Welttag für humanitäre Hilfe: Nur Geld reicht nicht

Die Hilfe, die Deutschland in Krisengebiete schickt, reicht nicht aus. Ex­per­t:in­nen fordern mehr Personal vor Ort, um das Geld sinnvoll zu verteilen.

Menschen mit Tüten und Taschen in einer Schlange

Warteschlange vor einer Essensausgabe in Bucha, in der Nähe von Kiew Foto: Emilio Morenatt/ap

BERLIN taz | Deutschland hat seine Mittel für humanitäre Hilfe in den letzten zehn Jahren massiv aufgestockt, jedoch fehlt es an Personal. Im letzten Jahr stellte das Auswärtige Amt 2,57 Milliarden Euro als humanitäre Mittel zur Verfügung und ist damit nach den USA der zweitgrößte Geldgeber weltweit, gemessen am Bruttosozialprodukt. Anlässlich des Welttags für humanitäre Hilfe fordert Ralf Südhoff, der Direktor des Centre for Humanitarian Action e. V. (CHA) einen „substanziellen Personalaufwuchs“ vor allem in den humanitären Referaten des Auswärtigen Amtes.

Nur so könne sinnvoller und gezielter Hilfe geleistet werden, wo sie gebraucht wird. In Deutschland verwalte ein:e Mit­ar­bei­te­r:in 27,9 Millionen Euro. Das seien zu viel für eine Einzelperson und der bürokratische Aufwand wäre zu groß, dieses Geld gezielt an kleinere, lokale Organisationen in den Krisengebieten einzusetzen. Deswegen verteile Deutschland das Geld eher an große Hilfs- oder UN-Organisationen, so Südhoff.

Ein Vergleich mit Schweden zeigt: Das Land spende zwar weniger Geld insgesamt (405 Millionen Euro), jedoch wird das Geld besser auf die einzelnen Mit­ar­bei­te­r:in­nen verteilt. Neun Millionen Euro verteilt ein:e schwedische Mit­ar­bei­te­r:in der humanitären Mittel und kann so gezielter agieren. Auch für Deutschland wäre das eine sinnvollere Möglichkeit. Leider scheint aber keine Änderung in der Mittelverteilung abzusehen. Mit Sorge betrachtet der ehemalige Leiter des Berliner Büros des UN-World Food Programms die Finanzplanung der Ampel-Regierung: „Für 2023 sollen zehn Prozent der Mittel des Auswärtigen Amtes gekürzt werden, das wird dramatische Folgen für die Humanitäre Hilfe haben.“

Hilfe wird anders gebraucht als gedacht

Der Bedarf an langfristigen Hilfen werde unterschätzt. „Im allgemeinen Bewusstsein sind eher Mittel notwendig, das Personal und Verteilung dieser wird dabei aber vergessen“, sagt Südhoff. „Es sind weiterhin deutlich mehr Mittel notwendig, das Personal dazu und ihre Verteilung darf dabei aber nicht weiter vernachlässigt werden.“ Außerdem führen politische Fragen zu weniger bis keiner Zusammenarbeit. Zum Beispiel in Syrien leiste die Bundesregierung aus legitimen Gründen keine Entwicklungshilfe, um den Diktator Baschar al-Assad nicht zu unterstützen – ein gezielter Ausbau der Infrastruktur etwa zur Wasserversorgung wäre aber dennoch möglich und wesentlich sinnvoller als zum Beispiel Wasserlieferungen im Zuge einer andauernden Nothilfe, erklärt Südhoff das Problem.

CHA ist nach eigenen Angaben ein Think Tank zu Fragen und Diskussionen zu humanitärer Hilfe. Der Verein wird unter anderem von der Caritas, der Diakonie und des Deutschen Roten Kreuzes getragen.

Klar ist: Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Krisensituationen weltweit verschlimmert. Das Auswärtige Amt schreibt, mehr als 130 Millionen Menschen weltweit sind im August dieses Jahres aufgrund von Kriegen und Naturkatastrophen auf Hilfeleistungen angewiesen. Insgesamt sind es nach den Vereinten Nationen Ende Juli sogar 305 Millionen Menschen.

Lebensgefährliche Einsätze

Neben der Kriegssituation in der Ukraine sprechen Hilfsorganistionen von „vergessenen Krisen“, bei denen die Hilfe nicht ankommt. „Gerade die Hilfen für die Menschen in den ‚vergessenen Krisen‘ steigen aber nicht in dem Maße wie der Bedarf“, sagte der der Vorstandsvorsitzende des Verbands Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (Venro) Mathias Mogge dem evangelischen Pressedienst. Nach UN steigt der Bedarf an Hilfe stetig an. Im Jahr 2022 kann bis jetzt aber nur knapp ein Drittel der Bedarfe durch die vorhandenen finanziellen Mittel gedeckt werden. Voriges Jahr waren es immerhin 53,5 Prozent.

Helfer:innen, die vor Ort in den Ländern sind, riskieren ihr Leben. Nach den Erhebungen der Aidworker Security Datenbank gab es nur dieses Jahr 74 große Attacken auf Entwicklungshelfer:innen. Zwischen Januar und August 2022 sind 44 Menschen aus Hilfsorganisationen gestorben. Im Südsudan befürchten Ex­per­t:in­nen laut der Organisation Care die größte Hungersnot der letzten elf Jahre. Hier starben dieses Jahr elf Mit­ar­bei­te­r:in­nen bei Einsätzen.

Der diesjährige Welttag für humanitäre Hilfe steht unter dem Motto #ItTakesAVillage. Dieses ist angelehnt an das Sprichwort: „It takes a village zu raise a child“, also, dass es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind großzuziehen. Im Zusammenhang mit der Hilfe an Krisenorten soll es heißen, dass in humanitären Notsituationen viele Organisationen und Freiwillige zusammenarbeiten müssen. Der Welttag für humanitäre Hilfe wird seit 2009 jedes Jahr am 19. August begangen. An diesem Tag wurden 2003 der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Sergio Vieira de Mellothe, und zwanzig weitere Personen bei einem Anschlag auf das Canal Hotel in Bagdad ermordet.

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