Wandertheaterkomödie „Mond“: Ins bedrängte Herz hinein
Das Jahrmarkttheater Bostelwiebeck lässt das Publikum in seinem neuen Stück dem Mond hinterherlaufen. Das ist charmant, kauzig und tröstlich.
Im Logo des Jahrmarkttheaters prangt seit jeher eine Mondsichel, als Zeichen für die vom Tageslärm verschonten, meist sehr lustigen und zart poetischen Aufführungen. Nun ist die Zeit gekommen, ihm ein ganzes Theaterstück zu widmen, zieht der Erdtrabant doch nicht nur Wasser an, sondern auch Inspiration suchende Künstler:innen, wenn er unermüdlich auf seiner krummen Bahn die viermal größere Erde umkreist und tapfer Sonnenstrahlen reflektiert.
Und so kommt dieses Jahr die Wandertheaterkomödie „Mond“ zur Uraufführung. Wird Autor / Regisseur Thomas Matschoß die Mythenmaschine anschmeißen, die Steinwüsten-Kugel bedeutungsschwer aufladen? Darf sie mal wieder Liebende ins strahlende oder Schauplätze des Verbrechens ins fahle Licht hüllen, Werwölfe gebären oder als Projektionsort schweifender Sehnsüchte agieren?
Also auf nach Bostelwiebeck, Hausnummer 24, einem bullerbüschen Bauernhof-Areal in einem winzigen Dörfchen zwischen Lüneburg und Uelzen. Mit dem ersten Aperol Spritz des Abends feiern viele Besucher ihr Ankommen im Landlust-Idyll.
Prachtvoll befederte Hühner durchschreiten das Aperitif-Szenario. Nur Schauspieler Martin Greif stört schimpfend die Gemütlichkeit. Das bleibt seine Stimmlage. Überzeugend gibt er so den jähzornigen Jens-Uwe.
Auch die weiteren Rollen sind eher eindimensional angelegt: Sophie Aouami, Robin Bongarts und Anna Sinkemat spielen die fröhliche Francesca, den magischen Mäx und die depressive Denise. Nur eine gewisse Ingrid Lubanski (Kristina Brons) verweigert sich jedweder Zuschreibung, was sie büßen wird und dafür andere büßen lässt.
Allesamt sind sie Animateur:innen des vielgestaltigen Abends, für den das Publikum als Teilnehmer:innen des Workshops „Entdecke den inneren Clown in dir“ begrüßt wird. Jene Seite der Persönlichkeit soll gesucht werden, die sich durch Freude, Neugier, Spaßwillen auszeichnet. Der Zugang dazu könne versteckte kreative Kräfte lösen, so annoncieren professionelle Anbieter entsprechende Offerten.
Im Jahrmarkttheater scheitern die aber schon im Ansatz: Die Schauspielenden treten aus ihren Rollen und erklären, dass ihre komplette Ausstattung, auch die Bühne und alle Texte sich in Luft aufgelöst hätten. Wer dahinter stecke, müsse nun erkundet werden. Ein Spiel startet mit der dunklen Seite des Mondes – als einer Chiffre für unbeherrschbare Abgründe und kollektive Ängste.
Also Schluss mit der Parodie auf modische Anti-Stress-Angebote, Trekking-Schuhe geschnürt und auf geht’s mit Kopfhörern auf den Ohren zum Audiowalk durchs menschenleere Dorf. Vielstimmig verkünden Sprecher:innen eine Liste der verlorenen Dinge. Im reizvoll nachdenklichen Assoziationsmix wird an Pubertät, Franz Josef Strauß, Ozonloch,Telefon mit Wählscheibe erinnert oder auch an Frieden in der Ukraine, Kaugummiautomat und Kinderwunsch. In den Chor mogeln sich zudem Anmerkungen, was man gern verschwinden sähe – etwa Eventgastronomie und Corona.
Unterbrochen wird die Aufzählung von kleinen Rätselspielszenen des Schauspielquartetts und einigen Helfershelfern. Sie tanzen Buchstaben, entblößen Silben, lassen ganze Worte erraten oder zeigen einfach eine Akrobatik-Nummer am Vertikaltuch zwischen Bäumen an der alten Feuerwehrgarage. Zurück auf dem Hof nimmt das Publikum dann Platz vor der Leinwand am Scheunentor. Open-Air-Kino als Raum- und Zeitreisejux.
„Der Mond“, Jahrmarkttheater, Bostelwiebeck 24. Spielplan, Karten und Wegbeschreibung auf jahrmarkttheater.de
Denn die Mimen können sich in den Film beamen und wieder herausteleportieren lassen. So nebenbei enttarnen sie die Bösewichtin, die die ganze Welt zum Teufel jagen will. Aber es hebt keine James-Bond-Persiflage an, auch dieser Handlungsansatz wird einfach gekappt. Erhebend und beruhigend kommt die helle Seite des Mondes ins Spiel. Das Ensemble musiziert zwischen Mondlaternen (Ausstattung: Anja Imig) auf der Hofmauer „Alone With The Moon“ von den Tiger Lillies, während hinter ihnen sechs Windräder ruhen und der Sonnenuntergang farbenprächtig die Himmelsleinwand ausmalt.
Verstohlen geht der Mond auf in dieser hinreißend schönen Szene. In die groovt ein schlagerseliges Liedchen hinein – und wertet die Moral der Geschichten zur Ode an die Vergänglichkeit auf: Nicht traurig sein, wenn etwas oder irgendwer verschwindet, das Leben sei ein Kommen und ein Gehen man solle Frieden schließen damit. Alle summen sich in friedvolle Melancholie hinein, wie es Clownssucher-Workshops versprechen. Dass keine stringente Dramaturgie zu dieser Wohlfühl-Erkenntnis geführt hat, nur diverse unterhaltsame Ansätze lose verknüpft sind, ist kein Manko dieses bunten Abends. Es macht seinen kauzigen Charme aus.
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