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Warum die Dunkelziffer hoch istRechte schlagen öfter zu

Sie wollten helfen und wurden selbst angegriffen. Am vergangenen Samstagabend beobachteten zwei junge Männer auf dem Parkplatz des Fähranlegers Blexen in Nordenham, wie drei Männer einen türkischen Staatsangehörigen mit rassistischen Sprüchen beleidigten und damit anfingen, ihn zu schubsen. Der 17-jährige Beifahrer forderte die alkoholisierten Männer auf, den 28-Jährigen in Ruhe zu lassen. Aber im Gegenteil: Einer der Männer schlug daraufhin auch die Beifahrerscheibe des Autos der jungen Helfer ein und verletzte den Beifahrer.

In Niedersachsen sind im ersten Halbjahr 2016 die rechtsextremen Straf- und Gewalttaten auf einen neuen Höchststand gestiegen. „Das ist bundesweit zu beobachten“, sagt Julia Willie Hamburg, Grüne Landtagsabgeordnete und Sprecherin für Antifaschismus. „Die angeheizte Stimmung in der Flüchtlingsdebatte schlägt sich in Gewalt nieder“, sagt sie.

Eine Antwort der rot-grünen Landesregierung in Niedersachsen auf zwei Anfragen der grünen Landtagsfraktion zeigt, dass die Polizei 2016 im ersten Halbjahr 868 rechte Straftaten registrierte. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2015 zählte die Polizei 658 Straftaten. Das ist ein Anstieg von fast 30 Prozent. Die rechten Gewalttaten wuchsen von 47 Taten auf 62 an.

„Wir gehen auch noch von einer Dunkelziffer aus“, sagt Hamburg. Das ist keine bloße Annahme. Beratungsstellen für Opfer weisen seit Jahren darauf hin, dass aus unterschiedlichen Gründen nicht alle rechten Straf- und Gewalttaten von den Behörden erfasst werden. Ein Grund: Betroffene wenden sich nicht an die Polizei, da sie sich dort nicht gut aufgehoben fühlen. Hotspot rechter Straf- und Gewalttaten in Niedersachen ist Braunschweig: 194 Straftaten und 14 Gewalttaten wurden dort gezählt.

Andreas Speit

arbeitet als freier Journalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland.

In Blexen hat die herbei gerufene Polizei die Täter geschnappt. Gegen alle drei sind Strafverfahren eingeleitet.

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