Welt-Aids-Konferenz in Wien: Flucht durch die Hintertür
In Wien tagt die Welt-Aids-Konferenz. Doch nicht alle Teilnehmer sind willkommen und selbst der Gastgeber wird auf einer Großdemonstration ausgebuht.
WIEN taz | Die Vuvuzela ist bereits zur globalen Folklore geworden. Als Dienstagabend rund 20.000 Menschen auf dem Wiener Heldenplatz für Menschenrechte und gegen Diskriminierung von AIDS-Kranken demonstrierten, wurde die nervige Tröte wieder lautstark eingesetzt. Dabei waren auch viele der knapp 25.000 Delegierten der Internationalen AIDS-Konferenz, die bis Freitag in Wien schwerpunktmäßig über die besorgniserregende HIV-Verbreitung in Osteuropa und Zentralasien sowie über die Fortschritte bei der Suche nach einem Impfstoff diskutiert.
Angenehmer als die Vuvuzelas war da die Stimme der schottischen Sängerin Annie Lennox, die vor ihrer Piano- und Gesangseinlage den Gastgeber Österreich vorwarf, sich zu wenig gegen AIDS zu engagieren. Lennox ist seit kurzem "UNAIDS-Botschafterin des guten Willens". Gesundheitsminister Alois Stöger von SPÖ wurde prompt ausgebuht, als er das Wort ergriff.
Ähnlich wäre es wohl dem deutschen Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) ergangen, wenn er sich in Wien gezeigt hätte. Das BMZ überlegt, nach 2012 seinen Beitrag zum Globalen Fonds um zwei Drittel zu kürzen. Zwischen 2001 und 2010 betrug er insgesamt rund 1,2 Mrd. Dollar. Christiane Fischer, Sprecherin eines Aktionsbündnisses deutscher NGOs, protestierte: "Für die Rettung der Banken sind Milliarden Euro übrig, aber bei der Rettung von Millionen von Menschen wird der Rotstift angesetzt".
Zu Turbulenzen kam es auch auf der Konferenz selbst. Wie am Dienstagnachmittag mit Eric Goosby, dem Aids-Koordinator der US-Regierung. Grund der Empörung: Das von ihm mitverantwortete US-HIV-Programm PEPFAR (President's Emergency Plan for Aids Relief), das 2002 von George Bush lanciert wurde. Es privilegiert den Aufruf zu sexueller Enthaltsamkeit und ehelicher Treue gegenüber umfassenden Aufklärungsprogrammen.
Goosby floh durch den Hinterausgang als Prostituierte beiderlei Geschlechts seine Pressekonferenz störten. Wenige Stunden vorher hatte das Center for Health and Gender Equity (Change) darauf hingewiesen, dass sich trotz anderslautender Ankündigungen von Barack Obama in der US-Anti-AIDS-Politik wenig geändert habe. Ein neues Gesetz, das den Gebrauch von Kondomen nicht mehr verpönt, ist den Aktivisten zu wenig.
Diskriminierende Gesetze sind in vielen Teilen der Welt ein Problem für die wirksame Bekämpfung der Immunschwächekrankheit. In Asien und der Pazifikregion wird der Sex zwischen Männern immer noch in 19 von 48 Ländern kriminalisiert. In Afghanistan und Pakistan droht die Todesstrafe, in einigen weiteren islamischen Ländern werden Schwule ausgepeitscht.
Eine vom United Nations Development Programme (UNDP) in Auftrag gegebene Studie belegt jetzt, dass die strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen und Transgenderpersonen die Maßnahmen gegen die HIV-Verbreitung empfindlich behindert. Der australische Menschenrechtsanwalt John Godwin zitierte aus der von ihm mitverfassten Studie, dass in der Region weniger als 20 Prozent dieser Bevölkerungsgruppen von Präventionsprogrammen erreicht werden.
Bis 2020, so die Studie, werden 50 Prozent der Neuinfektionen sexuell aktive Homosexuelle und Transgenderleute betreffen. In der Gesundheitspolitik vieler Länder sei das angekommen, so Jeffrey O’Malley vom UNDP, doch das Strafrecht hinke hinterher.
Lange Zeit hatten auch die Religionsgemeinschaften weltweit die effektive AIDS-Prävention verhindert. Auf der Wiener Konferenz traten jetzt mehrere Initiativen von Vertretern verschiedener Konfessionen auf, die sich für Aufklärung einsetzen und das Kondom nicht mehr verteufeln. „Kondome fördern Promiskuität nicht mehr, als Regenschirme Regen erzeugen“, meinte Janine Kossen von der Organisation Advocates for Youth.
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