Wasser-Festival in Hamburg: Recht auf Fluss
Die „Hallo Festspiele“ in Hamburg wollen herausfinden, wie sich Wasserflächen als öffentlicher Raum nutzen ließen – kreativ, aber auch kritisch.
Was du in der Bille natürlich nicht machen darfst: den Boden aufwühlen. Dann sterben die Fische angeblich. Es gibt so Legenden“, steht auf einem Blatt Papier. Es klebt an einer Wand im alten Kraftwerk Bille im Hamburger Stadtteil Hammerbrook. Ringsum hängen noch mehr Zettel, auf jedem ist ein Zitat abgedruckt. Es sind Ideen, Ängste und auch Gerüchte, die sich um den Stadtteil ranken und hier zu einem großen Zettel-Mosaik zusammengefügt wurden.
So ergibt sich ein Stimmungsbild: Was wünschen sich die Menschen, die entlang der Bille, dieses unscheinbaren Flusses im Hamburger Osten, wohnen und arbeiten? Und was denken sie über die Kreativen, die sich vor über zwei Jahren in dem alten Kraftwerksbau eingenistet haben?
Am Wochenende beginnt dort die vierte Auflage der „Hallo Festspiele“: ein dreitägiges Kunstfestival mit Konzerten, Performances, DJ-Sets. Diesmal liegt der Fokus auf dem Thema „Wasser“ – und damit auf der Frage, wie die Bille zu einem Erlebnisraum für die Menschen vor Ort werden kann. Denn auch, wenn der örtliche Ruderklub hin und wieder seine Bahnen auf dem Fluss zieht und ein paar Kleingärten das Ufer säumen: Bislang war die Bille vor allem Hintergrundkulisse für Industrie und Gewerbe.
Das Potenzial erkunden
Um das Potenzial des Wassers zu erkunden, gingen 25 Studierende der Hafencity-Universität und des Illinois Institute of Technology aus Chicago vorab auf Spurensuche. Sie durchstreiften das Gelände, zeichneten auf einer Karte ein, wem welche Uferflächen gehören, wo es Zugänge zum Fluss gibt und wo neue entstehen könnten. Sie sammelten Stimmen im Stadtteil, so entstand die Zettelwand im alten Kraftwerk.
Im Viertel stoßen die Kreativen nicht nur auf Zuspruch. „Klar schlagen uns auch Vorbehalte entgegen«, sagt Dorothee Halbrock vom Verein „Mit freundlichen Grüßen von“, der die „Hallo Festspiele“ organisiert und auch die Schaltzentrale betreibt, „ein experimentelles Stadtteilbüro“ in dem ansonsten leer stehenden Kraftwerk. „Da heißt es dann etwa: ‚Wir wollen aber keine zweite Elbphilharmonie‘“, sagt Halbrock mit ernstem Blick – sie nimmt die Angst ernst: vor einer möglichen Aufwertung des Viertels, vor steigenden Mieten und Verdrängung.
Kreative mit Doppelrolle
„Hallo Festspiele“: Fr, 3.8., ab 17 Uhr; Sa/So, 4./5. 8., ab 15 Uhr, Kraftwerk Bille, Bullerdeich 12, Hamburg
Infos auf hallo-festspiele.de
Schließlich nehmen die Kreativen hier eine schwierige Doppelrolle ein: Sie verändern das Viertel, in dem sie dem halb verfallenen Backsteinbau neue Bedeutung verleihen, Raum schaffen für Kultur und Begegnung. So etwas gab es in Hammerbrook lange nicht mehr. Doch zugleich wollen sie kritisch beobachten, wie sich die Umgebung in den nächsten Jahren verändert.
Denn der Wandel wird kommen, so oder so: Mit dem Senatsprogramm „Stromaufwärts an Elbe und Bille“ sollen bis zu 20.000 Wohnungen entstehen, 100 Millionen Euro lässt die Stadt in die Entwicklung des Hamburger Ostens fließen. Somit sind die Macher*innen der „Hallo Festspiele“ irgendwie beides: Akteur*innen der Stadtentwicklung, ebenjene „jungen Kreativen“, die ein Viertel erst spannend machen. Und sie sind Ansprechpartner*innen der Menschen vor Ort, Anknüpfungspunkt für eine kritische Stadtteilkultur.
