Wassersommelier über Sprudel: „Der Mund wird einmal durchgespült“
Arno Steguweit kennt mehr als 800 Sorten Mineralwasser. Ein Gespräch über Kohlensäure, Eifel-Vulkangestein und den Schaumteppich auf der Zunge.
taz: Herr Steguweit, still oder sprudelnd?
Arno Steguweit: Mal so, mal so.
Wovon hängt das ab?
Die Kohlensäure ist ein ganz wesentlicher Faktor beim Genuss von Mineralwasser. Sie setzt im Wasser den pH-Wert runter, es schmeckt säuerlicher, ist nicht mehr so vollmundig. Der Mund wird einmal durchgespült, der Gaumen wird gereinigt und ist hinterher wie jungfräulich. Außerdem wird der ganze Organismus durch Kohlensäure angeregt, man hat so einen Hallo-wach-Effekt. Für mich ist sprudeliges Mineralwasser der perfekte Begleiter in langatmigen Sitzungen oder zum Lunch, um wieder ein bisschen Vitalität in den Körper zu kriegen. Ich würde aber niemals sprudeliges Wasser in der Nacht oder frühmorgens trinken.
Was macht guten Sprudel aus?
Das hängt immer vom Konsumenten ab. Es hat viel damit zu tun, wo wir aufgewachsen sind. Jeder kann am Gaumen fast alles wahrnehmen, aber ab wann die Papillen eine Irritation spüren, ist unterschiedlich. Was für mich ausgewogen, elegant und lecker ist, könnte für jemand anderen total salzig und blechern schmecken. Medium-Kohlensäure hat oft ganz viele, weiche, kleine Bläschen, die dann auf der Zunge platzen wie so ein kleiner Schaumteppich. Bei sehr stark sprudelndem Mineralwasser hat man eher bleiharte, große Kohlensäurebläschen, die wie Kügelchen auf der Zunge stehen und erst dann platzen.
Woher kommt eigentlich der Sprudel?
Für echten Sprudel muss das Wasser auf Vulkangestein niederregnen. Das Wasser nimmt den Kohlenstoff auf und bildet Kohlendioxid. Auf der Reise durch das Untergestein nimmt sprudelndes Wasser mehr Mineralstoffe auf. Wenn es also in der Eifel regnet, hat man hoch mineralisiertes Wasser, weil auf der Reise durch dieses tiefe Gestein hohe Konzentrationen von Mineralstoffen gelöst werden. Gebirgsregionen, die durch vulkanische Aktivität entstanden sind, haben hochwertige und fantastische Sprudelwässer. Es gibt nur ein Manko: Der Markt akzeptiert keine Schwankungen. Es muss immer die gleiche Menge Sprudel sein.
43, ist ausgebildeter Weinsommelier und hat sich während seiner Tätigkeit im Hotel Adlon Kempinski 2004 zum Wassersommelier weitergebildet. Heute ist Steguweit Geschäftsführer des Onlineweinhandels Wine & Waters und Inhaber von Arnos Weinladen in Glienicke/Nordbahn.
Ein natürlicher Sprudel schmeckt also immer verschieden?
Ja. Das hängt vom Luftdruck, vom Wetter und von der Abfüllgeschwindigkeit ab. Weil man den Kohlensäuregehalt nicht stabil garantieren kann, sind die Produzenten dazu übergegangen, dem natürlich angereicherten Sprudel die Kohlensäure zu entziehen und dann wieder zuzufügen.
Macht es das schlechter?
Nein, nur anders. Generell verändert die Menge an Kohlensäure die Eigenschaften des Wassers. Wenig Kohlensäure wird anders gelöst, sättigt das Wasser anders und wird dann auch anders wieder abgegeben. Und es ist natürlich ein anderes Mundgefühl. Ähnlich ist das mit verschiedenen Verpackungen. Die Kohlensäure aus der PET-Flasche ist immer weicher, feiner, mürber und deutlich säuerlicher im Mundgefühl als die aus der Glasflasche. Dort bleibt die Kohlensäure länger stabil und hat eine viel kernigere Perlage als aus der Plastikflasche.
Spielt die Glasform für den Geschmack auch eine Rolle?
Die Öffnung oben – konvex nach außen oder konkav nach innen verjüngend – verändert das Auftreffen des Wassers auf der Zunge. Bei einem normalen, konkaven Weinglas trifft das Produkt auf die Mitte der Zunge, den am wenigsten sensitiven Bereich. Bei einem Wasserglas, das konvex nach außen geöffnet ist, trifft das Wasser auf die Zungenspitze. Das ergibt ein viel intensiveres Erlebnis. Für ein stark sprudeliges Wasser empfehle ich ein Glas, bei dem sich die Öffnung verjüngt. Es ist angenehmer, wenn es nicht gleich vorne einen Schmerz auslöst. Dann sind die Rezeptoren nämlich damit beschäftigt, und man vergisst, über das Produkt nachzudenken.
Wie wurden Sie Sommelier für Wasser?
Ich bin ausgebildeter Weinsommelier. Auf Wasser habe ich mich erst spezialisiert, nachdem im Hotel Adlon die Entscheidung gefallen war, eine Mineralwasserkarte anzubieten. Zuerst dachte ich, die sind ja verrückt. Das geht nicht. Aber dann habe ich mich darauf vorbereitet, verkostet, mit Abfüllern telefoniert, Anlagen angeschaut, mit Wissenschaftlern und Ärzten gesprochen. Das Adlon und ich haben davon unglaublich profitiert, weil man mit so einem einfachen Produkt wie Wasser viel Umsatz machen kann.
Was antworten Sie auf die Frage, welches Wasser Sie empfehlen können?
Eine Empfehlung fällt mir am leichtesten, wenn mir der Gast sagt: „Ich trinke zu Hause gerne Marke XY in Classic.“ Dann weiß ich sofort, wie das Wasser mineralisiert ist, ob es kräftig und salzig oder bitter und säuerlich ist. Oder ich frage nach Vorlieben: Wie viel Kohlensäure darf es sein, und wie intensiv darf der Charakter des Wassers sein?
Mögen Sie persönlich denn eher viel oder wenig Kohlensäure?
Die Antwort kennen Sie schon: Mal so, mal so. Für mich ist Kohlensäure ein wichtiges Medium, es macht mir große Freude. Aber eben zur richtigen Zeit in der richtigen Dosierung. Wenn ich einen langen Strandtag hatte, der Körper ein bisschen down ist – dann nehme ich ein Mineralwasser, das besonders viel Kohlensäure hat und mich ein bisschen aufpeppt. Wenn ich abends essen gehe, bevorzuge ich zum Wein eher weniger bis gar keine Kohlensäure. Bei Weißwein ist wenig Kohlensäure ganz gut, bei Rotwein gar keine. Gerbstoff und Kohlensäure vertragen sich überhaupt nicht, es wird sauer.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Was halten Sie von Weinschorle?
Man führt bereits vor dem Genuss die Produkte zusammen, die hinterher sowieso zusammenkommen. Gutes miteinander zu verbinden ist immer eine tolle Geschichte. Man sollte nur darauf achten, dass man Wasser mit wenig Eigencharakter nimmt. Also weniger Mineralisierung, sonst wird es schnell letschert. Die Weinschorle macht nur Spaß, wenn sie auch kribbelt. Wichtig ist auch der richtige Wein, am besten ein säurereduzierter Weißburgunder oder Müller-Thurgau. Oder gleich etwas ganz Aromatisches wie eine Scheurebe. Dann ist nur noch wichtig, dass es nicht zu wässrig wird.
Was wäre denn eine gute Mischung?
Die Gastronomie macht gerne 60 zu 40, mehr Wasser als Wein. Ich würde es genau andersherum machen, der Wein sollte das dominierende Getränk sein. Und wenn das Wasser kernig mit viel Kohlensäure ist, dann reichen die 40 Prozent, um es aufzufrischen.
Wie viele Wassersorten haben Sie probiert?
Mir sind zwischen 800 und 1.000 verschiedene Sorten aus der ganzen Welt geläufig. Es gibt nur wenige deutsche Quellen, die ich noch nicht probiert habe, und wir haben hier fast 600 verschiedene. Ich bin quer durch Europa bis an den eurasischen Rand gereist, um mich mit dem Thema Wasser auseinanderzusetzen.
Was halten Sie von den Wassersprudlern für daheim?
Nicht so viel. Nicht weil die Geräte nicht funktionierten, sondern weil ich es schwierig finde, den Verbraucher mit der Qualität des Leitungswassers alleinzulassen. Wir haben total tolles Leitungswasser in Deutschland. Wir können damit Zähne putzen, kochen und vieles mehr. Aber anders als beim abgefüllten Wasser ist die Qualitätskontrolle des Leitungswassers nicht sehr hoch. Die letzte Kontrolle machen die Stadtwerke, bevor das Wasser in die Leitungssysteme gepumpt wird. Wenn ich mir den Querschnitt einer Wasserleitung anschaue oder das Innenleben eines Wasserhahns, möchte ich einfach kein Leitungswasser mehr trinken. Auch unser Abwasser kommt schließlich immer wieder in den Wasserkreislauf zurück. Gerade in großen Metropolen wird das Wasser häufig wiederverwendet. Und dann steht das Wasser gerade in hohen Häusern tagsüber mitunter sehr lange in den Leitungen. Dieser Gedanke behagt mir nicht.
Muss ein gutes Wasser viel kosten?
Natürliches Mineralwasser wird direkt aus dem Boden zur Verfügung gestellt. Die Quelle muss zertifiziert sein, und ihre Qualität darf sich nicht verändern, damit es ein immer gleichbleibendes Produkt ist. Es muss also nicht teuer sein – aber es muss eben auch nicht billig verschleudert werden. Discounterwässer für 19 Cent haben eine ganze Industrie kaputtgemacht. Regionale Getränkehersteller haben Fußballvereine gefördert, Basketballturniere gesponsert und so weiter. Wenn man die jetzt zwingt, günstig zu produzieren, dann haben die hinterher kein Budget mehr, um sich regional zu engagieren. Eine Flasche Wasser sollte zwischen 50 und 80 Cent kosten. Alles darüber ist Marketing.
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