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Wembley-Untor: Trauer in Lagos

Kamerun gewinnt den Cup, der afrikanische Fußball viel Auftrieb ■ Von Kurt Wachter

Lagos (taz) – Auf den ersten Blick fand der Afrika-Cup in Lagos ein trauriges Ende, jedenfalls aus Sicht der nigerianischen Gastgeber. 2:2 hatte das Finale zwischen Nigeria und Kamerun gestanden nach Verlängerung, dann brachte das Elfmeterschießen die Super Eagles aus Nigeria zum Absturz. Tragischer Loser war Victor Ikpeba. Sein Strafstoß landete an der Lattenunterkante, sprang hinter die Linie (wie TV-Aufnahmen nachher bewiesen), aber der tunesische Schiedsrichter gab das Tor nicht. Ikpeba: „Der Referee wollte dem kamerunischen Verbands-Präsidenten einen Gefallen tun. Das war afrikanische Politik und nicht gut für den Fußball.“

Für Nigeria hätte der Cup-Gewinn ein Symbol des neuen demokratischen Aufbruchs sein können. Kanu, Okocha, Oliseh und Co. hatten aber schon während des Spiels große Mühe, die schnelle 2:0-Führung der besseren Kameruner zu parieren. Insofern zwar unverdiente Umstände, aber ein verdienter Sieg. Das sahen die Fans der Heimmannschaft indes anders. Etliche von ihnen stürmten während der Siegerehrung auf die Laufbahn am Spielfeldrand, die Polizei setzte Tränengas ein. Auch in der Umgebung des Surulere-Stadions gab es tumultartige Szenen.

Die 32 Spiele dieses Afrika-Cups haben unzweifelhaft guten Fußball gebracht. Mit Kamerun und Nigeria standen die beiden komplettesten Teams im Endspiel. Nigeria aufgrund der Besetzung mit hochkarätigen Kickern auf allen Positionen, und Kamerun, weil es der Mannschaft gelang, ihre traditionell physische Spielanlage mit hochklassigem Kombinationsspiel zu verbinden. Außenseiter wie Senegal, Kongo (immerhin 0:0 gegen Nigeria) oder Togo (einziges Team, das Kamerun schlagen konnte, 1:0), zeigten, dass auch in Ländern mit miserablen Ligen guter Fußball gespielt werden kann.

Doch war dieser Afrika-Cup 2000 der herbeigesehnte Aufbruch in ein neues Fußballjahrtausend im Zeichen des schwarzen Kontinents? Die mögliche Vergabe der WM 2006 an Südafrika wäre ein großer Schritt in Richtung der Teilhabe Afrikas am globalisierten Fußball-Business. Nicht nur als Lieferant von fußballerischem Rohstoff für europäische Ligen, sondern als stolzer Gastgeber und Mitverdiener.

Geschätzt 200 Milliarden Dollar setzt die Fußballindustrie weltweit jährlich um. Afrika bekommt davon gerade mal ein Prozent ab. Einen Anfang machte die erfolgreiche Einführung der afrikanischen Champions League 1997. Durch die Vermarktung über die französische Agentur Mediefoot können die Spitzenklubs erstmals Geld verdienen. Es bleiben aber die altbekannten Probleme, denn der Fußball existiert nicht außerhalb der Gesellschaft. Er leidet wie die übrige Zivilgesellschft an den gleichen Symptomen der Armut: staatliche Vereinnahmung, Korruption und zuweilen Gewalt.

Unmittelbar am eigenen Körper bekamen die Kicker von der Elfenbeinküste die staatliche Einflussnahme zu spüren. Nach demVorrunden-Aus wurde das Team in einem Militärcamp in der Hauptstadt Yamoussoukru interniert. Dort wurde sie auf Anweisung des neuen Machthabers General Guei Patriotismus und Diziplin gelehrt. Das passte gar nicht zum Fifa-Bild der netten Fußballweltfamilie und am wenigsten den Konzernen Inter Mailand und Olympique Marseille, deren Humankapital Cyrille Domoraud und Ibrahima Bakayoko hier interniert wurde.

Zudem bleibt das Dilemma der importierten Trainer. Von den Sportministern und Verbänden für viel Geld angeheuert, werden die Heilsbringer ebenso schnell wieder gefeuert. Mit Henri Michel hat Marokko den 17. ausländischen Experten seit 1969 verbraucht, nur sechs waren seither aus dem eigenen Land. In Sachen Infrastruktur und Organisation liegen sowieso noch Welten zwischen afrikanischem und europäischem Fußball.

Verblüffend ist, dass trotz der gravierenden Probleme so guter Sport geboten wird. Die Teams aus Nigeria, Ghana und Kamerun werden fast ausschließlich aus den europäischen Ligen rekrutiert, auch die Trainer sind Europäer. Die Reisekosten sind hoch, ebenso die Versicherungsprämien und die Schwierigkeiten, vom Club freigesellt zu werden, sind immens. Dennoch: Borussia Dortmunds Stürmer Otto Addo verteidigt die Ausrichtung nach Norden: „Der afrikanische Fußball profitiert sicher davon, dass so viele in Europa spielen, Europa ist uns voraus, nicht nur fußballerisch.“

Einen Gegenentwurf liefert WM-Teilnehmer Tunesien, der im kleinen Finale Südafrika 5:6 nach Elfmeterschießen unterlag. Nur Adel Sellimi vom SC Freiburg spielt bei einem europäischen Klub, der Rest kommt aus den lokalen Vereinen Espérance, Club Africain und Etoile de Sahel. Und der Klubfußball ist höchst erfolgreich: In den vergangenen beiden Spielzeiten konnten diese Teams alle drei Kontinentalwettbewerbe gewinnen. In der afrikanischen Champions League hatte Espérance zuletzt lediglich gegen Raja Casablanca das Nachsehen.

Otto Addo glaubt dennoch an das exportorientierte Modell: „Afrikanische Mannschaften müssen sich bei der WM oder den Vereins-Weltmeisterschaften profilieren. Dazu braucht man halt die Spieler aus Europa, und dazu muss man erst mal nach Europa gehen, um dort zu lernen. Dann kann man das im eigenen Land umsetzen.“

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