Was Kulturschaffende in Chemnitz sagen: Den Diamanten schleifen
Die Stadt vor ihren vermeintlichen Verteidigern retten: Das wollen Ingrid Mössinger und Frédéric Bußmann von den Kunstsammlungen Chemnitz.
Ingrid Mössinger hat die Kunstsammlungen Chemnitz weltweit ins Gespräch gebracht. Mit ihren Ausstellungen von Picasso, Munch oder Neo Rauch und überraschenderweise Bob Dylan trat die Stadt aus dem Schatten ihrer in Sachen Kultur scheinbar übermächtigen Nachbarn Dresden und Leipzig. 22 Jahre leitete sie die Kunstsammlungen bevor sie im Mai in Pension ging.
Diese Woche brauchten jetzt rechtsradikale Hetzer nur zwei Tage um die Stadt erneut weltweit ins Gespräch zu bringen, als hässliches, fremdenfeindliches und nationalistisches Provinzkaff. Und Ingrid Mössinger gesteht im Telefongespräch, sie sehe ihre mühsame Arbeit in ihrem Bereich vernichtet. „Dabei war ich mit meinem Ausstellungsprogramm höchst erfolgreich, weil die Chemnitzer Kunst sahen, die bis dahin an anderen Orten präsentiert wurde. Das hob das Ansehen der Stadt.“
Noch empfindlicher als etwa Industrie, Handel und Gewerbe wird die Kulturszene vom Ansehensverlust getroffen, der mit den Bildern des rechtsradikalen Mobs einhergeht, der fremd aussehende Menschen jagt und bei dem mitzulaufen, gediegen gekleidete Leute aus dem städtischen Mittelstand offenbar kein Problem haben. Warum sollten da Menschen aus Deutschland und der Welt wegen der Kunst und der Baukultur nach Chemnitz kommen, wenn sie annehmen müssen, ins Herz der Finsternis zu reisen?
Ingrid Mössinger sucht nach Erklärungen, warum sich ein liberales Grundverständnis in der Stadt und dem Umland nur partiell entwickelt hat. Sie glaubt, dass ein Grund die mangelnde Anerkennung und Wertschätzung aus dem Westen ist und viele darüber verletzt oder auch wütend sind. Deshalb müsste alle unbedingt miteinander im Gespräch bleiben.
Sensibilisierung der ganzen Persönlichkeit
„Wenn man mit Rechtsradikalen gar nicht redet, gibt man damit jede Möglichkeit auf, diese ideologische Verhärtung zu verändern. Ich hab das einmal versucht, mit einer Person aus dieser Gruppierung zu sprechen, der daraufhin völlig beeindruckt war, dass überhaupt jemand mit völlig anderen Ansichten mit ihm redet. Teile der Gruppierung sind sehr jung, aber auch schon ideologisch sehr verhärtet“.
Für ihre Museumsarbeit fand Mössinger in der lokalen Kultur- und Kunstgeschichte reichlich Anknüpfungspunkte in Chemnitz. Da war Edvard Munch, der 1905 in der Stadt eintraf oder Cranach als mitteldeutscher Großmeister. „Sogar Arbeiten von Toulouse Lautrec gibt es im Museum, sagt die Kunsthistorikerin, „die man in eine große Ausstellung des Künstlers mit 350 Originalen integrieren konnte“.
Ingrid Mössinger hält gerade im Kontext der aktuellen Geschehnisse die Museumspädagogik für besonders wichtig hält. „Es gibt zum Beispiel Konrad, den Kunstbus. Mit ihm werden Kinder sämtlicher Altersstufen und aus allen Schulen der Stadt und Umgebung abgeholt. Auf diese Weise haben fast 40.000 Kinder das Museum besucht. Dieser Bereich solltedringend weiter ausgebaut werden. Denn nur mit einer ganz frühen ästhetischen Erziehung findet eine nötige Sensibilisierung der ganzen Persönlichkeit statt.“
Auch ihr Nachfolger Frédéric Bußmann macht sich Gedanken wie sein Haus als Teil der Zivilgesellschaft diese stärken kann. Er plädiert dafür, „dass sich die Kunst- und Kulturszene hier unmissverständlich einbringt und Räume eröffnet, die Sicherheit bieten, in denen aber auch Rassismus, Angriffe auf die Menschenwürde und die Liberale Grundordnung deutlich benannt werden“.
Die Arbeiterstadt mit ihrem bürgerlichen Erbe versöhnen
In den kommenden Wochen wird er eine Ausstellung mit Mario Pfeifer präsentieren, in der sein aktueller Beitrag zur Berlin Biennale „Again/Noch einmal“ und das Video „Angst und Bildung“ gezeigt werden, begleitet von Diskussionsrunden und Vorträgen. „Pfeifer hat sich in Again mit den Vorfällen von Selbstjustiz in Arnsdorf beschäftigt. Damals fesselte eine Gruppe von Männern einen Geflüchteten nach einem Streit im Supermarkt an einem Baum.“
Chemnitz wird aufgrund seiner Baukultur aus dem Beginn des 20. Jahrhundert auch Stadt der Moderne genannt. Aber in den Jahren der DDR spielte diese Hinterlassenschaft für die Industriestadt keine Rolle mehr. Allerdings „wurde in den letzten 30 Jahren“, kann Frédédric Bußmann bestätigen, „viel dafür getan, diese Arbeiterstadt wieder mit ihrem bürgerlichen und modernen Erbe zu versöhnen und das Bild der Stadt als offene und liberale Gesellschaft, als Standort von Technik, Wissen und Kultur zu stärken“.
Im Übrigen sei die Stadt „weitaus besser als ihr Ruf“. Es gelte ein kulturelles und ziviles Bündnis zu schmieden im Verbund mit den Kolleginnen und Kollegen der anderen kulturellen Institutionen und Initiativen. Denn die „Stadt ist ein Diamant, dem ziemlich übel zugesetzt wurde und der von seinen Bürgerinnen und Bürgern wieder geschliffen werden muss, um in Schönheit zu glänzen“.
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