Was von der Ampel übrigbleibt: Künstliche Intelligenz und Gewaltschutz im Abseits
Nach dem Scheitern der Ampel-Koalition liegen auch zahlreiche digitalpolitische Vorhaben auf Eis. Eine Auswahl – und was Expert:innen hoffen.
Eine davon ist die europäische Verordnung zu künstlicher Intelligenz, der AI Act. Im August ist das EU-Gesetz in Kraft getreten, doch einiges müssen die Mitgliedstaaten noch selbst regeln. Zum Beispiel müssen sie eine nationale Behörde benennen oder einrichten, die die Umsetzung der Verordnung kontrolliert. In Deutschland soll das die Bundesnetzagentur werden.
Doch die braucht auch entsprechende Mittel und Stellen – und dafür bräuchte es den nächsten Haushaltsplan, der sich nun deutlich verzögern wird. Auch weitere Bundesbehörden sollen in die Aufsicht mit eingebunden werden, zum Beispiel die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (Bafin) und das Kraftfahrt-Bundesamt. Auch hier wird es neue Stellen, zumindest aber Umstrukturierungen und Fortbildungen in Sachen KI geben müssen – und dafür Finanzmittel. „Nun haben wir endlich dieses große europäische Gesetz, aber in Deutschland wird es erst mal nicht umgesetzt werden“, kritisiert Jürgen Bering von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).
Vorratsdatenspeicherung ungelöst
Eigentlich hätte in dieser Legislaturperiode auch ein jahrelanges Streitthema zwischen den Parteien abgeräumt werden können und sollen: die Vorratsdatenspeicherung. Die Ampel-Koalition hatte sich nach langem Gezerre auf eine datenschutzfreundlichere Variante geeinigt: den Quick Freeze.
Statt die Telefon- und Internetverbindungsdaten sämtlicher Bürger:innen anlasslos zu erfassen, sollen beim Quick Freeze im konkreten Verdachtsfall in Bezug auf bestimmte schwere Straftaten wie sexuelle Gewalt an Kindern und auf richterliche Anordnung hin die ohnehin noch vorhandenen Verbindungsdaten gespeichert, also quasi eingefroren, werden. Der entsprechende Gesetzentwurf ist derzeit in der Verbändeanhörung.
„Quick-Freeze dürfte angesichts der eh schon skeptischen Haltung von Faeser und dem Law-and-Order-Flügel der SPD vermutlich nicht mehr kommen“, sagt Tom Jennissen vom Verein Digitale Gesellschaft. „Stattdessen dürfte uns eine weitere Episode mit der ewig untoten Vorratsdatenspeicherung bevorstehen.“ In einer schwarz-roten Koalition werde die SPD den Überwachungsinteressen der Union dabei kaum etwas entgegensetzen.
Schutz vor digitaler Gewalt verschoben
Das Justizministerium hatte bereits vor anderthalb Jahren Eckpunkte für ein Gesetz zum Schutz vor digitaler Gewalt vorgelegt. Betroffene digitaler Gewalt, von denen zum Beispiel Nacktfotos oder persönliche Informationen im Internet veröffentlicht worden sind, sollten es damit einfacher haben, die Daten aus dem Netz zu tilgen. „Es ist dringend an der Zeit, dass der Gesetzgeber hier tätig wird“, sagt Bürgerrechtsexperte Bering. Zwar seien viele der Taten bereits strafbar. Aber die Daten aus dem Internet zu entfernen sei meist schwierig bis unmöglich.
Ebenfalls auf der Kippe steht die Reform des sogenannten Hackerparagrafen. Wenn Sicherheitsforscher:innen unabgesprochen in fremde Computersysteme eindringen, um Sicherheitslücken zu finden und diese mitzuteilen, dann sollen sie künftig eindeutig legal handeln. Momentan bewegen sie sich in einem Graubereich. Jennissen hofft hier, dass der Gesetzentwurf noch eingebracht wird.
„Eine Entkriminalisierung von Sicherheitsforschung ist weniger kontrovers und im Übrigen durch den Cyber Resilience Act auch europarechtlich vermutlich geboten, jedenfalls naheliegend.“ Er vermutet, dass eine unionsgeführte Bundesregierung hier weniger Ambitionen habe.
Transparenzgesetz bleibt liegen
Darüber hinaus müssen unter anderem weitere Vorhaben warten: ein Gesetz zur Stärkung der Cybersicherheit, das auf eine EU-Richtlinie zurückgeht und schon im Oktober hätte verabschiedet sein sollen. Dazu kommen Gesetze, die die Digitalisierung der Verwaltung vorantreiben sollten, Gesetze zur Beschleunigung des Netzausbaus und das Transparenzgesetz. Das sollte Behörden dazu verpflichten, Informationen selbst zu veröffentlichen. Momentan müssen Bürger:innen eine Veröffentlichung aufwendig über entsprechende Anträge einfordern.
„Viele wichtige Themen sind liegen geblieben“, kritisiert Jutta Gurkmann, Geschäftsbereichsleiterin Verbraucherpolitik im Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). „In einer immer unübersichtlicheren Welt erwarten Verbraucher:innen Lösungen von der Politik.“ Für Konsument:innen sei auch die fehlende Einigung bei der Reform der Altersvorsorge oder der weiterhin fehlende Schutz vor Kostenfallen problematisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“