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Wasserversorgung in Addis AbebaEine Stadt vergiftet sich selbst

Äthiopiens Haupstadt wächst und wächst. Der Bulbula-Fluss dient vielen als Müllkippe. Doch die Bewohner beziehen auch ihr Trinkwasser daraus.

Hat keine eigene Toilette: Meseret in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba Foto: Petterik Wiggers/Panos Pictures

Addis Abeba taz | Auf der Brücke über den Bulbula-Fluss laufen ständig Menschen – aber nicht immer, um den Fluss zu überqueren. Eine Frau mit einem farbigen Kopftuch kommt aus einer Holzbude am Flussrand, die als Friseursalon dient. Sie trägt eine Wanne und schüttet eine braune Flüssigkeit in den Fluss. Etwas später kippt ein älterer Mann den Inhalt eines Jutesacks ins Wasser. Es sieht aus wie mit Öl beschmierte Lappen, Plastiktüten und Gemüseabfall.

Bei Fragen laufen die beiden schnell davon. Nicht, weil sie Abfall in den Fluss werfen – das ist für viele Einwohner der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba ganz normal. Sondern weil die politische Lage im Land ungewiss ist und fast jeder bevorzugt, den Mund zu halten.

Der Bulbula windet sich durch Addis Abeba wie noch ein halbes Dutzend anderer kleiner Flüsse, die vor allem aus nördlicher Richtung kommen. Sie reißen große Mengen an flüssigen und festen Abfällen mit sich, aus Haushalten, Tankstellen, Krankenhäusern, Baustellen und Fabriken. Die meisten der Flüsse strömen in den Akaki, der südwärts in den Aba-Samuel-See fließt – ein Trinkwasserreservoir für die Hauptstadt. Addis Abeba verschmutzt sein Wasser selbst.

Addis Abeba wächst schnell, die Infrastruktur hält nicht Schritt. Vor zehn Jahren betrug die Einwohnerzahl etwas über 3,2 Millionen, jetzt sind es etwa 5 Millionen. Obwohl es eine Stadt mit vielen Hochhäusern ist, leben viele in Armenvierteln, in kleinen Wohnungen aus Holz, Stein, Wellblech oder Lehm, wo es kaum Sanitäranlagen gibt.

Klos als purer Luxus

30 Prozent der Einwohner von Addis Abeba haben keinen Zugang zu einem Klo. 57 Prozent nutzen Grubenlatrinen, wobei oft Kot und Urin in den Boden sickern. Der Rest besitzt eine Toilette, die durchgespült werden kann und an das Abwassersystem angeschlossen ist. Aber das ist eine Luxussache. Für die anderen ist meistens der Flussrand die Toilette oder sie benutzen zu Hause einen Eimer, der dann in den Fluss geleert wird.

Hygiene ist so wichtig für die Gesundheit, das weiß ich aus Erfahrung

Krankenschwester Yetm

Meseret, die wie die meisten in Äthiopien nur ihren Vornamen benutzen will, lebt mit ihren zwei Kindern in einem vom Staat subventionierten Häuschen für 7 Brr (0,13 Euro) Monatsmiete. Es gibt ein winziges Schlafzimmer und Wohnzimmer – und eine Gemeinschaftstoilette, „zu weit weg nachts und wenn jemand an Durchfall leidet“, meint die Witwe, die als Kellnerin ein kleines Gehalt verdient. Sie und die Kinder nutzen deshalb lieber den kleinen Seitenhof neben dem Haus als Klo. Sie bedecken ihre Ausscheidungen mit Sand und spülen sie mit Wasser in die Erde.

Müllhalde und Wasserressource für Bauern zugleich: Fluss in Addis Abeba Foto: Petterik Wiggers/Panos Pictures

Nicht weit weg lebt die Krankenschwester Yetm, die in einer Privatklinik arbeitet, zusammen mit ihrer Mutter und kleinen Schwester in einem ähnlichen Häuschen. Sie hat sich mit zwei Nachbarn zusammengetan und im kleinen Gemeinschaftshof eine Toilette und Dusche bauen lassen. Alle haben mitgezahlt und halten es sauber.

taz folgt dem Wasser

Der Zugang zu sauberem Wasser ist auf der Welt höchst ungleich verteilt. Ein Rechercheprojekt auf verschiedenen Kontinenten über Trinkwasser, Dürre, Überschwemmungen und Geldströme in der Entwicklungszusammenarbeit unter taz.de/wasser

„Mir kam der Gedanke dazu, nachdem mein Vater, der mittlerweile gestorben ist, einen Schlaganfall hatte, wodurch er nicht weit laufen konnte. Er benutzte einen Eimer als Toilette, aber das hat vor allem nachts unerträglich gestunken“, erzählt sie. „Hygiene ist so wichtig für die Gesundheit, das weiß ich aus Erfahrung.“

Mangel an sanitären Anlagen ist nicht die einzige Ursache für die Verschmutzung der Flüsse. In und rund um Addis Abeba gibt es immer mehr Industriebetriebe, und die stehen meistens entlang der Flüsse und leiten ihr Abwasser oft unbehandelt hinein, obwohl es für die Reinigung Stadtverordnungen gibt. Feste Abfälle der Industrie werden oft auf offenen Flächen entsorgt, bei Regen fließen dann schädliche Substanzen in Flüsse oder versickern ins Grundwasser. Forscher und Umweltaktivisten, die dies aufdeckten, sprechen momentan nicht mit Medien, aus Furcht, dass Kritik Folgen haben kann. Sie verweisen auf ihre Berichte.

