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Wenn das Nest zu teuer wird

FLATMATING Vielerorts ist der Wohnungsmarkt angespannt – und die Chancen alleinerziehender Eltern sind noch deutlich schlechter. Eine besondere Wohnungsbörse will das ändern

Keine schönen Aussichten: Wer allein erzieht, hat es noch schwerer bei der Wohnungssuche Foto: Peter Kneffel/dpa

VON JOACHIM GÖRES

Fast jeder Zweite ist arm: Laut einer jüngst vom Paritätischen Wohlfahrtsverband herausgegebenen Studie stehen 43,8 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung. Häufig können sich diese Menschen nach einer Trennung die bisher gemeinsam bewohnte Wohnung nicht mehr leisten. Zum Beispiel Johann, 34, der mit seinen beiden Kindern in einer 100-Quadratmeter-Wohnung in zentraler Lage in Hannover lebt; Kaltmiete: 860 Euro im Monat.

Nach der Trennung fiel das Einkommen von Johanns Frau weg, er ist auf staatliche Unterstützung angewiesen. Johann und seine beiden Kinder haben keinen Anspruch auf die komplette Übernahme der Kosten für eine Wohnung in dieser Größe: Geht es nach dem Jobcenter, sollen der Vater, die siebenjährige Tochter und ihr fünfjähriger Bruder umziehen.

„Ich habe intensiv gesucht“, erzählt Johann, – „ohne Erfolg“. Als Alleinerziehender und dazu noch arbeitssuchend habe man auf dem hannoverschen Wohnungsmarkt keine Chance, sagt Johann. „Die Kinder müssten durch einen Umzug in eine andere Gegend ihren Kindergarten oder ihre Schulklasse verlassen – dabei brauchen sie mehr denn je stabile Beziehungen.“

Was tun? Viviane Bremer, Vorsitzende des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) in Hannover, hatte eine Idee: Mit einigen Mitstreitern organisierte sie vor einem Jahr das erste „Flatmating“, abgeleitet von „flat mate“, Englisch für Mitbewohner – eine Mitwohnbörse für Menschen mit Kindern. In zwanglosem Rahmen konnte man sich kennenlernen und bei gegenseitiger Sympathie überlegen, ob sich der Alltag nicht besser bewältigen lässt, wenn etwa zwei Alleinerziehende zusammenziehen und sich abwechselnd um die Kinder kümmern. „Damals stieß diese Idee auf großes Interesse“, sagt Bremer. „Mehr als 40 Interessenten kamen zu unserem ersten Flatmating.“ Ob sich danach neue Wohngemeinschaften gebildet haben, so Bremer, „wissen wir leider nicht“.

Auch Johann war kürzlich beim Flatmating dabei, beim dritten Mal. Dort lernte er die 54-jährigen Nicole kennen, die mit einer volljährigen Tochter einen Resthof vor den Toren Hannovers bewohnt. Bei ihrem Vermieter hat Nicole bereits eine geringere Miete ausgehandelt, auf Dauer wird aber auch dieser Betrag zu hoch sein. Also könnte noch jemand in die große Wohnung einziehen – oder man sucht sich gemeinsam etwas Neues.

Auf der Internetseite des Verbandesalleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) – www.die-alleinerziehenden.de – können Interessierte nach vorheriger Anmeldung andere Alleinerziehende für eine gemeinsame Wohnung suchen.

In Hannover findet die nächste Wohnungsbörse für Menschen mit Kindern am 2. September statt: 11 bis 14 Uhr im „Der Nachbarin Café“ auf dem Faust-Gelände, Zur Bettfedernfabrik 3. Eingeladen sind ausdrücklich auch Paare mit Kindern, die sich vorstellen können, mit Alleinerziehenden zusammenzuleben.

Noch eine Frau in Nicoles Alter ist auf der Suche nach Mitbewohnern: für ein Haus am Steinhuder Meer, aus dem der Ehemann kürzlich ausgezogen ist. Ihre Tochter, die kurz vor dem Abitur steht, ist zum Treffen mitgekommen. Sie sieht die Sache mit der Wohngemeinschaft so: „Es wäre cool, wenn abends wer zu Hause wäre, wenn Mama unterwegs ist.“

Für Johann kommen diese Modelle nicht infrage. Er will möglichst in der Stadtmitte bleiben, wegen Schule und Kita, aber nicht zuletzt, weil seine Eltern in der Nähe leben und kurzfristig einspringen können. Er überlegt, ob er für das freie Zimmer vielleicht einen Studenten interessieren könnte.

