piwik no script img

Warnung vor HungersnötenDer Weizenpreis ist explodiert

Als das Weizen-Exportland Russland einen Ausfuhrstopp verhängte, erhöhten sich die Preise dramatisch, Mais und Soja wurden ebenfalls teurer. Nun drohen Hungersnöte.

Bild: Jorge Andrés Paparoni Bruzual – Lizenz: CC-BY-SA

BERLIN taz | Ein langer Winter, Dürre im Frühsommer und Überschwemmungen danach - in diesem Jahr ist der Witz, die vier Feinde des Bauern seien Frühling, Sommer, Herbst und Winter, Wirklichkeit geworden. Klaus Kliem vom Deutschen Bauernverband zog daher bei der Vorstellung der Erntebilanz 2010 am Mittwoch eine "magere Bilanz": Rund 12 Prozent weniger Getreide, 15 bis 20 Prozent weniger Kartoffeln und 17 Prozent weniger Äpfel als im vergangenen Jahr füllten die Landwirte in die Lager. Die schlechte Ernte begründe aber keine steigenden Lebensmittelpreise für die Verbraucher, betonte Kliem.

Große Teile des Winterweizens, der wichtigsten hiesigen Getreidekultur, seien noch immer nicht geerntet. Der DBV erwartet eine Erntemenge von 22,7 Millionen Tonnen, neun Prozent weniger als im Vorjahr. Dafür entwickelten sich die Erzeugerpreise "erfreulich", so Kliem. Die Weizenpreise waren in den vergangenen zwei Monaten an den Terminbörsen um 70 Prozent teurer geworden. Denn nicht nur die deutschen Bauern litten in diesem Jahr unter Wetterkapriolen.

Auch in Russland, Kanada und Frankreich waren die Ernten schlecht. Als das wichtige Exportland Russland Anfang August einen Ausfuhrstopp verhängte, erhöhten sich die Weizenpreise dramatisch. Inzwischen haben in ihrem "Schlepptau auch die Preise für Mais und Sojabohnen zugelegt", sagt Eugen Weinberg, Rohstoffanalyst der Commerzbank. Obwohl in den USA die größte Maisernte aller Zeiten erwartet werde, sei Mais heute rund 30 Prozent teurer als im Juni. Aus den Erntemengen ließen sich steigende oder fallende Preise also nicht ableiten.

So gebe es derzeit keine tatsächliche Knappheit an Getreide, sagt Markus Henn, Finanzexperte der Entwicklungsorganisation Weed. "Der Ernteausfall ist viel zu gering, um die ernormen Preissteigerungen zu erklären", sagt er. Zudem würden rund 197 Millionen Tonnen Weizen weltweit vorgehalten. Henn sieht daher Spekulanten am Werk. So wird dem Schweizer Handelskonzern Glencore nachgesagt, er habe von der Preiserhöhung kräftig profitiert - und dem Kreml das Exportverbot nachdrücklich empfohlen.

Ralf Südhoff, Leiter des UN-Ernährungprogramms in Berlin, warnt angesichts der Teuerung vor einer neuen Hungersnot. Dreiviertel der 1,2 Milliarden Hungernden seien Kleinbauern, für die nicht nur die Preise für Lebensmittel, sondern auch für Saatgut und Dünger stiegen.

Ob auch die Konsumenten in Deutschland mehr für Brot, Gemüse oder Fleisch ausgeben müssen, ist noch unklar. Am Dienstag hatte der Zentralverband des deutschen Bäckerhandwerks schon mal angekündigt, durch die hohen Getreidepreise würden nun auch Brot und Brötchen teurer. Allerdings trägt der Weizen nur zwei bis drei Prozent am Brötchenpreis bei - zu gering, um jetzt einen Anstieg zu begründen.

Kai Falk, der Sprecher des Handelsverbandes Deutschland, warnt aber, die Lebensmittelpreise seien immer in Bewegung. Er verweist darauf, dass sie zwischen 2005 und 2009 um elf Prozent gestiegen seien, "auch gestiegene Rohstoffpreise spielen dabei eine Rolle". Aber: Die deutschen Verbraucher seien sehr preisbewusst, sagt Falk, und im Lebensmitteleinzelhandel herrsche ein harter Wettbewerb. "Die Preise werden nicht durch die Decke schießen." Einig sind sich die Experten, dass die Preise für Lebensmittel in Deutschland künftig häufiger deutlich schwanken könnten, weil sie Teil der internationalen Rohstoffmärkte geworden sind.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen