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WasserstoffvorkommenGeologen entdecken immer mehr natürlichen Wasserstoff

Ein Fund in Mali galt einst nur als wissenschaftliches Kuriosum. Doch inzwischen suchen Forscher weltweit nach dem Energieträger.

Das Carreau Wendel Industriemuseum in Lothringen – dort wo einst Kohle gefördert wurde liegen große Wasserstoffvorkommen Foto: Volker Preusser/imago

Natürliche Wasserstoffvorkommen im Untergrund fanden selbst in der Wissenschaft lange Zeit wenig Beachtung. Doch angesichts der politischen Debatte über eine Wasserstoffwirtschaft und nach der Entdeckung mehrerer Lagerstätten steigt das Interesse der Geologen rapide. Zwar sind die bislang nachgewiesenen Mengen an den meisten Fundorten gering, gleichwohl keimt plötzlich Hoffnung auf, dass auch der natürliche Wasserstoff künftig einen gewissen Beitrag zur Energieversorgung leisten könnte. Das weltgrößte Vorkommen wird derzeit im französischen Lothringen vermutet, aber auch in Deutschland könnte es nach Einschätzung von Geologen theoretisch natürlichen Wasserstoff geben.

Einen umfassenden Überblick über mögliche Wasserstoff-Lagerstätten hat bisher niemand. Man habe eben „bisher nicht gezielt danach gesucht“, heißt es in einer aktuellen Publikation von Wissenschaftlern der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Auch bei anderen Explorationen habe man „Wasserstoffkonzentrationen nicht mitgemessen“.

Global immer neue Funde

In Italien haben Forscher aber genau das jüngst getan. Geologen der Universität Lausanne entdeckten bei Bohrungen in Megolo südlich von Domodossola plötzlich Blasen im Wasser, das aus dem Bohrloch strömte. Sie fingen das Gas auf und untersuchten es im Labor – es war Wasserstoff, der im Untergrund entstanden war.

Dass es in den Tiefen der Erde mancherorts Wasserstoff gibt, weiß man zwar grundsätzlich seit Jahrzehnten, doch praktische Relevanz hatte diese Erkenntnis nie. Das bekannteste Beispiel stammt aus Mali. Dort hatte man bereits 1987 bei einer Grundwasserbohrung zufällig ein Wasserstoffvorkommen entdeckt, das man fortan als geologisches Kuriosum betrachtete. Erst 2012 öffnete man das Bohrloch wieder und schaute genauer hin. So stellte man fest, dass dort pro Jahr 50 Tonnen natürlich entstandener Wasserstoff mit einer Reinheit von 98 Prozent ausströmen.

Eine Flussrate von sogar 200 Tonnen pro Jahr ermittelten Forscher in 2024 in einer Mine in Albanien. Dort war man früher bei Grubenexplosionen stets davon ausgegangen, dass Methan die Schuld hatte – bis man jüngst nachforschte und ein Gas mit einer Wasserstoffkonzentration von 84 Prozent vorfand.

Inzwischen berichten Geologen auch von Wasserstofffunden in der Türkei und in Frankreich. In einigen Ländern wurden bereits Lizenzen für die Exploration vergeben, etwa in den USA, in Spanien, Australien und Frankreich.

Besonders der Fund in Frankreich sorgt für Aufsehen: In Folschviller im Lothringer Becken wurden unter Steinkohlevorkommen Wasserstoffreservoire entdeckt, die aktuell als die größten weltweit gelten. Geologen schätzen, dass dort bis zu 46 Millionen Tonnen Wasserstoff lagern könnten – das wären ganz neue Dimensionen und erstmals Mengen von energiewirtschaftlicher Relevanz.

Dazu die Vergleichszahlen: Bundesweit liegt der Wasserstoffverbrauch aktuell bei 1,4 Millionen Tonnen pro Jahr; er soll laut der Nationalen Wasserstoffstrategie bis auf rund 10 Millionen Tonnen im Jahr 2045 steigen. Weltweit nutzt die Industrie heute 95 Millionen Tonnen Wasserstoff jährlich, überwiegend als Rohstoff in der Chemiebranche. So braucht zum Beispiel die Firma Evonik in Rheinfelden im Jahr rund 8.000 Tonnen Wasserstoff – was bereits ein Vielfaches der Mengen ist, die bisher aus Mali oder Albanien bekannt waren. Nun aber blickt die Welt nach Lothringen und es stellt sich die Frage, ob es auch auf deutscher Seite relevante Lagerstätten geben könnte. Doch zu Vorkommen in Baden-Württemberg, so lässt das dortige Landesamt für Geologie, Bergbau und Rohstoffe auf Anfrage wissen, lägen bisher „keine Informationen“ vor. Entsprechend seien „auch keine potenziellen Standorte bekannt“. Gleichwohl will Peter Klitzke, Geologe bei der BGR, auch im Rheingraben Vorkommen nicht ausschließen – die Gesteine ließen eine Entstehung und Ansammlung von Wasserstoff nämlich grundsätzlich möglich erscheinen.

Unter welchen geologischen Bedingungen sich natürlicher Wasserstoff überhaupt bilden kann, glauben Geologen nämlich recht gut verstanden zu haben. Es kommen mehrere Optionen infrage. Zum einen gibt es biologische Prozesse, bei denen Mikroorganismen organische Stoffe derart zersetzen, dass Wasserstoff entsteht.

Entstanden tief unter der Erde

Aber auch abiotische Prozesse – also solche, an denen keine Lebewesen beteiligt sind – können das begehrte Gas hervorbringen. Einer davon ist die Radiolyse: Natürlich vorkommende radioaktive Elemente im Gestein können im Zuge ihres Zerfalls durch ihre Strahlung Wassermoleküle in ihre Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zerlegen.

Komplexer noch ist der Vorgang der sogenannten Serpentinisierung. In Gesteinen mit einem hohen Anteil von Magnesium und Eisen kann bei der Oxidation des Eisens der Wasserstoff als Nebenprodukt entstehen. Ob der Prozess an einem Standort tatsächlich stattfindet, hänge von der Gesteinszusammensetzung, dem Wassergehalt, Druck und Temperatur ab, erklärt BGR-Wissenschaftler Klitzke. Als optimal gelten Temperaturen zwischen 200 und 300 Grad, weshalb Schichten zwischen 7 und 10 Kilometer Tiefe zur Wasserstoffbildung prädestiniert sind.

Die Frage, welche geologischen Formationen eine Ansammlung ermöglichen, ist nur in Teilen beantwortet

Während die Entstehung von natürlichem Wasserstoff relativ gut verstanden ist, sind hingegen die parallelen Abbauprozesse von Wasserstoff, die es im Untergrund ebenfalls gibt, noch wenig erforscht. Ebenso ist die Frage, welche geologischen Formationen tatsächlich eine Ansammlung ermöglichen, nur in Teilen beantwortet.

Doch in dieser Hinsicht dürften in den nächsten Jahren weitere Erkenntnisse zu erwarten sein. An vielen Orten bilden sich nämlich inzwischen Arbeitsgruppen, die das Thema erforschen. Das GeoZentrum Nordbayern der Universität Erlangen-Nürnberg hat ein Forschungsprojekt „Natürlicher Wasserstoff in Nordbayern“ gestartet. Das GeoForschungsZentrum Potsdam unterdessen untersucht Gebirgsketten im Mittelmeerraum. Für die Experten der Lagerstättenkunde ist die Suche nach Wasserstoff übrigens in einem Punkt ein eher untypisches Thema: Es geht hierbei – verglichen mit Öl und Gas – um kurzfristige Bildungsprozesse. Während die fossilen Energien in Zeiträumen von Jahrmillionen entstanden sind, kann die Bildung von Wasserstoffansammlungen schon in Tausenden von Jahren erfolgen – für Geologen nur ein Wimpernschlag der Geschichte.

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1 Kommentar

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  • Reduziert die Nutzung von natürlichem Wasserstoff nicht den Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre? Und erhöht dadurch den CO2 Gehalt?