Einen besonderen Weg hat Urs gewählt: Er hat seit Kurzem ein freies Zimmer in seinem Haus an eine 19-Jährige vermietet, die im Gegenzug zeitweise als Tagesmutter Urs’drei Monate alte Tochter betreut. Dadurch zahlt sie weniger Miete, und Urs kann arbeiten gehen, in Teilzeit.

Im auch online erhältlichen Ratgeber „Alleinerziehend“ empfiehlt der VAMV Eltern mit wenig Geld, sich einen Wohnberechtigungsschein vom Wohnungsamt ihrer Gemeinde ausstellen zu lassen. „In Kiel haben viele Menschen so einen Schein, die Wartezeiten sind deshalb lang“, sagt Kerstin Stiewe, Geschäftsführerin des VAMV-Landesverbandes Schleswig-Holstein. Nach ihrer Erfahrung versuchten Alleinerziehende alles Mögliche, um ihren Kindern das vertraute Umfeld zu erhalten. „Die alte Wohnung wird behalten, obwohl man sie sich eigentlich nicht mehr leisten kann.“ Um das zu finanzieren, würden etwa Verträge für die eigene Altersvorsorge aufgelöst, sagt Stiewe: „Die spätere Altersarmut ist absehbar.“ Sie berichtet von einer alleinerziehenden Mutter, die nach der Trennung in ein Wohnprojekt an den Rand von Kiel gezogen ist, um so Beruf und Kinderbetreuung besser miteinander vereinbaren zu können. „Dann braucht man wegen der weiteren Wege aber ein Auto.“

Alleinerziehende abseits der teuren Großstädte müssen es leichter haben, dürften in vielen Regionen von entspannteren Wohnungsmärkten profitieren, so sollte man meinen. Stiewe kann das nicht bestätigen. In Dörfern nämlich bestünden viele Vorurteile gegenüber Alleinerziehenden.

„Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum trifft Alleinerziehende überproportional“

Miriam Hoheisel, Verband allein- erziehender Mütter und Väter

Die Diplom-Sozialpädagogin Dörte Klatt leitet seit neun Jahren Alleinerziehenden-Gruppen im niedersächsischen Celle. Viele Frauen, die zu ihr kommen, hätten lange mit Familie im eigenen Haus gelebt – umso drastischer sei der Einschnitt nach der Trennung: „Nicht selten gehört das Haus dem Mann, und Frau und Kinder müssen ausziehen. Die Kinder sind sauer, wenn sie sich in der neuen Wohnung plötzlich ihr Zimmer mit der Schwester oder dem Bruder teilen müssen.“

Sie kennt auch viele Frauen, die nach einer Trennung wegen psychischer Probleme ihre Arbeit aufgeben müssen. Sie sind dann auf Hartz IV angewiesen und von den Leistungen des Jobcenters abhängig. „Wenn die Wohnung zwei Quadratmeter größer ist als die Behörde es vorschreibt, bekommen es viele Frauen mit der Angst zu tun. Da gibt es dann Sachbearbeiter, die sie beruhigen und sagen, dass das doch nicht so tragisch ist“, sagt Klatt. „Aber man kann auch Pech haben und bei einem Sachbearbeiter landen, der in die Wohnung kommt, sie ausmisst und darauf besteht, dass Frau und Kinder ausziehen.“ Selbst bei großem Wohnungsangebot kann es Klatt zufolge passieren, dass Vermieter lieber weitersuchen als an eine Alleinerziehende zu vermieten.

„Der zunehmende Mangel an bezahlbarem Wohnraum trifft Alleinerziehende überproportional“, ist sich VAMV-Bundesgeschäftsführerin Miriam Hoh­eisel sicher. Um das zu ändern, brauche es „eine viel stärkere soziale Wohnraumförderung“.