■ Welt Weit Grönling: Sehen und gesehen werden
Das Wichtigste an einem gelungenen Opernabend sind die Pausen. Wozu geht man schließlich hin? Sehen und gesehen werden ist die Devise, und so wird dann zwischen zweitem und drittem Akt bei Lachsschnittchen und Piccolo auch mal über die Koloratursopranistin räsoniert; Mit null Ahnung zwar, aber das merkt eh keiner. „Ich hab' sie schon hingebungsvoller singen hören, mit ganzer Kraft“, heißt es dann. „Ja, Madame ist wohl unpäßlich, aber das ist ja auch nicht die Premiere.“ Schlaue Leute haben das Phänomen erkannt und konsequent eine CD auf den Markt geworfen: „Pausen aus berühmten Opern“. Foyergebrabbel von Aida bis Nabucco – nur wurde der wahre Wert dieses Kunstwerks bis heute nicht erkannt, und so fristet die Platte ein erbärmliches Dasein auf Flohmärkten.
Auf Messen und Kongressen ist das mit dem Gesehenwerden auch nicht anders, und so wird der Terminplan für die „Internet World Berlin“ strikt nach den Pausen ausgerichtet. Das ist nicht so einfach, mehrere Veranstaltungen finden gleichzeitig auf sogenannten „Panels“ statt. Die Kaffeepause nach „Wie erreiche ich meine Zielgruppe online?“ überschneidet sich mit der eines anderen Vortrags. Aber dort gibt es eine Viertelstunde Verspätung, da hätte ich nicht so spurten müssen.
Die verbleibende Zeit bis zur Mittagspause verbringe ich mit einem Bummel durch zwei erfrischend leere Messehallen, eine für den Online-, die andere für den Offline-Bereich. Mehr gibt es nicht. Aber richtig gemütlich ist es, beinahe familiär. Überall bekannte Gesichter, und an einem Stand war jemand frech und wunderte sich, daß man mich überhaupt reingelassen hatte.
Beim PC-College nebenan gibt es wundervolle Tropencocktails. Um einen zu bekommen, muß ich ein Formular ausfüllen. Ein paar Stände weiter verkauft ein Buchhändler die Internetschwarten vom letzten Jahr für fünf Mark, und nebenan im Pavillon werden die allseits beliebten AOL-CDs verteilt.
In der Mittagspause werfe ich ein Vorurteil über Bord. Die eingeschworenen Internet-Freaks sind von denen, die für seine Kommerzialisierung verantwortlich sind, nicht mehr an der Kleidung zu unterscheiden. Nur selten blauer Anzug mit Krawatte, aber auch nur wenige Sweatshirts, Jeans und Turnschuhe. Man nähert sich an: etwas legerer auf der einen, ein bißchen feiner auf der anderen Seite. Das ist ganz angenehm, vermutlich finden alle ein Jahr nach dem großen Internet-Hype wieder zur Normalität zurück. Dieter Grönling
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