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Weibliche Wut im Kunsthaus HamburgIch wüte, also bin ich

Rosanna Graf widmet sich in ihrer Video-und Soundinstallation „Ordinary Women – Carrier Bags of Friction“ der weiblichen Wut und ihrer Wirkungsmacht.

Muss raus: Die Darstellerinnen Cristina Negucioiu und Ella Fleck geben sich der Wut hin Foto: Videostill © VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Dumpfe Schreie tönen durchs Foyer des Kunsthauses Hamburg. Es folgt ein Dröhnen, dann ein paar Sekunden Stille. Es lässt sich bereits erahnen: Hinter dieser Tür ist jemand wütend. „Why are you not angry?“, fragt, vorwurfsvoll, aber auch als Begrüßung, ein schnörkelig gesprayter Schriftzug an der Wand.

Im Mittelpunkt von Rosanna Grafs Video- und Sound-Installation steht die weibliche Wut, popkulturell als „female rage“ bekannt. Vier große Screens sind in einem Karree mitten im loftartigen Ausstellungsraum platziert. So wirken sie besonders raumgreifend. Auf den Screens verkörpern Darstellerinnen historische Frauenfiguren, die im Laufe ihres Lebens gewalttätig geworden sind. Ihre legitime Wut wurde in der deutschen Öffentlichkeit meist als irrationale Hysterie verklärt. In Grafs Film trägt jede Figur eine individuelle Handtasche.

So sehen wir ein Abbild Monika Ertls (1937­–1973), Tochter des Nazifilmers Hans Ertl. In Bolivien schloss sie sich der linksrevolutionären Guerillaorganisation ELN an und rächte 1971 die Tode Che Guevaras und seines Nachfolgers Inti Peredo, indem sie den ehemaligen bolivianischen Geheimdienstchef erschoss.

Am Tag des Mordes trug Ertl eine blonde Perücke, eine Brille und eine Handtasche, in der sich ihre Waffe befand: eine Colt Cobra 38. Aufnahmen dieser Gegenstände füllten die Zeitungen des Landes. Wie, fragten sich alle, war eine junge Frau zu so einer Tat fähig?

Handtaschen als Waffe

In Grafs Film trägt Ertls Abbild eine ähnliche Perücke. Doch sie und die anderen Darstellerinnen wirken anfangs teilnahmslos, als hätte man sie in den Plot des Films hineingeschubst. Auch die anderen Frauenfiguren sind prominenten Vorbildern nachempfunden: den RAF-Terroristinnen Susanne Albrecht und Ulrike Meinhof sowie der Schauspielerin Ingrid van Bergen und der französischen Nationalheldin Jeanne d’Arc.

Die Künstlerin selbst hat einen Auftritt als Hexe, die sich aus einem Wandschrank zwängt, in einem Anzug in Pink-Metallic, mit grünem Bodypainting und Acrylmaniküre. Als Hexe versucht Rosanna Graf, die Frauen in ihren Bann zu ziehen: Sie will sie mit einer Nuckelflasche stillen, um sie von ihrer Wut zu reinigen. Doch die Stimmung kippt, die Frauen beginnen, die Hexe zu jagen und mit ihren Handtaschen zu traktieren. Die Bilder auf den Screens laufen ineinander über und bilden einen diffusen Strom weiblicher Wut: ein Moment der Ermächtigung. Als wütendes Kollektiv geben sich die Figuren endlich dem Gefühl hin, dass sie so lange runterschlucken mussten.

„Ordinary Women – Carrier Bags of Friction“, hat Graf ihre Installation genannt. Und die eben als Waffen eingesetzten Handtaschen finden sich auch mal mehr, mal weniger offensichtlich im weitläufigen Ausstellungsraum wieder. Ihre ausgeleerten Inhalte sind äußerst unterhaltsam: diverse Lollies, ein lilaner Kubotan, eine Waffe für den Nahkampf, farblich passend dazu ein plüschiger Schlüsselanhänger. Die Tasche der Hexe dagegen ist eine braune Birkin Bag in Krokodillederoptik, Statussymbol und eingestaubtes Lieblingsaccessoire von reichen Damen.

Mit dem Titel der Installation knüpft Graf an den 1986 erschienenen Essay „The Carrier Bag Theory of Fiction“ an. Darin erklärt die Autorin Ursula Le Guin, dass einfache Behälter die ersten Gegenstände der Zivilisation gewesen seien, nicht Speere oder Lanzen wie in den phallischen Heldenerzählungen.

Liberale Selbstoptimierung

Doch warum richtet sich die weibliche Wut in Grafs Film gegen eine andere Frau und nicht gegen das Patriarchat, seine Gründungsväter und Profiteure, alte weiße Männer? Immerhin, in den ersten Sequenzen wird ausgiebig das satirische „Manifest der Gesellschaft zur Zerstückelung der Männer“ (S.C.U.M. Manifesto) von Valerie Solanas zitiert. Warum gilt also die Hexe als Antagonistin?

Rosanna Graf, die an der HfbK Hamburg und am Goldsmiths, University of London studierte, bildet durch diesen Dreh einen Konflikt innerhalb des Feminismus ab, dessen radikale Vertreterinnen ihr Feindbild auch in vermeintlich gleichgesinnten älteren Ikonen der Bewegung sehen, wofür die Hexe stehen könnte.

Die Ausstellung

„Rosanna Graf: Ordinary Women – Carrier Bags of Friction“: bis zum 7. Januar, Kunsthaus Hamburg

Sie ist eine Figur der liberalen Selbstoptimierung in einer Welt, in der weibliche Wut keine Berechtigung hat und bereinigt werden muss. Du bist wütend, weil dein Partner keinerlei Care-Arbeit auf sich nimmt? Schreibe es in dein Achtsamkeitsjournal. Du würdest am liebsten toben und schreien, weil du schon wieder sexuelle Belästigung erfahren hast? Probier doch mal Meditation aus.

In ihrer Installation schafft Graf so eine vielschichtige Auseinandersetzung mit der Stigmatisierung von weiblicher Wut und Frauen, die aus den ihnen zugedachten Rollenvorstellungen ausbrechen. Die Künstlerin lässt ihre Figuren aus Literatur und vergangener Berichterstattung zitieren, so auch aus Fragmenten der pseudo-wissenschaftlichen Gesichtsanalyse Vera Brühnes, die in einem Indizienprozess 1962 wegen Mordes verurteilt und später begnadigt wurde.

Schuldig machte sie vor Gericht auch ihr vorspringender Haaransatz, damals ein Zeichen für „männliche Aktivität und Geltungssucht“. Beim Hinausgehen hallen diese Worte aus dem Off noch im Ohr nach.

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