piwik no script img

■ KommentarWechsel in Würde  Beschleunigte Lernprozesse in der Türkischen Gemeinde

Das Erdbeben in der Türkei hat ein Tabu zum Einstürzen gebracht. Bislang war klar: „Der Türke hat keinen anderen Freund als den Türken.“ Inzwischen hat selbst die religiös-konservative Tageszeitung Zaman bemerkt: „Wir haben Freunde“ – zum Beispiel Israel, Deutschland und Italien. Die Naturkatastrophe hat in der Türkei Lernprozesse beschleunigt. Die Menschen wissen angesichts des Versagens der Zentralregierung: So wird es in Zukunft nicht weitergehen. Schon bald werden neue politische Konstellationen entstehen.

Im Gegensatz zu Zaman ist der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Hakki Keskin, von all diesen Veränderungen unbeeindruckt. Wie ein Fels in der Brandung hält der Hamburger Sozialwissenschaftler an seinen mühsam erworbenen Ressentiments gegenüber Deutschland fest. Die Empörung, die nun über ihn hereinbricht, hat sich der Mann redlich verdient. Schon vor Jahren verabschiedete sich Keskin aus dem konstruktiven Teil des deutsch-türkischen Dialogs. Belebende Diskussionsimpulse kommen von rückwärtsgewandten Berufstürken wie Hakki Keskin nicht. Kaum erhebt er die Stimme, erschallt schon die Anklage des kalten, rassistischen und unbelehrbaren Deutschlands.

Natürlich hat er damit in den letzten zwanzig Jahren auch mal ins Schwarze getroffen. Aber der Veränderung der bundesdeutschen Gesellschaft wird er nicht mehr gerecht. Vertreter der zweiten und dritten Generation haben Keskin vor Zeiten inhaltlich überholt. Sie begreifen sich nicht mehr als Diasporatürken, sondern als deutsche Staatsbürger türkischer Herkunft. Selbstbewusst und konstruktiv mischen sie sich in die Diskussion um die Frage ein, wie unsere Republik in Zukunft aussehen soll. Der Generation Keskins bleibt da nur die undankbare Rolle des Ewiggestrigen, der verzweifelt daran festhält, dass der Türke unter den Teutonen niemals nicht Freunde gewinnen kann.

Die Emotionen schlagen hoch. Und es ist davon auszugehen, dass der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde schon bald nicht mehr Hakki Keskin heißen wird. Aber halten wir für einen Moment inne. Die unbestrittenen Leistungen der ersten Politikergeneration türkischer Herkunft sind zu würdigen. Und Schlüsselpositionen sind in Würde für die nächste Generation frei zu machen. Eberhard Seidel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen