Warum war es am Rhein so schön?

Wo um die Jahrhundertwende die Elite Europas flanierte, gekrönte Häupter abstiegen und Heinrich Heine sich vom Drachenfels inspirieren ließ, dominiert heute der seniorenlastige Tagestourismus  ■ Von Bernhard Hoffmann

Busse aus dem Ruhrgebiet, der Eifel und Belgien steuern Königswinter an. Die Menschenmasse ergießt sich in die Fußgängerzone der Altstadt. Dort werden die Speisekartenpreise verglichen. Die Tagestouristen suchen das billigste Kännchen koffeinfreien Kaffee inklusive Kuchen. Frisch gestärkt geht es in die Drachenfels-Bahn und mit dieser hinauf auf den Berg, ohne dafür die angefütterten Kalorien verbrennen zu müssen. Vom Drachenfels hat man – herrliches Wetter vorausgesetzt – einen grandiosen Blick über die Rheinebene. Mit etwas Glück sieht man die Turmspitzen des Kölner Doms, bei weniger gutem Wetter reicht die Aussicht zumindest bis zum zwölf Kilometer entfernten „Langen Eugen“ in Bonn. Danach heißt es: Rein in den Bus und nach Hause.

„Nein, richtigen Urlaub mit der Familie würde ich hier nicht machen; meine Kinder würden sich nach einem Tag zu Tode langweilen“, sagt Manfred Liebscher aus Salzgitter, der gerade auf einem Seminar in Königswinter weilt. Seinen pubertierenden Teenagern ist im Urlaub nach Erlebnisbad und Disco – nicht nach Schiffahrt und Drachenfels-Besteigen.

Auch Gertrud Schnitzler, eine Tagestouristin aus Düren, will die schönste Zeit des Jahres keinesfalls in Königswinter verbringen: „Hier sind mir zu viele Touristen unterwegs“, meint die 69jährige. Zusammen mit ihrer Kirchengemeinde ist sie an diesem Morgen in den Bus gestiegen, um einen Tagestrip dorthin zu machen, wo der Sage nach Siegfried den Drachen getötet hat. Ein Teil der rund 200 Personen bevölkert ein Café und wartet in ausgelassener Stimmung auf die Rückfahrt um 18 Uhr.

Café-Besitzerin Anne Leven kann nicht klagen. Auch wenn die Touristen immer weniger und immer älter werden und anstatt ein dreigängiges Mittagessen lieber mitgebrachte Stullen verzehren – ein Kaffee ist immer noch drin. Für Leven sind die Bustouristen in der Saison zwischen Karfreitag und Anfang Oktober eine kalkulierbare Größe.

Gefragt ist konservativer Kitsch

Andere wie Souvenirhändler Jahanzeb Khan müssen dramatische Einbußen verkraften: „Etwa 20 bis 30 Prozent habe ich letztes Jahr weniger verkauft. Normalerweise müßte zum Saisonende der Laden leergekauft sein, aber die Regale waren im Herbst fast so voll wie im Frühjahr.“ Neben dem Rückgang der Touristen macht er auch die gestiegene Arbeitslosigkeit für die Entwicklung verantwortlich. Die Schmerzgrenze für die Kitsch-Gegenstände liege bei fünf Mark. „Wenn etwas teurer ist, dann überlegen die Leute dreimal, es zu kaufen“, weiß der 54jährige. Modische Artikel gehen schlecht, die meisten Käufer sind konservativ und schwören – wie seit Jahrzehnten – auf Teller, Krüge und T-Shirts mit dem Drachenfels-Konterfei. Aber auch Souvenirs mit dem Kölner Dom oder dem Deutschem Eck in Koblenz kann man bei Khan erstehen. Einige kaufkräftige amerikanische Touristen bleiben über eine Stunde in seinem Andenkenladen, so fesselt sie die Auswahl.

Zufrieden zeigt sich Manfred Maderer vom Traditionshotel „Loreley“. Von den ehemals acht Hotels mit 1a-Adresse sind nur drei geblieben. Anfang der 80er Jahre hat Maderer das 1885 erbaute Gebäude renoviert und die Zimmer den Ansprüchen angepaßt. „Seitdem kommen mir keine Kegelvereine mehr ins Haus“, freut sich der Hotelier. Über die Hälfte seiner Gäste sind mittlerweile Tagungsgäste, die mehrere Tage bleiben. Manch anderer Hotelbesitzer, der keinen Platz und kein Geld hat, sein Haus mit Tagungsräumen aufzurüsten, hat sich statt dessen auf Schulklassen spezialisiert. „Die Zimmer sind zwar ausgelastet, aber der Wirt muß sie natürlich unter Normalpreis vermieten“, sagt Magarete Benz, eine alteingesessene Bewohnerin, hinter vorgehaltener Hand. Sie kümmert sich seit Jahren um die Sauberkeit der einzigen öffentlichen Toilette und gewinnt durch den Kontakt mit den Gästen allerlei Einblicke. Benz kriegt auch den Ärger der Gäste über überhöhte Preise mit, wenn sie beispielsweise sieben Mark für ein Mineralwasser bezahlen mußten. Für sie sind das niedrige Trinkgeld und die zurückgehende Zahl der Toilettenbesucher Indizien für den Niedergang des Tourismusgeschäfts: „Das Geld sitzt nicht mehr so locker wie noch vor Jahren: Früher fragten die Leute, wo man gut essen kann, heute fragen sie nach der nächsten Imbißbude.“ Die gelernte Köchin weiß auch, daß mancher Gastwirt ehemals während der Woche 80 bis 100 Essen servierte und heute froh ist, wenn er zehn Gäste verköstigen darf. Die Touristen-Rezension ist allerorten sichtbar: Viele Ladenlokale stehen leer oder wechseln häufig die Besitzer; nicht wenige Vermieter sind froh, wenn sich vorübergehend wenigstens ein Reste-Ramsch-Laden einmietet.

Frischen Wind soll nun die neugegründete Tourismus GmbH Siebengebirge bringen, ein Zusammenschluß der bürokratisch steifen Femdenverkehrsämter von Königswinter und Bad Honnef. Die Gesellschaft will mit neuem Personal und neuen Ideen die Vermarktung der gesamten Region auf Vordermann bringen. Ihr Geschäftsführer, Oliver Bremm, schwärmt von einer touristischen Neuausrichtung der Stadt und will langfristig neben Rhein und Felsen weitere Attraktivitäten aus den Bereichen Kultur, Sport, Natur und Weinkunde anbieten. Die Hoteliers sollen dazu beitragen, indem sie familienfreudlichen Service wie Kinderunterhaltung oder Kinderbetreuung offerieren.

Reiseerfahren und anspruchsvoll

Woher diese Investitionen kommen sollen, steht erwartungsgemäß in den Sternen. Das Stadtsäckel ist so leer wie überall, und die Hoteliers sind aufgrund der flauen Übernachtungszahlen nicht gerade auf Rosen gebettet. Und der alte Trick mit den überhöhten Preisen vergrault die Gäste: „Die Menschen sind heute anspruchsvoller und reiseerfahrener als früher. Sie merken, wenn man sie mit überhöhten Preisen über den Tisch ziehen will“, weiß auch Bremm.

Wer den horrenden Preis von 13 Mark für die Drachenfels-Bahn spart und zu Fuß die 22-Prozent- Steigung nimmt, der wird mit Original-Automaten aus den 70er Jahren belohnt. Anstößiges Highlight: ein Automat, der pornografische Fotos aus den 70ern zeigt – für heutige Verhältnisse garantiert jugendfrei, weshalb das Voyeur-Gerät neben dem Automaten stehen darf, der die wahre Geschichte der Heinzelmännchen zu Köln so nett veranschaulicht.