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Weltrekordversuch im BarfußlaufenDie Lederhaut

Auch wenn der Asphalt glüht und der Schotter pikst: Aldo Berti läuft. Barfuß. Acht Wochen, 2.100 Kilometer durch Deutschland bis in die Schweiz.

Aldo Berti läuft Foto: Lisa Hagen

Sein Gang ist beschwingt, doch gut durchdacht. Jeder Schritt sitzt. Die Augen hat er auf den Boden geheftet. Im Schnellverfahren scannen sie den Untergrund. Moos ist eine Eins. Samtig, weich, federnd. Die weiße Markierung des Ze­bra­streifens: eine Zwei. Er nennt sie seinen Flokati­teppich. Der spitze Schotter: eine Sechs. Unerbittlich bohrt er sich in seine Füße, der Schmerz schießt bis ins Hirn, sagt er.

Es ist der erste Tag der dritten Woche. Aldo Berti steht in der Lübecker Altstadt und tippt auf seinem Handy. Blechern erschallt die Ansage der GPS-Tracking-Dame, seiner Wegbegleiterin während der kommenden Wochen. „Aktivität gestartet“. 35 Kilometer von Lübeck nach Bad Oldesloe liegen vor ihm, acht Stunden Fußmarsch.

Aldo Berti ist 53 Jahre alt, die verbliebenen Haare trägt er kurz geschoren. Seine Stimme ist warm und weich. 12 Kilogramm trägt er auf dem Rücken, knappe 100 am Körper. Anderthalb Jahre hat er für seinen Weltrekordversuch trainiert. In den kommenden Wochen soll sich zeigen, ob sich das Training gelohnt hat.

Auf den Feldern wiegt sich der Weizen, vor ihm summieren sich ein paar Häuser zu einem Dorf. Erst Teer, dann Kopfsteinpflaster. Vor einem Gartenzaun bleibt Aldo Berti stehen. Auf einem Schild steht: „Lass dich nicht von dem abbringen, was du unbedingt tun willst. Wenn Liebe und Inspiration vorhanden sind, kann es nicht schiefgehen.“ Er fischt sein Handy aus der Jackentasche und schießt ein Foto. „Ein gutes Motto für den Tag“, sagt er, lächelt und läuft weiter.

Der Anfang geht sich wie von selbst

Insgesamt wird Aldo Berti zwei Monate unterwegs sein, bis er sein Ziel, das Kloster Einsiedeln in der Schweiz, kurz hinter der deutschen Grenze, erreicht. Er nennt seine Wanderung die „Barfußweltrekord-Charity-Pilgertour“.

So lang der Name, so vielschichtig die dahintersteckende Idee. Barfußweltrekord, denn diesen will Aldo Berti aufstellen und in kürzester Zeit weiter als jeder andere Mensch barfuß laufen. Die Vorstellung, am Ende im „Guinness-Buch der Rekorde“ zu stehen, kitzelt sein Ego. „Wer kann schon von sich behaupten mit über 50 Jahren noch einen Weltrekord aufgestellt zu haben?“ Er grinst.

Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, aber ich will es schaffen und ich trau mich

Aldo Bert, barfussläufer

Charity, denn auf seiner Tour sammelt er Spenden für hilfsbedürftige Kinder. Und Pilgertour, weil das seit Hape Kerkeling ein Synonym für den Weg zu sich selbst ist, auch ohne religiösen Hintergrund. Aldo Berti arbeitet als Therapeut oft mit Menschen, die ausgebrannt sind, kraftlos, ohne Antrieb. Er selbst ist kein Sportler. Gerade deshalb will er seine Patienten mit der Wanderung inspirieren. Ihnen zeigen, dass es sich lohnt, die eigene Komfortzone zu verlassen. „Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, aber ich will es schaffen, und ich trau mich.“

Kilometer 12. Der Anfang geht sich wie von selbst, sagt er. Der Pfad ist schmal und ­schlängelt sich zwischen den Buchen ­dahin. Feuchte Erde, Moos, Laub. Aldo Berti singt, erst leise, dann immer lauter, Rigoletto von Verdi. Manchmal fällt ihm der Text nicht ein, dann summt er weiter. Vögel zwitschern, der Wind rauscht durch die Wipfel.

Früher war Aldo Berti Opernsänger. Bassbariton. In Stuttgart, München und Hamburg stand er auf der Bühne. Heute hilft ihm die Musik, den Kopf leer zu bekommen. „Das Ziel ist es, wie in der Meditation an nichts aktiv zu denken, den Kopf freizubekommen.“

Der Bassbariton

Mittags. An einer Bank macht Aldo Berti Pause. Fußkontrolle. Aus seinem Rucksack holt er eine Plastiktüte. Darin sind Enzymspray, „das stärkt die Füße“, Pflegeschaum, eine Pinzette und Sekundenkleber, „mein Patentmittel“. Seine Füße sehen weich aus, keine Spur von Hornhaut. „Wirklich wichtig ist die Lederhaut“, erklärt Berti, „also die Hautschicht unter der oberen Haut.“

Er klopft den Dreck von seinen Füßen und streicht über die Sohlen. Ein unbemerkter Schnitt könnte sich infizieren und seinen Weltrekordversuch beenden. Ein Glassplitter hat sich in seinen Ballen gespießt. Er pult ihn raus, reinigt die Wunde und versiegelt sie mit Sekundenkleber. „Ein normales Pflaster würde keine zehn Meter überstehen“, sagt er.

