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Weniger einverstanden

Junge Menschen zwischen Clubbing und Mobbing – das hippe neue Berlin kann sich auf seine vielen Billigjobber verlassen. Und auf ihre Langmut

von SUE HERMENAU

„Sind Sie mit folgender Aussage voll und ganz einverstanden, einverstanden, weniger einverstanden oder ganz und gar nicht einverstanden: Der Werbespot des Riegels Bounty macht Lust auf mehr?“ Solche und ähnliche Fragen zwitschern derzeit mit freundlichen Stimmen durch rund neunzig Callcenter Berlins, eine Zahl, die sich laut Hans Estermann, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Berlin GmbH, in den nächsten zwei Jahren verdoppeln soll. Etwa siebentausend Beschäftigte, größtenteils Schüler und Studenten, telefonieren sieben Tage in der Woche rund um die Uhr in Berlin. Bundesweit seien es etwa 140.000 Arbeitsplätze.

Doch egal ob es nun darum geht, ein Zeitungsabo zu verkaufen, eine Hotline zu besetzen, Bestellungen aufzunehmen oder einfach nur Meinungen zu Zahnpasta und Deodorants einzuholen – der Job ist anstrengend. Bei Stundenlöhnen von acht bis maximal zwanzig Mark werden stählerne Nerven und rhetorische Meisterleistungen verlangt. Wer nicht mitlächelt, hat nichts zu lachen. So geschehen zum Beispiel bei dem Friedrichshainer Callcenter Hotline, das im Januar dieses Jahres 23 Mitarbeiter entließ, die sich für die Gründung eines Betriebsrates eingesetzt hatten. Mitte April eine neue Schikane: Bewerber, die die Vertragsklausel, kein Mitglied der „Antifaschistischen Aktion“ zu sein, nicht unterschreiben wollten, wurden gar nicht erst eingestellt. Die Betriebsleitung begründete ihre Maßnahme damit, keine Mitglieder verfassungsfeindlicher Organisationen beschäftigen zu wollen.

Das Telefonstudio der Weddinger adm GmbH wiederum entließ im April 76 Mitarbeiter, die mit selbst gemachten Formularen Urlaub eingereicht hatten und sich diesen zumindest grundvergüten lassen wollten. Die Anträge wurden von der Betriebsleitung als „zu teuer“ zurückgewiesen und die UnterzeichnerInnen in Einzelgesprächen zu den Rädelsführern befragt. Diesen wurde noch vor allen anderen gekündigt. Und die AudioService GmbH, ein Callcenter des Berliner Anzeigenblatts „Zweite Hand“, fiel im vergangenen Sommer dadurch auf, dass sie ihre Mitarbeiter in einem Tagelöhnerverhältnis anstellte. In den Rahmenverträgen hieß es: „Das befristete Arbeitsverhältnis beginnt mit der für den jeweiligen Tag angegebenen Uhrzeit und endet automatisch mit der angegebenen Beendigungszeit, ohne dass es einer Kündigung bedarf.“ Als daraufhin ein Teil der Tagelöhner einen Brief an die Geschäftsleitung schrieb und unbefristete Arbeitsverhältnisse mit Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall sowie bezahlten Urlaub und Nachtarbeitszuschläge verlangte, setzten die Firmenchefs einen Großteil der Protestler vor die Tür. Einige von ihnen zogen vor das Arbeitsgericht und konnten durch „gütliche Einigungen“ immerhin dreizehn Abfindungen zwischen fünfhundert und 4.900 Mark einklagen.

Investoren schwärmen unterdessen vom attraktiven Standort Berlin. Die Hauptstadt steht als Sinnbild für den Fortschritt. Hier kann noch Geld gemacht werden. Eine Plakataktion der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zeigte auf ironische Weise, was es mit dem so genannten Neuen Berlin auf sich hat: Gut gestylte Mittzwanziger blicken mit teuren Sonnenbrillen gen Fernsehturm. Auch das Sonycenter setzt in seiner neuesten Werbeaktion auf Berlins Image: „Strickkurs? Nein danke! Wir sehen uns im Sonycenter“, lacht eine junge Frau von den Plakatwänden. Hier After Work Clubbing, Zigarren und Caipirinhas, dort unbezahlter Urlaub, Mobbing und Erpressung: Der scheinbare Wohlstand der Medieninszenierung „hippes junges Berlin“ widerspricht den miserablen Arbeitsbedingungen der Menschen, die gezwungenermaßen die Kehrseite des Fortschritts darstellen. Und somit auch für ihn mitverantwortlich sind.

96 Prozent der Betreiber von Telefonstudios würden sich wieder für die Hauptstadt entscheiden, fand eine von der Wirtschaftsförderung Berlin und der Callcenter Akademie finanzierte Studie im letzten Jahr heraus. Gewerbe- und Büroflächen seien hier billiger als anderswo, die Telekommunikationsstruktur gut ausgebildet, die Arbeitskräfte qualifiziert, multilingual und sehr motiviert.

Um den Leistungsdruck nur ja nicht abzumildern, laufen viele Beschäftigungsverhältnisse halbtags und auf Provisionsbasis, das heißt der Interviewer erhält keinen festen Stundenlohn, sondern wird pro Gespräch bezahlt. Diese „leistungsorientierte und damit gerechtere“ Bezahlung, wie es in verschiedenen Erklärungen von Callcentern heißt, soll den hohen Fluktuationsraten von zwanzig Prozent entgegenwirken. Im Internetchat auf der Seite www.callcenterprofi.de schreibt der Betreiber eines Callcenters: „Dass der Verdienst nach unten geht, ist den wenigen ‚Schwarzen Schafen‘ unserer Branche anzulasten, die ihre Mitarbeiter immer noch ‚in Stück‘ berechnen. In unserem Callcenter werden höhere Gehälter gezahlt, und unsere Fluktuationsrate liegt bei unter fünf Prozent! Wir müssen endlich weg von ‚hirnlosen Maschinen‘ am Telefon hin zu verantwortungsbewussten Mitarbeitern, die sich loyal und motiviert als Schnittstelle zwischen Kunden und Unternehmen sehen. Erst dann wird sich der schlechte Ruf der CC-Branche bessern.“

In Berlin haben sich im März 1999 zwei Kleingruppen und mehrere Einzelpersonen zur „Callcenter Offensive“ zusammengeschlossen, um sich gemeinsam gegen die schlechten Arbeitsbedingungen zur Wehr zu setzen. Ihnen gehe es darum, sich am Arbeitsplatz zu organisieren, das Image der schönen neuen Arbeitswelt zurechtzurücken, heißt es in der Webpage (www.callcenteroffensive.de). Robert Hagen, Sprecher der Offensive, beschreibt die Lage: „Es gibt große regionale Unterschiede. Die Lohnhöhe bei den Callcentern im Raum Frankfurt und im Ruhrgebiet ist wesentlich höher als in Berlin, ganz dunkel wird es dann in den neuen Bundesländern. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es Telefonstudios, die ihren Interviewern einen Festlohn von unter neun Mark pro Stunde zumuten.“

Andere Verdienstmöglichkeiten für Studenten bieten Agenturen, die ihre Auftraggeber mit Servicepersonal oder Abendbegleitungen versorgen. Wer jung und flexibel ist, hat gute Chancen auf einen Tagesjob im Catering-, Promotion- oder Hostessbereich. Etwa sechzehn Mark die Stunde gibt es für das Servieren von Lachshäppchen und Sekt auf Empfängen oder Messen. Die Arbeitskleidung muss selbst gestellt werden: Frauen tragen einen schwarzen Rock und eine weiße Bluse, Männer schwarze Hose und weißes Hemd. Wer zu spät kommt oder gar nicht erscheint, muss mit einer Vertragsstrafe von bis zu zweitausend Mark rechnen.

Lara ist Germanistikstudentin und arbeitet ab und an für die Agentur „stand by“ im Prenzlauer Berg. Ihr wurden kürzlich zwei Stunden vom Lohn abgezogen, weil ein Supervisor sie dabei erwischt hatte, wie sie sich während ihrer Arbeitszeit eine Gabel Rucolasalat in den Mund geschoben hatte – von den Gästen unbemerkt. Rauchen, trinken und essen sind nicht erlaubt, eine Pause ist nicht vorgesehen.

Michel fährt gern Fahrrad und hat es seit einem halben Jahr zu seinem Nebenjob gemacht. Nun fährt er drei Tage in der Woche als Kurier in Berlins City für eine Kreuzberger Fahrradkuriervermittlung seine hundert Kilometer täglich – bei einem Durchschnittslohn von hundert Mark. Dafür muss er zwölf Stunden ohne Einschränkung zur Verfügung stehen, von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends. Die abgearbeiteten Aufträge bekommt er nur zu 67 Prozent bezahlt, 33 Prozent verrechnet seine Vermittlerfirma als Gebühr. Auch die Kosten für eine Transport- und Haftpflichtversicherung werden abgezogen, krankenversichern muss sich Michel privat.

Bis vor einem Monat kam er mit vierzig Mark monatlich auch noch für seine Funkkosten auf, doch jetzt werden die Aufträge per SMS angeboten. Als Selbstständiger mit Gewerbeschein erhält auch er keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaubsgeld. „Das führt unter anderem dazu, dass viele Kollegen krank arbeiten, das heißt mit hohem Fieber und starken Kopfschmerzen ausliefern, weil sie sich keine Ausfälle leisten können. Wer aufmuckt, bekommt keine Aufträge mehr vermittelt und kann einpacken. Mit dem Chef will es sich niemand verscherzen“, sagt Michel. Einen Betriebsrat gibt es zwar nicht, doch wollen sich die zwanzig Fahrer in Zukunft alle zwei Wochen treffen, um über Probleme zu reden. Zum Beispiel darüber, dass sie bei Lieferungen in die Außenbezirke häufig Leerkilometer in Kauf nehmen müssen, bis sie endlich wieder in gefragteren Citygegenden angelangt sind. Oder darüber, dass sie oft zwei Stunden unbezahlt warten, sich aber nicht vom Standort entfernen dürfen. „Da sitzt du dann eine Ewigkeit mit den Pennern auf dem Breitscheidplatz“, sagt Michel seufzend, „und wartest auf das Handypiepen.“

SUE HERMENAU, 20, lebt von der Hand in den Mund, und zwar in Berlin

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