: Wegen und trotz
■ Die alt-neue Experimentalband „Ngoma“ beruhigte Seelen & zerfetzte Trommelfelle
Rappelvoll war diesen Samstag die Kesselhalle des Schlachthofs. Allerdings waren es weniger Menschen, die da rappelten, sondern Waschmaschinentrommeln, Geschirrspüler, Autofelgen, Kanister, Wannen und undefinierbares Zivilisationsstrandgut von Bremer Müllhalden, auf Bühne und Zuschauertribühne verstreut. Aufgrund des altbekannten Neugierdefizits unter Bremens müden Konzertgängern stellten sich aber nur circa 50 potentielle Lärmkörper aus Fleisch und Blut ein. Und das, obwohl Mitglieder der guten alten Test Department und der Neubauten für Relevanz bürgten. Die Zuhörer, die da waren, ließen sich aber die Aufforderung zum Mittrommeln nicht zweimal sagen und brachten zügig diverse Holzstöckchen zu Bruch, splitter, platsch.
Schon lange bemühen sich diverse Gruppen, jüngst auch Nachfolgeprojekte des legendären „Survival Research Laboratorie“, um eine Umwertung der Werte. Es geht darum, just jenen Kreisch-, Säge- und Schleifgeräuschen, die uns in Wohnungen unter Flugzeugeinflugschneisen oder neben Großbaustellen bis zum Irrsinn malträtieren, stand zu halten. Wer überleben will, muss lernen, die Schönheit in der Zumutung zu erkennen. Und auch Brad Pitt durfte in „Fight Club“ erfahren, dass nach dem Durchschreiten des Schmerzenstals die Euphorie lockt. Ngoma ist der Name eines Oppositionspolitikers im Kongo. Und wie bei afrikanischen Widerständlern ist auch bei den deutschen Musikern zwischen Terror und Befreiung schwer zu unterscheiden. Wie bei den musikalischen Vorgängerprojekte gesellt sich auch bei „Ngoma“ zum Lärm die Meditation. Rhythmische Veränderungen sind bisweilen so schleichend wie bei neusten Techno-Projekten, etwa Maßstab 1:5 oder SoulCenter. Das Publikum agiert grundverschieden. Es bolzt schweißtreibend den Grundschlag, unterwandert ihn durch freejazzige Querschläger, setzt dezente Akzente oder hört nur zu. Weil jeder sein Herr bleibt, fehlt die Affigkeit sonstiger Mach-mit-Projekte. Fazit. Toll, wegen und trotz schädelzertrümmernden Lärms. bk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen