„Wenn Du jetzt nicht sofort…!“: Erfolgloses Familienunternehmen
Meine Freundin hat einen neuen Job. Die eingespielten Abläufe zuhause sind dahin. Und unser Change-Prozess läuft … naja … es fliegen Gegenstände.
E rinnern Sie sich noch an diese Vorwerk-Werbung von Anfang der 2000er? In der die Frau den krawattierten Mann mit Küsschen zur Arbeit verabschiedet, einen Kindergeburtstag ausrichtet, bekleckert wird, die Kinder durch die Stadt karrt und zwischendurch staubsaugt und Gemüse in den Mixer drückt – und dabei natürlich gut gelaunt und fantastisch aussieht: „Ich führe ein sehr erfolgreiches, kleines Familienunternehmen.“
Geile Hausfrau, geiles Leben, geile Kinder, geile Firma, geile Wir-AG.
Nichts gegen die Aufwertung von Hausarbeit, aber: Sollte ich jemals meine Familie als „sehr erfolgreiches, kleines Familienunternehmen“ bezeichnen, hoffe ich, einen Freund zu haben, der mit seiner Hand ein- oder zweimal in meine Backpfeifenvisage klatscht.
Dabei fühle ich mich im Moment zu Hause tatsächlich so als wären wir eine Firma. Eine Firma, die gerade einen Change-Prozess durchläuft. Meine Freundin hat einen neuen Job. Sie ist jetzt Lehrerin. Ihre Schule ist weit weg und so muss sie an manchen Tagen morgens vor 7 Uhr los. Ich habe also die Frühschicht mit den Kindern. Ich! Die Frühschicht! Dabei schlaf ich so gern. Ich kann unheimlich gut schlafen.
Wir hatten über Jahre eingespielte Abläufe. Jetzt ist alles durcheinander. Meine Freundin ist morgens gestresst, weil sie schnell zur Arbeit muss, ich bin gestresst, weil meine Töchter sich weder anziehen noch die Zähne putzen noch sonst irgendwie kooperativ an dem Change-Prozess teilnehmen möchten.
Nicht nachmachen! Nicht die Zahnbürste werfen!
Vor wenigen Tagen eskalierte es: Ich drohte Tochter eins wieder mal – wenn sie jetzt nicht endlich mitmachen würde! – mit irgendeiner mit der Sache überhaupt nicht zusammenhängenden Bestrafung (ich glaube, es war „Dann erst mal kein ‚Bibi und Tina‘ mehr“), meine Freundin machte daraufhin einen spöttischen Kommentar zu meinen Erziehungsmethoden, ich fühlte meine Autorität untergraben, Tochter zwei schrie wegen irgendwas, Tochter eins war wütend ob des Bibi-und-Tina-Verlust-Seelenschmerzes – und dann flog die Zahnbürste. Mit Wucht ditschte sie auf den Badezimmerfliesen auf und hinterließ einen interessanten Zahnpastaabdruck an der Badewanne.
Ich hatte sie geworfen.
Keine Sternstunde. Weder die Bestrafungsandrohung noch das Werfen. Nein, ich bin kein Kuscheltyp. Kinder können schon lernen, dass ihr Verhalten Konsequenzen hat. Dass sie sich einzufügen haben. Dass nicht alle nach ihrer Pfeife tanzen. Aber: An diesem Morgen war das unser, nein, mein Fehler. Wir müssen dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen stimmen, es muss genug Zeit sein. Ich! Muss! Früher! Aufstehen! Ich! Muss! Früher! In! Die! Gänge! Kommen! Und wenn es dann nicht klappt, tja, tschüss Bibi, tschüss Tina!
Doch sollte es klappen, dann führe ich endlich ein sehr erfolgreiches, kleines Familienunternehmen.
Klatsch!
Aua.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links