Weniger Treibhausgase durch Homeoffice: Lockdown nutzt dem Klima
Telearbeit schützt das Klima und entlastet den Verkehr. Umweltschützer setzen sich für ein Recht auf Homeoffice ein.
„Das Homeoffice ist eine Möglichkeit, stau- und abgasgeplagte Städte dauerhaft zu entlasten und Emissionen im Verkehrsbereich zu senken“, stellen die IZT-Autorinnen Lisa Büttner und Anna Breitkreuz in ihrer Studie „Arbeiten nach Corona. Warum Homeoffice gut fürs Klima ist“ fest. Nach ersten Schätzungen hat sich mit dem Lockdown seit März, mit dem aus Gründen des Infektionsschutzes auch viele Betriebe der Dienstleistungsbranche zeitweilig geschlossen wurden, der Anteil der „elektronischen Heimarbeit“ in der deutschen Wirtschaft auf 25 bis 37 Prozent erhöht. Zuvor lag die Zahl der Homeoffice-Nutzerinnen und -Nutzer bei etwa 13 Prozent.
Der Homeoffice-Schub hat auch ganz Europa erfasst, wie die in der Studie verwendeten neueren Daten der EU-Statistik-Behörde Eurostat verdeutlichen. Danach hat sich im ersten Halbjahr 2020 der Anteil der Homeoffice-Arbeitsplätzen an allen Arbeitsstätten auf 39 Prozent erhöht. Spitzenreiter ist Finnland mit 59 Prozent vor Holland mit 54 und Belgien mit 53 Prozent. Deutschland rangiert in der EU-Statistik mit 37 Prozent Homeoffice-Arbeitsplätzen etwas unterhalb des Europa-Durchschnitts. Erstaunlicherweise kommen auch die baltischen Staaten, sonst IT-Pioniere, auf keine höheren Werte. Schlusslicht ist Rumänien mit 18 Prozent.
„Der sprunghafte Anstieg von Menschen, die plötzlich von zu Hause aus arbeiten, hat der digitalen Durchdringung unserer Gesellschaft einen Schub versetzt“, heben die IZT-Forscherinnen hervor. Bisherige Arbeitsroutinen würden durch die aktuellen Erfahrungen mit dem verteilten Arbeiten in der Pandemie neu bewertet: „Müssen wir fünf Tage die Woche von unserer Wohnstätte zu einem teilweise weit entfernten Schreibtisch bewegen? Oder lassen sich viele Tätigkeiten nicht ebenso gut am heimischen Schreibtisch erledigen?“ Das klassische Pendlermodell, das für die gesundheits- und klimaschädlichen Verkehrsemissionen mit verantwortlich ist, kommt auf den Prüfstand.
Weniger Pendelverkehr
Die IZT-Untersuchung rechnet zwei Modelle durch: Ein oder zwei zusätzliche Homeoffice-Tage und ihre Umweltauswirkungen, und zwar in zwei Varianten. Das „konservative Szenario geht von einem Homeoffice-Anteil von 25 Prozent aus, die „fortschrittliche Variante“ legt 40 Prozent zugrunde. „In unserem konservativen Szenario könnte ein zusätzlicher Homeoffice-Tag in Deutschland 1,6 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen und die Verkehrsleistung des Pendelverkehrs um 10,9 Milliarden Personenkilometer reduzieren“, bilanziert die Studie. Damit könnten die Emissionen des Pendelverkehrs pro Jahr um 5 Prozent gesenkt werden.
Im fortschrittlichen Szenario werden an einem Tag 18,4 Milliarden und bei zwei Tagen 35,9 Milliarden Personenkliometer an Pendelfahrten eingespart. Daraus ergeben sich jährliche Emissionsreduktionen von 2,8 Millionen Tonnen CO2 bei einem und 5,4 Millionen Tonnen CO2 bei zwei Tagen. „Das entspricht 18 Prozent der Emissionen aus dem Pendelverkehr und 4 Prozent der Gesamtemissionen des Personenverkehrs in Deutschland.“ Auch die Straßen würden gerade in den Stoßzeiten deutlich entlastet. Ein Stück Verkehrswende durch mehr Heimarbeit.
Vor allem der private Autoverkehr müsste reduziert werden. Nach Daten des Bundesverkehrsministeriums stammen von den jährlich 30 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus dem Verkehr in Deutschland 90 Prozent aus dem Pendelverkehr mit dem privaten Auto zum Arbeitsplatz. Der übergroße Anteil, nämlich 86 Prozent, entsteht aus Fahrten, bei denen nur eine Person im Auto sitzt. Lediglich 6 Prozent, sind auf Mehrpersonenfahrten zurückzuführen. Allein an dieser Stelle ergäbe sich ein Reduktionspotential. Acht Prozent der Emissionen stammen aus dem öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Zum Vergleich: Der gesamte Personenverkehr verursacht jährlich 145 Millionen Tonnen CO2.
„Die Coronamonate haben gezeigt, dass sich viele Arbeiten problemlos von zu Haus erledigen lassen“, erklärt Greenpeace-Sprecher Benjamin Stephan. „Bundesregierung und Unternehmen sollten die Arbeit im Homeoffice jetzt konsequent fördern, denn Telearbeit schützt das Klima, entlastet den Verkehr und schenkt Arbeitnehmenden Zeit und Flexibilität.“
Geld für öffentlichen Verkehr
Die Bundesregierung sollte jetzt damit beginnen, die Pendlerpauschale schrittweise zu streichen und die freiwerdenden Gelder in einen attraktiven öffentlichen Verkehr investieren, lautet eine zentrale Forderung der Umweltorganisation. Auf diese Weise könnten auch schlechter bezahlte ArbeitnehmerInnen profitieren, „deren Tätigkeiten sich seltener ins Homeoffice verlagern lassen“.
Nötig sei ein „gut gestalteter regulativer Rahmen“, in dem faire Arbeitsbedingungen mit Maßnahmen zur Förderung erneuerbarer Energien kombiniert werden: „Dann kann Homeoffice ein wichtiger Teil der Mobilitätswende sein“, so Greenpeace. Zum künftigen Rechtsrahmen, den die Studie skizziert, sollte etwa „ein Recht auf Homeoffice“ gehören. Was bedeutet: „Arbeitende, deren Tätigkeiten sich auch von zu Hause erledigen lassen, sollten daran von ihren Arbeitgebern rechtlich nicht gehindert werden können.“
Hinzukommt die Verbesserung der in Deutschland noch unzureichenden technischen Infrastruktur, kurz: „Gutes Netz für alle“. Konkret müsse der rasche Ausbau von Glasfaseranschlüssen und die Einführung eines flächendeckenden 5G-Netzes für alle Haushalte, auch in den ländlichen Regionen, vorangetrieben werden, damit die Hardwarevoraussetzungen für Telearbeit gegeben sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut