Weihnachten ist so doof wie der Mensch: Das Fest der gemischten Gefühle
Wer die Feiertage hasst, hasst den Mensch an sich. Aber genau dieses Gefühl ist auch schön. Eine Dialektik mit Lametta.
D ie Weihnachtsgeschichte ist grausam. Da werden zu Beginn Babys abgemurkst, während der Engel des Herrn mit den Hirten palavert. Unerträglich zynisch, diese Geschichte.
Aber das ist ja nicht neu. Es gibt nichts Neues zu Weihnachten. Es ist das Fest des ewigen Konsums und der ewigen Konsumkritik. Alles ist ritualisiert. Wer sich entziehen will, muss nackt spazieren gehen, nicht im Kalten, sondern auf dem Mars. Die Römer haben Jesus gekreuzigt, weil er ein pazifistischer Traumtänzer war. Heute wäre er nicht Gottessohn, sondern Ökofeminist.
Wenn Sie dazu mehr wissen wollen, hören Sie halt zu Heiligabend Klaus Kinskis „Jesus Christus Erlöser“ in voller Länge auf YouTube und vergessen Sie nicht, dass Kinskis Tochter sagt, er habe sie missbraucht. Weihnachten ist die Geschichte vom Menschen als Gott als Mensch als Gott als Mensch als Gott als – Mensch als Schwein.
Niemand in den sozialen Netzwerken fragt sich, warum wir zu Weihnachten keine Tintenfische oder Delfine essen. Konsequent wäre es. Tintenfische haben ein göttliches Bewusstsein, weil sie sich vorstellen können, ein Stein zu sein. Delfine wiederum kennen die Weltformel. Beide sind sie höhere Lebewesen. Was für eine kraftvolle Metapher wäre es, übermenschliche Delfine und Tintenfische zu essen, statt der lediglich mit menschlicher Empfindsamkeit gestraften Gänse, Schweine oder Rinder. Die Tradition, sie zu essen, ist ihr Pech. Alle Lebewesen außer dem Menschen wissen, dass Menschen eine Naturgewalt sind. Wer Naturgewalten ausgesetzt ist, der hat Pech. Die Weihnachtsgans hat deshalb aus Sicht der Weihnachtsgänse Pech. Jesus war Veganer. Daran glaube ich und esse Gans.
Wer im Fernsehen zu Weihnachten zwei Werbeunterbrechungen überlebt hat, weiß, dass sich die Menschheit selbst vernichten wird. Kein Grund zur Beunruhigung. Man kann sich als demente, aber immerhin vernetzte Zivilisation voll des Genusses und der Lust in eine Horde Smileys verwandeln. Und dann explodieren. Auch das ist Weihnachten.
Die perfekte Ausbeutung der Ressource Emotion
Jetzt mal Hand aufs Herz: Es tut wirklich niemandem weh, sich einmal im Jahr gegenseitig liebevoll Zeug in die Hand zu drücken, mit dem man insgesamt ein paar hundert Cheopspyramiden füllen könnte. Wollen wir uns jedes Mal in die Augen gucken und empört was von neoliberaler Kulturindustrie plappern? Herrgott, tun Sie es, wenn es Sie zu Weihnachten glücklich macht. Ich guck lieber den neuen Teil von „Star Wars“.
Alles nur Industrie, alles nur gekaufter Mythos, gekaufte Stimmung, vorproduzierte Fabrikgefühle, in Form gegossen von unterbezahlten Wanderarbeitern in Indonesien oder China – pfff. Weihnachten ist wie ein emotionales Naturgesetz: Es bringt bei jeder Durchführung des Experiments die gleichen Reaktionen hervor, Abstinenz und Abscheu sind zwei davon.
