Wegweisender Prozess in London: Sierra Leones Bergbau vor Gericht
Ist das Bergbauunternehmen „African Minerals Ltd“ für Übergriffe der Polizei Sierra Leones gegen Arbeiter einer Eisenerzmine verantwortlich?
Die Firma African Minerals (AML) betrieb über eine Tochterfirma Eisenerzminen in Tonkolili im westafrikanischen Sierra Leone. 142 Kläger behaupten, dass sie bei Protestaktionen gegen Vertreibung und schlechte Bezahlung im November 2010 und im April 2012 unrechtmäßig und schwer von Sierra Leones Polizei angegriffen wurden.
Es geht um Gewaltanwendung, schwere Verletzungen und Schusswunden. Die damals 28-jährige Musu Conteh, Angestellte eines AML-Subunternehmers, wurde bei einer Demonstration von der Polizei erschossen. Einem Bericht nach tanzte sie in der Menge, als sie mit Schüssen im Oberkörper zu Boden fiel. Auch sexuelle Gewalt soll angewandt worden sein.
Ist das Unternehmen AML dafür verantwortlich, wie die Kläger sagen? Hat die Polizei im Auftrag des Unternehmens Menschenrechte verletzt? Beim Tonkolili-Prozess, sagt einer der Anwälte der Anklage Martyn Day, geht es um die Einhaltung der im Jahr 2000 von der UNO verabschiedeten „Freiwilligen Grundsätze zur Wahrung der Sicherheit und Menschenrechte“, die private Unternehmen im Rohstoffbereich einhalten sollen.
Firmenwagen für die Polizei
Viele der Zeugen in London sind die ehemaligen Sicherheitsbeauftragten von AML, oft Australier und Südafrikaner, die über ihre Beziehung zur sierraleonischen Polizei aussagen. Viele versuchen vor Gericht, ihre Anwesenheit an den fraglichen Tagen zu vertuschen. Immer wieder muss mit Fotos, Videos und weiteren Zeugen nachgeholfen werden.
Laut dem ehemaligen AML-Polizeibeauftragten Mohammed Toure subventionierte das Unternehmen Polizeibeamte direkt, zahlte „Geschenke“ oder stellte Unterkünfte und Fahrzeuge zur Verfügung. Glaubt man der Anklage, haben Fahrer von AML die Polizei sogar während der schlimmsten Vorfälle gefahren.
Wahl Am 7. März wählen die 7,5 Millionen Einwohner von Sierra Leone ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten. Amtsinhaber Ernest Bai Koroma kann nach zwei fünfjährigen Amtszeiten nicht mehr antreten. Für seine Partei APC (All People’s Congress) tritt Samura Kamara an, zuvor Finanz- und Außenminister. Für die größte Oppositionspartei SLPP (Sierra Leone People’s Party) kandidiert Exsoldat Julius Maada Bio, 1996 kurz Militärherrscher.
Armut Das Land ist bitterarm. Krieg forderte 1991–2002 120.000 Tote. 2014/15 starben 3.000 Menschen an Ebola. 2017 starben in der Hauptstadt Freetown 1.141 Menschen nach Erdrutschen.
Rohstoffreichtum Sierra Leones Diamanten hielten den Bürgerkrieg am Leben. Heute werfen Kritiker der APC-Regierung Ausverkauf vor. Chinesische Firmen haben bis zu 10 Milliarden US-Dollar für den Ausbau der Eisenbahn von den Eisenerzminen von Tonkolili an einen neuen Hafen mit Sonderwirtschaftszone am Meer in Aussicht gestellt.
Der Richter muss nun entscheiden, inwiefern dies rechtswidrig war. Sollten die Kläger gewinnen, stehen ihnen Entschädigungszahlungen in noch ungewisser Höhe zu.
Der Protest im November 2010 entwickelte sich, nachdem ein Dorf und sein Ackerland für den Bergbau geräumt wurden. Das Ersatzland für die Bewohner war landwirtschaftlich unbrauchbar und hatte keinen Zugang zu Schulen und anderen Einrichtungen. Als die Betroffenen protestierten, wurden sie von der Polizei brutal niedergeschlagen. Einige Zeugen behaupten, AML habe die Polizei direkt aufgefordert, „mit den Protestierenden besonders hart umzugehen.“
Nach den Worten des ehemaligen AML-Gemeinschaftsmanagers Musa Bangura – zuständig für Verhandlungen mit Anwohnern und sogar Ministern, wie er vor Gericht prahlt – „wäre ja alles für die Gemeinschaft gewesen, da der Bergbau Arbeitsplätze für viele schaffte“. Vor Gericht sah man ihm wenig Reue an.
