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Welthunger-Index 2020 vorgestelltCorona führt zu mehr Hunger

Die Welthungerhilfe warnt vor den globalen Folgen der Pandemie. Das Ziel der UN, ein Planet ohne Hunger im Jahr 2030, rücke in weite Ferne.

Noch sind die Löffel leer: Suppenküche für bedürftige Familien in Santaigo de Chile Foto: Ivan Alvarado/reuters

Berlin taz | Die Welthungerhilfe (WHH) warnt vor einer drastischen Zunahme von Hunger und Armut durch die Coronapandemie. „Corona wirkt wie ein Brandbeschleuniger“, sagte die Präsidentin der Hilfsorganisation, Marlehn Thieme, am Montag bei der Vorstellung des Welthunger-Index 2020. „Armut und Hunger nehmen nach allen Prognosen stark zu, der Klimawandel verschlimmert die schwierige Lage der Menschen zusätzlich“, sagte Thieme.

Ende 2019 litten 690 Millionen Menschen in mehr als 50 Ländern unter chronischem Hunger, 135 Millionen standen angesichts der Coronapandemie vor einer akuten Ernährungskrise, fürchtet die WHH. Die Fortschritte bei der Hungerbekämpfung seien viel zu gering, um weltweit „null Hunger“, das Ziel der Vereinten Nationen für das Jahr 2030, zu erreichen. „Wenn wir bei der Hungerbekämpfung so weitermachen wie bisher, werden es 37 Länder bis 2030 nicht schaffen, ein niedriges Hungerniveau zu erreichen“, sagte Präsidentin Thieme.

Die Fortschritte seien weltweit in Folge von Ungleichheit, Konflikten, Vertreibung und Klimawandel viel zu gering. Sie begrüßte die Vergabe des Friedensnobelpreises an das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen: Der Preis sei eine „Anerkennung des Kampfs gegen den Hunger“ als eine globale Herausforderung, so Thieme.

Schon vor dem Ausbruch der Pandemie sei die Situation „insbesondere in Afrika südlich der Sahara und Südasien alarmierend“ gewesen, betonte Thieme. Dort sei etwa jeder Fünfte unterernährt, insgesamt 230 Millionen Menschen. Mit 7,8 Prozent sei dort auch die Kindersterblichkeit außergewöhnlich hoch. Auch Südasien gilt als gefährdete Region. Jedes dritte Kind ist dort zu klein für sein Alter. Vielerorts leiden die Menschen laut WHH zudem unter einer Vielzahl von Krisen durch Kriege, Dürren, Überschwemmungen und Heuschreckenplagen.

14 Staaten mit mehr Hungernden als 2012

Der aktuelle Index berechnet die Ernährungslage für 107 Staaten im vergangenen Jahr. Danach weisen 14 Länder höhere Hungerwerte auf als noch 2012. Dazu gehören unter anderem Kenia, Madagaskar, Venezuela und Mosambik sowie die kriegsgeschüttelten Länder Syrien und Jemen. Den größten Anstieg gab es in Venezuela. Der Welthungerindex berücksichtigt vier medizinische Indikatoren: Unterernährung, Auszehrung bei Kindern, Verzögerung im Wachstum sowie Kindersterblichkeit. Eine Skala von 0 bis 100 Punkten teilt die Hungersituationen von „niedrig“ bis „gravierend“ in fünf Stufen ein.

Insgesamt gebe es auch Fortschritte, sagte WHH-Generalsekretär Mathias Mogge, diese seien aber zu gering und zu langsam. Betrachtet man die Hungersituation im globalen Durchschnitt, liegt der Durchschnitt laut dem Index heute mit 18,2 Indexpunkten bei „mäßig“. Im Jahr 2000 lag dieser mit 28,2 noch bei „ernst“. Große Fortschritte, sichtbar in einer Verbesserung um zwei der fünf Bewertungsstufen, gab es über die vergangenen 20 Jahren in Sierra Leone und Äthiopien.

Innerhalb vieler Länder stellt der Bericht deutliche Unterschiede zwischen den Ethnien fest. Außerdem, dass die Gesundheit von Frauen und Kindern stärker unter Flucht und Vertreibung leidet. In der Demokratischen Republik Kongo weist die Hälfte der Kinder Wachstumsverzögerungen auf, auf dem Land zeigt sich die Situation extremer als in Städten.

Die Kleinsten treffen Krisen stets am stärksten: Die Vereinten Nationen prognostizieren Wachstumsverzögerungen für 700.000 Kinder mit jedem Prozentpunkt, um den das globale Bruttoinlandsprodukt sinkt. Die Anzahl der durch Hunger ausgezehrten Kinder könnte danach um 6,7 Millionen wachsen, es könnte zu 130.000 Todesfällen zusätzlich kommen.

Kritik an Fleischkonsum

Ein besonderes Augenmerk legt der diesjährige Bericht auf die Ernährungssysteme. Die WHH fordert, dass diese „nachhaltiger, gerechter und widerstandsfähiger“ werden. Besonders kritisch sieht Generalsekretär Mogge den Fleischkonsum. Hier würden die Kosten des europäischen Konsums externalisiert, also räumlich verlagert. Den massenhaften Anbau von Soja in Lateinamerika, der als Futtermittel in Europa dienen soll, bewertet er als „extrem unnachhaltig“. Dies führe zur Zerstörung von Regenwäldern und zu Überdüngung hierzulande.

„Hunger ist und bleibt der größte vermeidbare Skandal. Der Planet hat die Ressourcen, 10 Milliarden Menschen zu ernähren“, sagte auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU). Er verwies auf zwei neue internationale Studien, nach denen jährlich 14 Milliarden Dollar zusätzliche Investitionen und eine „Agrarrevolution“ notwendig seien, um den Hunger in den nächsten zehn Jahren zu besiegen. „Dies darf nicht am politischen Willen scheitern“, betonte Müller.

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