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Weg in die postfossile GesellschaftSoll man die ökologische Frage vergessen?

Die soziale Frage darf auf dem Weg ins postfossile Zeitalter nicht vergessen werden. Doch die progressiv sein wollende Linke tut sich schwer.

Die beste Strategie: Zukunftspolitik wird nicht ohne Prioritätensetzung gehen Foto: Micha Klootwijk/imago

U nd dann meldete sich eine in Berlin-Mitte weltbekannte Philosophin und sagte streng: „Ich kann nur davor warnen, die soziale Frage zu vergessen.“ Das war in einem illustren Gesprächskreis und mein Schnarchmoment des Jahres. Ich ratzte sofort weg, denn damit war das Denken am Ende.

Das wichtigste Thema des Abends war die Frage, wie man zu ernsthafter Klimapolitik kommen kann. Selbstverständlich darf man gerade auf dem Weg in die postfossile Gesellschaft „die soziale Frage“ nicht vergessen, sonst geht gar nichts. Das wissen alle, die ernsthaft an der ökologischen Frage und damit an der Zukunft der liberalen Demokratien arbeiten.

Die trotzdem und üblicherweise von klassischen Linken und Linksliberalen ausgesprochene Mahnung, sie bloß nicht zu vergessen, beinhaltet die Unterstellung, dass nicht nur böse Milliardärinnen und sonstige Kapitalisten es tun, sondern auch Leute im Raum. Und zwar gerade jene, die sich explizit für die postfossile Gesellschaft engagieren. Es gehört mittlerweile zum rhetorischen Grundwortschatz, dass speziell Grüne qua Moraldefizit und Dachgeschosswohnung notorisch die soziale Frage vergessen.

Nun kann man sagen: Reg dich ab, die Warnung vor dem Vergessen der sozialen Frage ist einfach Teil unserer Salonkultur. Mag sein. Ich will aber darauf hinweisen, dass es zu einem Standard geronnen ist, vergleichbar mit „Schönes Wetter heute“.

wochentaz

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Floskel als Denkstopper

Auch wird diese unangreifbare Floskel als Denkstopper eingesetzt. Kaum ist es gesagt, denken alle: Um Gottes willen, bloß nicht in den Verdacht geraten, die soziale Frage zu vergessen! So kann man Ökobürger routiniert einschüchtern und solche Runden dazu bringen, die ökologische Frage zu vergessen und sich wieder den eingeübten und sicheren Schleifen des Verteilungsdiskurses und der unzureichenden sozialpolitischen Maßnahmen auf fossiler Links-rechts-Grundlage zuzuwenden.

Letztlich verteidigt dieser Satz – häufig unbeabsichtigt – den Status quo, also den fossilen Sozialdemokratismus der Bundesrepublik, gegen eine zukunftsfähige, postfossile, individualisierte Gesellschaft. Diese wird im Übergang sehr wahrscheinlich einiges kosten, und zwar auch die, die nicht im Überfluss leben. Das kann und muss man sozialpolitisch ausbalancieren. Aber Zukunftspolitik wird nicht ohne Prioritätensetzung gehen, sonst kommt man nicht zu einem starken und sozialen Europa mit einer gelungenen Transformation seiner Wirtschaft und der Finanzierung nicht zuletzt des Sozialstaats.

Prioritätensetzung heißt, dass eben nicht alles on top und auf den Nacken der Jungen gehen wird und dass manches nicht wie bisher weitergehen kann. Wo und wie – darüber muss gestritten werden. Aber man kann nicht in jedem Fall „Aber doch nicht so!“ rufen. Es braucht ein gemeinsames Ziel und ein Bewusstsein dafür, dass es auch Verluste geben wird und wir damit umgehen müssen. Das gilt für die Moderne als Ganzes und für jeden Einzelnen. Nicht jeder fehlende Zuschuss für eine Klassenfahrt ist gleich der Rückfall in die Barbarei oder den Neofeudalismus.

Was tut die Linke?

Es ist klar, dass AfD und Wagenknecht kein Interesse an postfossiler Wirtschaft und der Begrenzung der immer weiter fortschreitenden Erderhitzung haben. Es ist auch klar, dass die Konservativen von Union und SPD hier mindestens zurückhaltend und weitgehend politiklos sind.

Aber ich fürchte, es ist noch nicht klar, dass gerade progressiv sein wollende Linke 2025 klären müssen, ob sie – mit den besten Absichten – letztlich auch die antiökologische Restauration befördern. Sie müssen sich entscheiden, ob sie sich produktiv in die Realität einbringen. Oder doch lieber weiter ihre reine Seele retten.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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2 Kommentare

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  • Es ist offensichtlich, dass die ökologische Frage in Deutschland immer mehr ins Hintertreffen gerät. Die Grünen regieren nun schon einige Jahre im Bund mit, aber währenddessen rottet die Deutsche Bahn vor sich hin, Glyphosat wurde weiter zugelassen und zwischendurch hat Herr Habeck sogar mal die E-Autoprämie gestrichen. Selbst die Grüne Jugend scheint sich mehr für Asylpolitik zu interessieren als für das Ökologische.

    Die Frage ist aber, ob die Vernachlässigung des Ökologischen wirklich so viel mit der sozialen Frage zu tun hat. In den aktuellen Wahlprogrammen der deutschen Parteien steht Armutsbekämpfung ja nun nicht grade im Mittelpunkt, stattdessen scheint wieder die Hatz auf angeblich faule Bürgergeldempfänger populär zu sein. Das Problem liegt vermutlich eher darin begründet, dass sich angesichts der vielen geopolitischen Krisen immer wenige Menschen in Deutschland für Umwelt- und Klimaschutz interessieren. Und dass an der Spitze der Grünen Partei keine Menschen mit Vision und umweltpolitischer Tatkraft stehen, sondern Opportunisten und Selbstdarsteller, die ihr Fähnchen nach dem aktuellen Zeitgeist hängen.

  • „,Ich kann nur davor warnen, die soziale Frage zu vergessen.‘ Das war in einem illustren Gesprächskreis und mein Schnarchmoment des Jahres. Ich ratzte sofort weg, denn damit war das Denken am Ende.“



    Wer sich so auf- und eindringlich in Denkerpose wirft, wie Herr Unfried auf seinem Portraitfoto, dem kann es nicht anders gehen, der pennt weg und kriegt den Kopf nicht mehr gestützt.



    „Es gehört mittlerweile zum rhetorischen Grundwortschatz, dass speziell Grüne qua Moraldefizit und Dachgeschosswohnung notorisch die soziale Frage vergessen. (…)



    So kann man Ökobürger routiniert einschüchtern und solche Runden dazu bringen, die ökologische Frage zu vergessen“.



    Vor allem gehört es zum „rhetorischen Grundwortschatz“, nicht weg zu pennen, wenn „progressiv sein wollende Linke“ mit Sozialklimbim aufwarten, will man das Ruder noch rumreißen.



    Dabei hätte Herr Unfried gute Argumente gehabt. Angefangen von seiner Dachgeschosswohnung, die im Sommer ganz anders aufheizt als die Jobcenter-Bude, in der der Zuschuss für die Klassenfahrt fehlt.