzierten Zeichnungen des sudanesischen Künstlers ­Elshafe Mukhtar zunächst wie von Kids irgendwann mal dahingetaggt. Doch die eigenwillige Symbolik seiner Soldatenbilder mit Köpfen aus Stiefeln und Blechtöpfen lässt anmerken, dass hier jemand den Erfahrungen eines immer noch wütenden Kriegs in seinem Land einen eigenen Ausdruck gegeben hat.

Wenig weiter in einer Ex-Teeküche lässt sich das Kochtutorial der aus Südafrika kommenden Helena Uambembe verfolgen. Heiteren Tons und mit zynischen Kommentaren bearbeitet Uambembe darin Erdmatsch zu Kuchen, „um jede Form von Landraub zu beseitigen“ und die traumatische Kriegsgeschichte ihrer Familie gleich mit wegzubacken.

Auf Küchenhandtüchern an der Wand sind Warnhinweise gestickt: „Kann Spuren von Faschismus enthalten“. Manch Tuch hängt an lustigen Plasikhaken in Blütenform. Teil von Uambembes bitter-ironischer Kunstinstallation, oder wollten sich vor einigen Jahren einmal die tatsächlichen Mitarbeiter des Gerichtsgebäudes mit dem Gimmick ihre Teepause versüßen?

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1 Kommentar

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  • „Erdmatsch als Kuchen“ - gute Zusammenfassung für Inhaltshuberei bei gleichzeitig ästhetisch ultraflach.. (Und nichts gegen Matschkuchen, das ist was Tolles, sagt resolut die innere 5-Jährige und da werde ich auch unbedingt zustimmen.:) … Man könnte sagen, wohlwollend, dass jetzt, wo sich Bild.Kunst im Grunde abgelebt hat (da nur noch Aktie, Repräsentation & Prestige), es weiterhin eine Suche gibt, ihre Relevanz zu erhalten, zu beweisen, zuzuweisen, auszustellen. – Von old school aus gesehen ist das alles aber leider visuell und gedanklich ziemlich unterkomplex, um nicht zu sagen stereotyp; aber das reicht vielleicht in Zeiten wo es nur noch um Idendifikationsangebote und das Teilen der Berichte aus den Zellen geht (be it individualism- , or capitalism- , colonialism- , climate- and other most precaire war survivors & victims.) Und vielleicht sollte es so sein. Aber die Rezension ist schon arg unkritisch..