Mehr Industrie, weniger Landwirtschaft

Seit zwanzig Jahren ist Äthiopien eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt, mit durchschnittlich über 10 Prozent Wachstum im Jahr seit 2000. Selbst dieses Jahr werden trotz Pandemie und Krieg 8,7 Prozent erwartet. Äthiopien hat diese beeindruckende wirtschaftliche Leistung erreicht, weil der Staat den Fokus von Landwirtschaft auf Industrie und Dienstleistungen verlegt hat. Im ganzen Land sind Industrieparks entstanden, die vor allem für die junge Landbevölkerung große Anziehungskraft haben. Sie geben die Landwirtschaft auf, die durch den Klimawandel immer schwieriger wird.

Krankenpflegerin Yetm in ihrem staatlich subventionierten Häuschen Foto: Petterik Wiggers/Panos Pictures

Etwa zwei Drittel der Industrie befindet sich in und um Addis Abeba. Mehr als 90 Prozent dieser Industriebetriebe verfügen über keinerlei Aufbereitungsanlagen. Für die meisten Schadstoffe in den Flüssen ist die Lebensmittel- und Textilindustrie verantwortlich: Chrom, Sulfide, Ammoniumsalze, Chloride und Natriumhydroxid. Nur wenige Industrien recyceln ihr Wasser – sie haben weder die Kapazitäten noch die finanziellen Ressourcen, um sie aufzubauen.

Trotzdem wird am Flussufer Gemüse angebaut, bewässert mit Flusswasser. Es gibt Karotten, Kartoffeln, Spinat, Salat und Tomaten. Alles sieht auf dem ersten Blick hübsch grün aus und ein Mann, der Unkraut jätet, freut sich über seine Gemüsepflanzen. Er sagt, er sei stolz auf seine Arbeit und dankbar, dass er seine Ernte „mit sauberem Flusswasser begießen kann. Bald kann ich das Gemüse auf dem Markt verkaufen.“

Auf die Frage, ob er weiß, wie verschmutzt der Fluss ist, antwortet er nicht.

Kinder sterben bei Durchfall

Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef sind in Äthiopien 60 bis 80 Prozent der übertragbaren Krankheiten auf den eingeschränkten Zugang zu sauberem Wasser und unzureichende sanitäre Einrichtungen zurückzuführen.

„Darüber hinaus werden schätzungsweise 50 Prozent der Folgen von Unterernährung durch Umweltfaktoren verursacht, darunter mangelnde Hygiene und fehlender Zugang zu Wasserversorgung und sanitären Einrichtungen“, berichtet Unicef. „Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen Hygiene und Wachstumshemmung, und ein offener Stuhlgang kann zu fäkal-oralen Erkrankungen wie Durchfall führen, die Mangelernährung verursachen.“ Durchfall sei die häufigste Todesursache bei Kindern unter fünf Jahren in Äthiopien.

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Ungekochtes Wasser ist in Addis Abeba ein Rezept für Durchfall, auch wenn es aus dem Hahn kommt. Aber sauberes Trinkwasser in Geschäften zu kaufen, ist für viele Einwohner zu teuer. Ein Paket mit 6 Flaschen mit 2 Litern kostet 4 Birr (0,08 Euro), die Hälfte der Monatsmiete einer subventionierten Wohnung.

Die Brücke über den Bulbula führt zum Peacock Park, ein grüner Fleck mitten in der vor allem aus Beton bestehenden Hauptstadt. Nach dem Vorbild von New York wird es auch Central Park genannt. Am Wochenende gehen hier Stadtbewohner spazieren, Kinder können toben oder Fußballspielen. Der Park ist auch ein beliebter Ort für Hochzeitsfeiern: Brautpaare lassen sich im Grünen und am Fluss fotografieren. Wenige merken, dass hinter ihnen Gift vorbei fließt.

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2 Kommentare

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  • Und wir machen unbedacht gleiches mit unserer Atem-Luft: Schornsteine, Auspüffe, ausdünstende Lösungsmittel und Weichmacher und Biozide und Arzneimittel verpesten genau das, was wir ein-und-aus-atmen.

  • „„Bald kann ich das Gemüse auf dem Markt verkaufen.“ Auf die Frage, ob er weiß, wie verschmutzt der Fluss ist, antwortet er nicht.“



    Offenbar ist das Problembewusstsein im Volk noch sehr niedrig. Vermutlich muss es noch viel schlimmer werden, bevor es besser wird. Wie seinerzeit hierzulande.