Weltmarkt im Ungleichgewicht: Europas Gaskäufe und Asiens Problem
Europa kauft plötzlich große Mengen Flüssiggas. Andere Länder finden nun keine Anbieter mehr. Insbesondere asiatische Staaten sind betroffen.
Das ist für Länder ein Problem, die ihren Gasbedarf nicht nur mit langfristigen Lieferverträgen gedeckt haben, sondern auch Gas kurzfristig auf dem „Spotmarkt“ kaufen. Dieser macht knapp zwei Fünftel des gesamten LNG-Markts aus und das Gas war dort meist günstiger zu haben als mit langfristigen Verträgen.
Doch wer in der Vergangenheit gespart hat, zahlt jetzt drauf. Das größte Problem haben dabei Länder in Asien, allen voran Pakistan. Das Land begann das Jahr mit einer Wirtschafts- und Finanzkrise, erlebte dann eine Hitzewelle und nun eine katastrophale Überschwemmung. Dazu kommen Stromausfälle, weil Gas fehlt. Das Land ist im Juli zum vierten Mal daran gescheitert, Gas auf dem Spotmarkt zu beschaffen. Es lag kein einziges Angebot vor.
Noch kritischer ist die Lage in Sri Lanka. Wegen mangelnder Devisenreserven kann das Land quasi keine Importe mehr bezahlen – egal ob Medikamente oder eben Gas. Aber auch Bangladesch leidet, obwohl es finanziell besser aufgestellt ist als Sri Lanka und Pakistan. Das Land hatte im Juli Stromausfälle und der größte Stahlproduzent des Landes, BSRM Steels, hat wegen der Energiekrise seine Produktion um ein Fünftel gekürzt.
In Südostasien ist insbesondere Thailand betroffen. Dort geht die einheimische Produktion seit Jahren zurück und zuletzt sind Importe aus Myanmar (Burma) wegen westlicher Sanktionen weggefallen. Da Thailand mehr als die Hälfte seines Strombedarfs mit Gaskraftwerken deckt, muss es nun Flüssiggas importieren. Das kann man seit Anfang September auch an der Stromrechnung ablesen: Strom ist jetzt 18 Prozent teurer als im Vormonat.
Für viele dieser Länder kommen noch zwei weitere Probleme dazu: Seit Beginn des Krieges hat sich der Kohlepreis knapp verdoppelt, von 240 auf 414 Dollar pro Tonne und der Dollar ist im Vergleich mit den meisten Währungen stark gestiegen. Das verteuert Importe vom Weltmarkt, wenn man diese in Thai Baht, Bangladeschs Taka oder in pakistanische Rupien umrechnet.
Zwei Faktoren könnten allerdings für etwas Entspannung sorgen: Freeport LNG, der zweitgrößte LNG-Exporteur in den USA, hofft, im November die Exporte wieder aufnehmen zu können. Wegen einer Explosion fiel dieser Anbieter ab Juni aus. Und in Europa dürften die Gasspeicher demnächst voll sein.
Tom Haddon von der niederländischen Beratungsfirma Arcadis twitterte: „Deutschland hat erklärt, dass sich die Lagerbestände schneller als erwartet füllen, was darauf hindeutet, dass diese staatlich beauftragten Käufer kurz davor stehen, aus dem Markt auszusteigen.“ Dann könnte am Spotmarkt für Gas der Preis sinken – zumindest kurzfristig. Denn sobald in Europa die nächste Heizsaison beginnt und sich die Speicher wieder leeren, kommen die Europäer wieder als Käufer zurück – koste es, was es wolle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
Hamas und Israel werfen sich gegenseitig vor, Gespräche zu blockieren