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Wasserkraftwerk in TibetJahrhundertprojekt auf dem Dach der Welt

Im Süden Tibets wird das mit Abstand größte Wasserkraftwerk der Welt errichtet. Die Umweltschäden dürften massiv werden.

Der Yarlung Tsangpo in Tibet – an diesem Fluss soll das Wasserkraftwerk entstehen Foto: ChinaNewsService/imago

Seoul taz | Als Chinas Premier Li Qiang im tibetischen Nyingthri den symbolischen Spatenstich setzte, sprach er von einem „Jahrhundertprojekt“. Und tatsächlich trifft der Superlativ sehr gut auf den geplanten Staudamm am unteren Flussverlauf des Yarlung Tsangpo. Denn bereits seit 1951, also wenige Monate nachdem die Truppen der Volksbefreiungsarmee in Tibet einmarschierten, kursierten in Peking bereits vage Gedankenspiele über ein mögliches Wasserkraftwerk in der abgelegenen Region. Nun wird es umgesetzt.

Die Dimensionen des Staudamms sind gigantisch: 1,2 Billionen Renminbi wird es voraussichtlich kosten, umgerechnet sind das 140 Milliarden Euro. Allein mit dem Stahl, der in den nächsten Jahren verbaut wird, könnte man laut einer Schätzung von Bloomberg knapp 120 Empire State Buildings errichten. Wenn das Mutuo-Wasser­kraftwerk in den frühen 2030ern fertiggestellt ist, wird es mit 60 GW genügend Energie liefern, um theoretisch die gesamte deutsche Volkswirtschaft zu versorgen. Es wäre um das Dreifache größer als das derzeit größte Wasserkraftwerk der Welt.

Die kommunistische Staatsführung verkauft das Projekt als Durchbruch im Kampf gegen den Klimawandel. Tatsächlich dürfte es dabei helfen, dass China seine nach wie vor große Abhängigkeit von Kohleenergie überwinden kann. Denn trotz massiver Investitionen in erneuerbare Energien während der vergangenen Dekade ist die Volksrepublik nach wie vor für ein Drittel des globalen Kohleverbrauchs verantwortlich.

Doch wie nachhaltig der Staudamm sein wird, ist umstritten – zumal er in einer der abgelegensten Regionen der Welt errichtet wird. Noch vor wenigen Jahren gab es überhaupt keine Anbindung für Autos in den tibetischen Landkreis. Wer die Gegend erreichen wollte, musste einen zusätzlichen Tagesmarsch einplanen – zu Fuß oder auf dem Esel. Die Natur ist so unberührt, dass hier mitunter die ältesten Bäume des Kontinents stehen und seltene Großkatzen durch das Tal streifen.

NGOs schlagen Alarm

Die NGO International Campaign for Tibet (ICT) schlägt Alarm: „Die internationale Öffentlichkeit darf nicht auf die Klimarhetorik der Kommunistischen Partei hereinfallen, während gleichzeitig 1,2 Millionen Tibeter direkt von Vertreibung, Umsiedlung und massiven Umweltschäden betroffen sein werden“, sagt ICT-Geschäftsführer Kai Müller: „Was in Tibet geschieht, ist weder nachhaltig noch klimafreundlich. Im Gegenteil, ein Land wird rücksichtslos ausgebeutet und Menschen werden zu Verschiebe­masse degradiert. Das ist absolut inakzeptabel.“

Solche Warnmeldungen sind keineswegs unbegründet. Man muss nur auf den Drei-Schluchten-Damm in Hubei schauen, den bisher größten seiner Art, dessen Bau in den 1990ern begann. Über eine Million Anwohner mussten unter Zwang ihre Heimat aufgeben und jahrhundertealte Tempelanlagen gingen durch Überflutungen für immer verloren.

Das geplante Mutuo-Wasserkraftwerk in Tibet wäre allein von seiner Dimension deutlich größer. Doch zu den Umweltschäden halten sich die Behörden bislang bedeckt. Die Weltöffentlichkeit dürfte, im Gegensatz zum Staudamm in Sichuan, wohl ohnehin nur von einem Bruchteil der negativen Auswirkungen erfahren: Denn zum einen sind die Volksrepublik China und ihre staatlichen Institutionen während der letzten Jahre deutlich intransparenter geworden, und die Medien stehen längst unter umfassender Kontrolle der Zensurbehörden. Zudem haben ausländische Journalisten in die Region Tibet keinen Zutritt. Sie dürfen nur einreisen, wenn die kommunistische Partei zu Propagandatouren lädt.

Angrenzende Staaten sind skeptisch

Kritische Stimmen melden sich umso stärker im Ausland zu Wort. Insbesondere im benachbarten Indien und in Bangladesch wird der geplante Staudamm als „Wasserbombe“ bezeichnet. Denn das tibetische Hochland ist nicht nur das „Dach der Welt“, sondern dient mit seinen reichhaltigen Gletschervorkommen als Lebensader für die Wasserversorgung etlicher Staaten.

„Als Land, das stromaufwärts liegt, hat China bereits eine unverhältnismäßige Kontrolle über das Wasser des Flusses. Mit einem so massiven Staudamm wird es in der Lage sein, den Wasserhahn nach Belieben auf- und zuzudrehen“, sagt Raji Pillai, Gastwissenschaftlerin bei der Denkfabrik Australian Strategic Policy Institute.

Doch nicht wenige Experten betrachten den Staudamm unter einem ganz anderen Aspekt: Sie sehen das riesige Infra­strukturprojekt als überdimensionales Investment, um die angeschlagene Wirtschaft des Landes anzukurbeln. Vor allem während der Nullerjahre konnte die kommunistische Partei durch den flächendeckenden Bau von Brücken, Hochgeschwindigkeitszugnetzen und Autobahnen immer auch schnelles Wachstum für das Bruttoinlandsprodukt erzeugen. Die Rentabilität solcher Projekte hat zwar deutlich abgenommen, aber der Staudamm würde zumindest dafür sorgen, dass Hunderttausende Arbeiter beschäftigt blieben und Zulieferfirmen staatliche Aufträge erhielten.

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