: Welt in Unordnung
„Deglobalisierung“, die Vision für eine neue Weltordnung, steckt noch in den Kinderschuhen
aus Porto Alegre HANNES KOCH
Wenn es einen visionären Ansatz gibt, der sich aus der Fülle von Diskussionen, Ideen und Vorschlägen beim Weltsozialforum destillieren lässt, ist es das Konzept der „Deglobalisierung“. Am Montag, dem vorletzten Tag des Weltsozialforums, stellte der philippinische Soziologe Walden Bello sein Projekt noch einmal zur Diskussion. Im Sportstadion von Porto Allegre diskutierte er vor mehreren hundert Zuhörern mit Susan George und Peter Wahl von Attac. Wegen seiner Radikalität und rhetorischen Schärfe gehört der Wissenschaftler zu den Gurus der Bewegung.
Bello, Professor an der Universität der Philippinen, greift ein in die Diskussion um die „Global Governance“, um Art und Notwendigkeit einer anderen politischen Steuerung des Geschehens auf der Welt. Ausgangspunkt ist der schwindende Einfluss der Nationalstaaten im Prozess der Globalisierung, während die transnationalen Investoren Handlungsmöglichkeiten hinzugewinnen. Wie, so lauten wichtige Fragen, verändern sich die politischen Institutionen und wie kann die demokratische Teilhabe der Bürger in der neuen Weltordnung noch funktionieren?
Keine Weltregierung
Walden Bello gibt eine provokante Antwort. „Wir müssen alles dafür tun, zentrale Machtkonzentrationen zu schwächen.“ Den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank und die Welthandelsorganisation WTO würde er am liebsten abschaffen. Wenn das schon nicht geht, fordert er wenigstens dazu auf, diesen transnationalen Organisationen das Leben schwer zu machen. Keinesfalls sollten Globalisierungskritiker mit ihnen kooperieren, denn ideologisch und personell seien sie die Speerspitze des Neoliberalismus, der weltweit Kultur, Politik und Leben dem Diktat des Marktes unterordnet. Mit dieser Herrschaftslogik müsse man brechen und „Raum schaffen“ für Entwicklungsmodelle, die sich nicht primär am Weltmarkt, sondern an der Produktion für die Bedürfnisse der Bevölkerung in den Ländern des Südens orientieren.
Bello betont, kein Gegner von Globalisierung zu sein, sondern sie umsteuern zu wollen. Einzelne Nationalstaaten sollen sich dabei gegenseitige Unterstützung in regionalen Bündnissen verschaffen. Der Soziologe will die oberste Ebene der transnationalen Organisationen schwächen und die zweite Ebene aufwerten, zu der die Europäische Union gehört oder auch der Mercosur Lateinamerikas und die Asiatische Wirtschaftsgemeinschaft Asean. Bellos Bild der Zukunft umfasst auch internationale Organisationen – aber nur die guten. Das sind zum Beispiel die Internationale Arbeitsorganisation ILO und die UN-Entwicklungsorganisation Unctad.
Bei der Podiumsdiskussion gingen die beiden anderen Hauptredner, Susan George und Peter Wahl von Attac, zunächst auf eine Linie mit Bello. Wahl grenzte sich jedoch gegen Modelle ab, die eine „Weltregierung“ anpeilen. „Das ist eine negative Utopie“, sagte der Globalisierungskritiker aus Bonn. Auch ein globales Parlament, direkt gewählt nach dem Prinzip „Ein Mensch, eine Stimme“, hält Wahl für unpraktikabel. Denn: „Size matters“ – Größe zählt. Demokratie sei nur sinnvoll, wenn die Bürger die entscheidungsrelevanten Informationen zur Verfügung haben. Auf Weltebene, so Peter Wahl, könne man davon aber kaum ausgehen. Die Schlussfolgerung auch hier: weniger Zentralisierung oben, mehr Dezentralisierung unten. Dem stimmte Susan George zu: „Ein Weltparlament will ich nicht.“
Attac in die Pflicht
Knifflig wurde die Lage, als Wahl sich Gedanken darüber machte, dass auch der Internationale Währungsfonds möglicherweise bereit sein könnte, seine Politik zu verändern. „Bei allem Respekt“, raunzte Bello zurück, darauf zu warten sei reine Zeitverschwendung. Auch Wahls Überlegung, die Vereinten Nationen demokratischer zu gestalten, indem zivilgesellschaftliche Organisationen wie Attac Sitz und Stimme erhalten, fanden nicht die Einwilligung des radikalen Soziologen.
Von diesen Konflikten abgesehen, blieb aber auch die Ausgestaltung einer möglichen neuen Weltordnung unklar. Schließlich mahnte Susan George selbst einen „globalen Marshallplan“ an, um die Entwicklung in Asien, Afrika und Lateinamerika voranzubringen. Wer aber soll das Geld dafür einziehen, verwalten und ausgeben, wenn die transnationalen Akteure es nicht tun dürfen? Und wie steht es mit der Forderung von Attac, weltweite Steuern auf Devisentransaktionen, Einkommen und Investitionen zu erheben? Die Internationale Arbeitsorganisation dürfte dazu kaum in der Lage sein.
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