AML wuchs durch Tonkolili tatsächlich zum größten Arbeitgeber des Landes an. Im Jahr 2013 hatte es an die 7.000 Angestellte.
Bei einem dreitägigen Streik im April 2012 ging es um Gewerkschaftsrechte und Gehälter. Der ehemalige AML-Finanzchef Miguel Perry bestätigt vor Gericht, dass ein hoher Druck herrschte, endlich mit der Mine Geld zu verdienen. Er selbst habe eine Lohnerhöhung abgelehnt, „weil die Arbeitnehmer ohnehin über dem Durchschnitt verdienten und weil wir zu viele Leute anstellten“, sagt er defensiv.
In einem Vorstandsbericht, den AML versucht hatte geheim zu halten, ist die Rede von einer „Stalingrad-Phase.“
Die Polizei rückte mit Militärverstärkung gegen die Demonstrierenden an und eröffnete sofort das Feuer. Dabei wurde von Zeugen auch AML-Personal gesichtet. Die meisten von der Polizei benutzten Fahrzeuge waren Firmenwagen. Ein Markt wurde von der Polizei demoliert, ein Radiojournalist festgenommen.
Nach den Protesten reagierte AML mit 16-prozentiger Lohnerhöhung, verbesserten Gewerkschaftsrechten und dem Versprechen der Einhaltung der Menschenrechte. Damals glaubte das Unternehmen noch an eine leuchtende Zukunft in Sierra Leone.
Symbol des Aufbruchs nach dem Krieg
Denn eigentlich sollte AML eines der ertragreichsten Projekte des rumänischstämmigen Londoner Millionärinvestors Frank Timis werden – der übrigens nicht vor Gericht steht, was dem Verfahren einen Hauch von „Die Großen lässt man laufen“ gibt. Timis gründete AML im Jahr 2000 mit einer 25-Prozent-Beteiligung der chinesischen Gruppe Shandong Iron and Steel Group (SISG).
Die zu entwickelnde Bergbauregion war mit 12,3 Milliarden Tonnen Eisenerzvorkommen die drittgrößte Eisenerzquelle der Welt. Über 2 Milliarden US-Dollar steckte AML hinein, samt einer neuen Eisenbahn zum Atlantik. Tonkolili wurde zum Symbol des Aufbruchs in Sierra Leone nach dem brutalen Bürgerkrieg.
Das Investorenglück hielt jedoch nicht lange, Folge des Doppeleffekts von Ebola und fallenden Rohstoffpreisen. 2015 stand AML vor dem Ruin. Die Chinesen von Shandong nutzten die Chance und kauften die restlichen Anteile zum Tiefstpreis.
Britisches Gericht tagte auch in Sierra Leone
In Sierra Leone selbst ist eine Aufarbeitung der Vorwürfe gegen AML kaum möglich. Mindestens eine Person, die über die Vorfälle von 2012 vor Sierra Leones Menschenrechtskommission ausgesagt hatten, kam danach bei einem angeblichen Motorradunfall ums Leben. Eine Mitarbeiterin von „Human Rights Watch“ wurde bedrängt, ein Anwalt gewarnt.
Zu Prozessanfang in London baten mehrere Zeugen um Identitätsschutz. Der oft humorvoll auftretende Vorsitzende Richter, Justice Mark Turner, erklärte aber auch, dass er nicht den Grundsatzfragen von Landenteignung und des Abbauprojekts selbst nachgehen werde.
Zwei Wochen lang tagte das Gericht, samt Richter, Anklage und Verteidigung, in einem Hotel in Sierra Leones Hauptstadt Freetown. Hier wurden 32 Zeugen beider Seiten gehört. Richter Turner wollte damit Einreiseschwierigkeiten in London und unnötigen Kosten zuvorkommen und so den Fall vorantreiben.
Sollte das spätere Urteil selber nicht Schlagzeilen machen, könnte zumindest dies ein Beispiel setzen, über welche Mittel die Justiz in solchen Fällen verfügt.
Am Montag endeten die Zeugenanhörungen. Die Schlussplädoyers werden kommende Woche erwartet.
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