■ Warum Joschka Fischers Kritik der atomaren Nato-Doktrin richtig ist: Die Optionen der Nato
Es ist nicht überraschend, daß Joschka Fischers Überlegungen zur künftigen Nato-Strategie bei Unionspolitikern, in einigen Medien und auch bei Bündnispartnern auf Kritik gestoßen sind. Über die Option des atomaren Erstschlags, deren Verzicht Fischer anregt, ist auch früher schon gestritten worden. Besorgniserregend ist es aber, wenn konservative Politiker und Leitartikler dem Außenminister am liebsten ein Denkverbot erteilen möchten. Am deutlichsten wird der Münchner Merkur: Fischer scheine nun „leider“ auch eigene Gedanken der Regierungskoalition in die internationalen Beziehungen einzubringen. CDU- Generalsekretärin Angela Merkel wirft Fischer gar vor, in der Außenpolitik „alles auf den Kopf“ zu stellen und „die Katze aus dem Sack“ zu lassen.
Welche Katze? Der Außenminister hat getan, wozu ihn sein Amtseid verpflichtet. Er hat sich darüber Gedanken gemacht, welcher Kurs im Interesse seines Landes liegt. Daß er dies vor dem Hintergrund eigener Überzeugungen getan hat, ist eine bare Selbstverständlichkeit. Es entspricht darüber hinaus dem Koalitionsvertrag, der festlegt, daß sich die Bundesregierung für den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen einsetzen wird. Verteidigungsminister Scharping, der sich in Washington von Fischer distanzierte, sei dieser Vertrag zur Lektüre empfohlen.
Die Nato will im nächsten April neue Richtlinien ihrer sicherheitspolitischen Strategie beschließen. Fischer hat betont, er denke nicht an einen deutschen Alleingang – wie sollte der in dieser Frage wohl auch aussehen? –, sondern wolle das Thema mit den Nato- Partnern erörtern. Wer die Verläßlichkeit deutscher Außenpolitik schon dann in Frage gestellt sieht, wenn Fischer diskutieren will, der redet einem Kadavergehorsam gegenüber den USA das Wort.
Die Strategie der Nato wird überarbeitet, weil das Positionspapier von 1991 als überholt gilt. Wann, wenn nicht jetzt, soll diskutiert werden? Und was gehörte dringender auf den Prüfstand als die Option des atomaren Erstschlags? Sie war einst als Ausgleich für die konventionelle Stärke des Warschauer Pakts gedacht gewesen. Der Warschauer Pakt existiert nicht mehr. Auch in den USA gibt es Kräfte, die deshalb für eine Abkehr von der Drohung des nuklearen Erstschlags plädieren.
Diese Kräfte haben derzeit keine Chance, für ihre Position eine Mehrheit zu finden. Es ist auch nicht zu erwarten, daß Fischers Idee kurzfristig zu einem Gesinnungswandel in der Nato führt. Für einen derart grundlegenden Kurswechsel braucht man einen langen Atem. Um überhaupt etwas in Bewegung geraten zu lassen, muß aber wenigstens offen darüber geredet werden dürfen.
Im Zusammenhang mit dem Kosovo haben Befürworter einer militärischen Drohkulisse gegenüber Jugoslawien immer wieder betont, angekündigte Aktionen müßten notfalls auch umgesetzt werden, wenn Drohungen glaubwürdig sein sollten. Auf die Option des atomaren Erstschlags übertragen, bedeutet das: Nach einem Angriff mit B- und C-Waffen muß die Nato bereit sein, Kernwaffen einzusetzen.
Das aber ist ein unverantwortliches Spiel mit dem Feuer in einer waffenstarrenden Welt, in der immer mehr Staaten über Atomwaffen verfügen. Zu Recht weisen Friedensforscher darauf hin, daß die mangelnde Bereitschaft der Atommächte zum vollständigen Verzicht auf Kernwaffen entsprechende Begehrlichkeiten anderer Länder nicht mindern, sondern wachsen lassen. Bekanntlich verfügt nicht nur die Nato über Atomwaffen. Nur sie ist jedoch militärisch stark genug, um mit deren Ächtung eine Wirkung über die Grenzen des Bündnisses hinaus zu erzielen. Das ist die wahre Option, die der Nato heute bleibt. Sie sollte sie nutzen. Bettina Gaus
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