Wenn Deutsche sich Gedenken schenken Von Wiglaf Droste

Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat dem Buchhandelspreisbindungsträger Martin Walser in die Suppe gespuckt: Mit dem Satz, „Leute wie der DVU-Vorsitzende Gerhard Frey und Ex-Republikaner-Chef Franz Schönhuber sagen es auch nicht anders“, kommentierte Bubis die Frankfurter Festrede, in der Walser die Deutschen anmahnte, es mit dem Gedenken an Auschwitz bitte nicht länger zu übertreiben.

Nun gibt es in der Tat Leute, die, wenn ihnen nichts mehr einfällt, gleich „Auschwitz!“ röcheln. Man kennt das trübe Spielchen zur Genüge: Wer als erster „Faschist!“ ruft, hat gewonnen. Das kann man zu Recht infam finden, dumm und ermüdend. Außerhalb einiger kleiner sich linksradikal empfindender Milieus aber haben genau diese Leute nicht mehr viel zu melden; sie haben sich gründlich diskreditiert.

Martin Walser allerdings hat seine Rede nicht an ein paar versprengte Klüngelköpfe gerichtet; er hat, wie immer, wenn er spricht, auf den gesellschaftlichen Mainstream gezielt. Dem aber einzuschärfen, Auschwitz nicht als „Moralkeule“ zu mißbrauchen, heißt offene Türen einrennen. Das weiß Walser ganz genau; für gesellschaftliche Strömungen hat er ein feines Gespür.

Es wäre falsch, Walsers Rede als Börsenblatt-Preisträger mit seinen Romanen in Verbindung zu bringen; die Kunst ist frei und basta, und auch gelernte Opportunisten können gute Literatur schreiben, wenn sie denn können. Es gibt jedoch eine außerliterarische, rein politische Kontinuität, in der Walsers Rede steht: Seit Jahren fällt der Mann mit hochtönenden Aufsätzen lästig, in denen er den Deutschen geradezu zwanghaft eine „nationale Identität“ bescheren möchte.

Aufmarschierende und auf Mord sinnende Nazis tat Walser lässig als „Kostümfaschisten“ ab; das klang souverän und so, als habe man von albernen Nazidarstellern nichts zu fürchten. Die aber, die tot auf der Straße liegenbleiben, tragen keine Kostüme. Die sind alle echt. Davon möchte Martin Walser ganz rigide und aggressiv nichts wissen – weshalb er auch nicht möchte, daß über Auschwitz zugunsten „gegenwärtiger Zwecke“ geredet wird oder als „Pflichtübung“, wie er das nennt.

Es ist in Wahrheit Walser, der einer rituell erstarrten Erinnerung das Wort redet: Einmal im Jahr wird im Beisein des Bundespräsidenten und seiner ihm immer ähnlicher werdenden Schriftsteller gefrömmelt, zur Dekoration werden auch einige Juden eingeladen, die aber ansonsten bitte zu schweigen haben, wenn sich die Deutschen darüber verständigen, wie man der von ihnen ermordeten Juden richtig gedenkt.

Und deshalb hat Ignatz Bubis das Richtige gesagt und getan, als er den Deutschtümlern in Person von Walser jene Freude verdarb, die diese Leute offenbar empfinden, wenn sie sich, intellektuell, ästhetisch und politisch erbärmlich, selbst abfeiern. Bubis geht den Berufsdeutschen auf die Nerven, decouvriert ihre Ressentiments und bringt sie durch seine bloße Existenz dazu, Dinge zu sagen, von denen sie immerzu beteuern, daß sie so etwas niemals auch nur denken würden. Das ist ein harter Job, aber Bubis macht ihn gut.

Wieso, fragt man sich, ist so ein Mann eigentlich in der FDP?