Jeder dödlige Algorithmus kann Ihnen anhand Ihres Facebookprofils vorhersagen, ob Sie zu Weihnachten Holzspielzeug oder Plastikklötze kaufen. Sie sind ein berechenbares Engelchen. Empören Sie sich nicht über die anderen, empören Sie sich nicht über sich, empören Sie sich mal überhaupt nicht. Für die einen ist Weihnachten Heimat, für die anderen Gehirnwäsche. Für mich ist Gehirnwäsche Heimat und Heimat Gehirnwäsche. Nehmen Sie das ernst.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Es gibt nichts Neues zu Weihnachten
Weihnachten ist die perfekte ökonomische Ausbeutung der Ressource Emotion. Ist mir egal. Setzen die mir eben eine einfache, global verständliche Symbolik vor, wer auch immer die sind: Leuchtende Kinderaugen, rotbewamste Gestalten, beschneite Nadelbäume, die ewig gleichen Geschichten, fertig ist die Heimat. Ich war mal zu Weihnachten in Santo Domingo in der Karibik. Da hatten sie keine Tannen, also haben sie die Palmen so exzessiv mit Lichterketten behängt, dass es im Dezember am Abend ständig Stromausfälle gab. Ich hatte Heimweh.
Es gibt nichts Neues zu Weihnachten. Außer großflockige „Wer Jesus wirklich war“-Geschichten in deutschen Wochenmagazinen. Im ganzen Universum verlässlich wie die Gravitation. Isaac Newton ist kein Apfel auf den Kopf gefallen, sondern ein Nürnberger Christstollen, steinhart. Nein, Weihnachten ist nicht das Fest der Liebe, aber es ist wie die Liebe: Längst ist alles dazu gesagt, und jedes Mal ist wieder nichts gesagt. Nicht mal die Rezepte der Plätzchen sind Routine, weil wir sie vergessen. Niemand kann sich merken, wie viel geschmolzene Butter auf einem Bauch noch zärtlich ist.
Die Persistenz des Widerspruchs
Das ist wichtig. Das Vergessen. Weihnachten ist so dämlich wie der Mensch selbst. Hassen Sie Weihnachten, hassen Sie den Menschen an sich. Sehen Sie es als einen einzigen Widerspruch. Alle schleppen in Einkaufstüten verpackte, von anderen erdachte, am anderen Ende der Welt produzierte und mit den Namen der Massenmarken bedruckte Individualität nach Hause. Dieses Jahr mal nichts schenken? Vielleicht was Kleines, dafür spenden wir was. Bedenken Sie, Brot für die Welt kann mögliche Milliarden doch gar nicht verteilen. Und würden wir nicht bei Überspendung lokale Wirtschaftskreisläufe in Entwicklungsländern zerstören, so wie es die EU mit ihren Hühnerarsch-Exporten nach Afrika macht? Geht es nicht vielmehr um die richtig Handelspoli… sorry, ich schweife ab.
Ich weiß jetzt, was das mit mir macht, diese Persistenz des Widerspruchs. Wirst ja jedes Jahr aufs Neue krassestes Opfer von Plastiklebensgefühlen. Und Täter, ja Täter biste ja auch. Hältst den Weltweihnachtsladen mit am Laufen. Schon haste wieder „Der Kleine Lord“ geguckt, kandierte Nüsse gefressen, Glühweinkater und einen Baum geschmückt. Du hast wieder bei Amazon bestellt. Amazon ist böse und praktisch.
Ist doch schön. Dieses Weihnachtsgefühl. Einmal im Jahr die Seele nach außen stülpen und feststellen, dass sie in den Ecken schimmelt. Wie alle Seelen. Der Mensch, Vieh und Engel, Opfer und Täter, wir sitzen in der Echokammer des Wahnsinns und haben Spaß dabei. Haben Sie schon eine Obdachlosenzeitschrift gekauft? Versuchen Sie es, bekämpfen Sie mit 50 Euro den Hunger und versuchen Sie dabei nicht ständig, das Wort Ablasshandel vor sich hin zu mümmeln. Kein Vorwurf, echt jetzt, das nächste Jahr kostet wieder viel Kraft. Kürzlich lief im Einkaufszentrum „Last Christmas“ und ich führte diese innere Debatte:
Ich: Müsste man alles anzünden hier.
Auch Ich: Oh! 30 Prozent Rabatt! Und das schon VOR Weihnachten!
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