25 Kilometer. Aldo Berti folgt dem Wanderweg entlang der Trave. Angenehm geteert, wenn da nicht diese Steinchen wären, die sich immer wieder in seine Sohlen bohren. Am Straßenrand steht eine ältere Frau und werkelt in ihrem Garten. „Moin“, ruft Aldo Berti und erklärt ihr sein Vorhaben. „Es wäre toll, wenn Sie sich auf meiner Webseite ins Gästebuch eintragen. Ich brauche immer Zeugen, die bestätigen, dass sie mich barfuß gesehen haben.“ „Klar, na dann mal viel Erfolg und keine Blasen“, sagt sie und winkt ihm hinterher.

„30 Kilometer, Geschwindigkeit 4,2 Kilometer pro Stunde“, verkündet blechern die GPS-Tracking-Dame aus seinem Handy. Es sind die letzten Kilometer, die sich unendlich anfühlen. Jeder Schritt schmerzt, Die Fußsohlen sind gereizt, der spitze Schotter tut den Rest. Aldo Berti geht nicht mehr, er eiert. Auf der Straße rauschen Autos vorbei. 33 Kilometer. Häuser bauen sich am Straßenrand auf. Kurz hebt Aldo Berti seinen Blick zum Wegweiser „Zentrum“. 34 Kilometer. Die Altstadt von Bad Oldesloe.

Aldo Berti geht nicht mehr, er stürmt über den Marktplatz. Erst am Brunnen hält er, klettert hinauf und taucht seine Füße ins Wasser. „Aktivität beendet“, kommentiert die GPS-Tracking-Dame nüchtern.

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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Allenfalls ein eurozentristischer Deutschlands der Moderne.

    Motive und Botschaft und Leistung: aller Ehren wert!

  • Ich erinnere mich an den knöchernen Gilberto aus meiner ländlichen Heimat, der Jahrzehnte Brennholz aus dem Wald schleppte, so vll 50 Kilo auf dem Rücken, um es einer Köhlerei zu verkaufen, Barfuß. Schuhe zog man allgemein zur Feier oder Sonntagsmesse an. Meine Kindheit war Barfuß.

    Wohl ein Weltrekord der ersten Welt. Trotz allem und aus meiner heutigen Sicht darauf bewundernswert.

    • @lions:

      Geschätzte - dem ersten Teil stimme ich aus eigener Lebenserfahrung zu. &

      Aus der Familienlegende.

      "Nu kiek dir dit an -

      Die Olle uffjetakelt wie ne Frejatte - &

      Det Bams - barfuß!"

      Lehnte er doch zwischen den Schneezeiten &

      Bis zur Einschulung - kühl - Schuhe ab.

      (& nochens sojet Naturburschenticks;)

       

      Zum übrigen - Hat nicht mal - ¿?¡!;)

      Die Wahrheit der taz ein - Schonn -

      Allgemeines Verbot für solcherart - öh Fehlnisse - Ausgesprochen - doch doch Umrundungen etc usw usf

      Im Kinderschlauchboot Niagara -

      Einarmumschwimmen Grönland &

      So jet Anwandlungen?!;)

      • @Lowandorder:

        Der könnte es gewesen sein: http://www.taz.de/!5065705/

         

        Was mich am Barfußlauf dann doch fasziniert ist, dass in einer ansonsten gepamperten Umwelt einer mal wieder ne asketische Karte zieht; Hat doch was sympathischeres, als die anderen Merkwürdigkeiten. Wenn ich bedenke, welche kostenintensives Wanderschuhwerk heute an diesbezgl. Wandernarren verscherbelt wird, die ihre 35 km absolvieren müssen. Ach, da fällt mir doch gleich noch der Ötzi mit seiner Alpinsandale ein.

        • @lions:

          Ja der ist mir auch gleich eingefallen -

          But. Alpinsandale - ¿? - hm.

          Mal Freund&Sangebruder Harm fragen. Der hat ja noch was übrig -

          Für übrige Ötzi-Fragen - wa!

          "…Eine Frage, die er nicht lösen kann, ist die nach dem Warum: "Natürlich klingt es gut, wenn man sagt, er war auf der Flucht. Aber woher will man das wissen? Vielleicht wollte er ja auch nur die schönen Blümchen auf der Alm pflücken. Das lässt sich nicht herausfinden." – https://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/zwischen-oetzi-und-den-wikingern-id1971021.html

          & abschließend passend

          "…Aber Wikinger oder Steinzeitmensch sei er nicht, betont er: "Die sind alle tot. Ich bin ein Mensch von heute und kenne die Wikingerzeit zu gut, als dass ich in ihr leben wollte." – Quelle: https://www.shz.de/1971021 ©2017

           

          So jet halt. Sandalenista hin oder her - gell.

          • @Lowandorder:

            Da hätt ich noch einen Grund für seine Alpentour: Weltrekordversuch im ice-mummifying. Wurde glaube ich von nem sibirischen Mammut weiterhin gehalten. Na ja, in jedem Fall tragisch.