Doch zurück zum Wasser. Wie sich die Bille für eine kulturelle Bespielung nutzen ließe, zeigt sich schon jetzt hinter dem Kraftwerk: Vorbei an verwitterten Backsteinmauern und Brombeersträuchern kommt man zum Ufer der Bille, die ruhig in der Sonne schimmert. Rechts eine S-Bahn-Brücke, gegenüber ein paar Sandberge und Betonmischanlagen. Auf dem Wasser schwimmt ein provisorischer Anleger, zusammengeschweißt aus alten Containern.
Sprung ins kalte Wasser
Über eine schmale Treppe geht es auf eine schwimmende Plattform hinab. Man könnte nun direkt ins kalte Wasser springen, denn „natürlich kann man in der Bille schwimmen“, wie Halbrock erklärt, auch wenn man den schadstoffbelasteten Schlick „besser nicht aufwirbeln“ solle. Oder man steigt ins Innere der Containerkonstruktion, die wie eine kleine Bar aussieht, mit bunten Stühlen und einem zusammengezimmerten Tresen.
Dieser Ponton wird das Zentrum der Festspiele sein. Ein Wassertaxi soll Festivalgäste vom S-Bahnhof Hammerbrook zum Anleger bringen, wer möchte, kann selbst mit Ruderboot oder Kajak anreisen und die Gegend erforschen. Die Theatergruppe Cobratheater.cobra bietet Bootsfahrten an, die „Rudervereinigung Bille“ eine Nachtfahrt mit beleuchteten Kanus, Kajaks und Ruderbooten. Und das französische Architekturkollektiv Yes We Camp präsentiert selbst gebaute Boote und schwimmende Installationen.
Auch in der Theorie wird sich dem Element Wasser angenähert: Adnan Softić stellt seine Installation „BibbyChallenge“ über die auf der Elbe schwimmende Wohnunterkunft vor, die in den 1990er-Jahren Geflüchtete beherbergte. Gespräche zwischen Stadtethnolog*innen und Philosoph*innen stehen ebenso auf dem Programm wie Diskussionsrunden mit Kulturschaffenden und Stadtplaner*innen.
Wem gehört das Wasser?
Über allem schwebt die Frage: Wem gehört der öffentliche Raum, sowohl an Land wie auf dem Wasser? Dorothee Halbrock findet, dass die Stadt das Potenzial ihrer Gewässer verkennt. Noch. „Viele Hamburger haben gar kein Bewusstsein dafür, dass die Wasserflächen per Gesetz schon öffentlich sind, man also einen Recht darauf hätte, diese auch aktiv zu nutzen“, sagt sie. „Und zwar auf kreative Weise, nicht unbedingt so, wie ein Touristenführer vorgibt.“
Mit den „Hallo Festspielen“ wollen die Kreativen nun also zeigen, wie es möglich ist, den Raum auch langfristig für die Öffentlichkeit zu öffnen. Und die Chance, dass die ein oder andere Idee langfristig umgesetzt wird, stehe gut, glaubt Hallbrock. Der Kontakt zur Stadt sei mit den Jahren immer enger geworden. Finanziell unterstützt wird das Kollektiv von der Kulturbehörde, der Hamburgischen Kulturstiftung und der Bezirksversammlung, gerade wurden die Fördergelder um ein Jahr verlängert. Seit Kurzem ist das Kraftwerk Bille auch Teil des Programms „Actors of Urban Change“ der Robert-Bosch-Stiftung, das eine partizipative Stadtentwicklung in Städten fördern und Künstler, Verwaltung und Wirtschaft besser vernetzen will.
„Wir werden ernst genommen“, sagt Halbrock, aber ein Risiko, dass das Kulturprojekt das Kraftwerk irgendwann verlassen müsse, bleibe bestehen. Darum heiße es nun: weitermachen, Kontakte knüpfen, um Vertrauen werben, in der Verwaltung wie bei Anwohnern. „Wir wollen uns einen festen Platz sichern“, sagt Halbrock.
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