: Wenn Männer schweben
Mann kann Frau sein: Die ironischen Geschlechterwechsel von Les Ballets Trockadero de Monte Carlo im Thalia Theater ■ Von Gabriele Wittmann
Das Bild mutet an wie ein Monet aus dem neunzehnten Jahrhundert: An der Stange heben die Mitglieder des corps de ballet im täglichen Training das Bein zur Arabesque; am Rand sitzt einer im Schneidersitz und näht mit der Hand sein Tutu. Richtig. Einer. Denn die zwölf Ballerinen der in New York ansässigen „Ballets Trockadero de Monte Carlo“ sind Männer. Und sie tun, was ihnen kaum jemand auf der Welt nachmachen kann: Sie tanzen sowohl Männer- als auch Frauenrollen. Sie heben und sie schweben. Auf Spitze.
Wenn sich der Vorhang hebt, springt ein frisch blondierter Prinz mit der Gestik eines lispelnden Mitglieds der Monty-Python-Truppe herein, vor dem trashigen Hintergrund einer aufgeblasenen Kitsch-Postkarte. Er kämpft um die Schwanenkönigin, die wie eine echte Ballerina tapfer ihre 24 fouetts auf Spitze dreht – und das nicht mal schlecht. Wenn Paul Ghiselin dazu als Zauberer Rotbart den Feind mimt, ist der Tänzer dahinter ein männlicher Statthalter namens „Velour pileaux“, aus dem erfundenen Ballett-Sprech übersetzt also so etwas wie ein bequemes Velourskissen. Eine Stunde später tritt er als Frau auf und nennt sich dann Ida Nevasayneva – Ida, die niemals nie sagt.
Wie ernst nehmen sich die Tänzer selbst? „Sehr ernst“, erklärt er. „Für die Parodie muss man genauso hart arbeiten wie für das Original, vielleicht sogar noch härter. Es gibt viele Comedy-Leute, aber nur wenige sind gut. Um wirklich gut zu sein, muss man ein tiefes Verständnis der menschlichen Seele mitbringen, und ein ebenso großes Verständnis unserer Kunstform.“ Warum ist er zu den Trocs gegangen? „Ich bin jetzt 34“, erklärt Ken, „und ich war ewig in klassischen Compagnien, ich war es einfach leid. Ich wollte eine neue Herausforderung im Ballett.“
Jetzt hat er sie. Das ganze „Zehentrauma“ hat er hinter sich: die schmerzenden Füße, die aufgeplatzten Blasen. Und das neue Gleichgewichtsempfinden durch die beim Spitzentanz sich verschiebenden Hüften. Sein Kollege Paul Ghiselin tanzte dreizehn Jahre im zeitgenössischen Ballett, interpretierte Rollen in ernsthaften, gesellschaftlich engagierten, modernen Stücken beim Ohio Ballett. Die kaum jemanden erreichten.
Jetzt erreicht er eine Masse von Zuschauern. „Ich finde die Idee faszinierend, viele Leute mit Ballett zum Lachen zu bringen.“ Doch die Kniffe der „Trocs" gehen über offensichtlichen Klamauk weit hi-naus. Die Tänzer sind mit den Epochen und Choreographen der Ballettgeschichte so vertraut, dass ihre komödiantische Interpretation auch dem Kenner Hochgenuss bereiten kann. Wie empfängt die alternde Ballerina den Applaus, nachdem sie den „sterbenden Schwan“ gegeben hat? Richtig, sie erhascht ihn demutsvoll und flüchtig. Und was charakterisiert die Ballerina aus dem pas de deux in „Don Quichote“? Ach ja, diese zickige, gelangweilte, arrogante Haltung, der das Kaugummi-Kauen in dieser Fassung wunderbar bekommt.
Voraufführung: Mo, 16. August, 20 Uhr, bis 5. September, Thalia Theater
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