piwik no script img

Wandern in EnglandFish ’n’ Chips in Clovelly

Wanderungen an der Südküste von Clovelly nach Tintagel. Die sogenante „coast of legends“ ist auch ohne große historische Zeugnisse legendär.

Auf dem Weg von Crackington Heaven nach Tintagel Foto: Markus Kirchgessner

Clovelly ist ein vorausweisender Einstieg in unsere Wanderung. Und eines der hübschesten Dörfer Devons. Vom Old Smithy Bed & Breakfast im oberen Teil des Dorfes, steigen wir die Kopfsteinstraße zum Hafen hinab. Beschwerlich steil bergab, um später genauso atemraubend bergan zu steigen. So viel Energievergeudung!

Das Dorf gehört der Hamlyn Familie. Sie hat den unteren Teil des Dorfes vom touristischen Zugriff ausgeschlossen, damit es sich nicht ganz in der Postkartenidylle verliert: Urige, geweißelte Cottages, bunte Blumen, Tearooms, Souvenirshops säumen den steilen Abgang zum Hafen aus dem 18. Jahrhundert. An guten Tagen wurden hier früher bis zu 9.000 Heringe im Meer gefangen. Für ihren Transport wurden Esel eingesetzt. Einer steht einsam auf der Mitte des Weges zum Hafen als Touristenattraktion.

In der Schlucht, gleich hinter dem Dorf Richtung Süden, soll Merlin, der Zauberer der Artussage, geboren worden sein. Das kann niemand beschwören; aber unsere Reise ist nun mal eine Wanderung an der „coast of legends“ auf den Spuren der Artussage, so hat es sich das Tourismusmarketing ausgedacht.

Markus, der Fotograf, fängt jedes Detail akribisch ein. Esel spornen ihn offensichtlich an. Die 24 Kilo schwere Fotoausrüstung im Rucksack muss auch getragen werden. Seine Arbeit, mein Glück: die Fotopausen sind für mich willkommene Verschnaufspausen, wenn Franz, der Dritte im Bunde, wie ein Wiesel voraus eilt. Bei einem Glas Cider wartet er dann auf uns und macht sich entspannt Notizen für seinen Artikel in einer großen, überregionalen Zeitung.

Der Küstenweg

Der South West Coast Path: Der Weg ist mit 1.014 Kilometern der längste Fernwanderweg Großbritanniens und führt von Minehead (Somerset) nach Poole (Dorset).

Coast of legends: Dieses Jahr hat die South West Coast Path Association, eine Organisation zur Förderung des Wanderwegs, sechs neue Streckenabschnitte vorgestellt, auf denen Besucher den Küstenpfad abschnittsweise erlaufen können. Das Niveau reicht von einfach bis anspruchsvoll, die vorgeschlagenen Strecken dauern nicht länger als einen Tag. Es kann auch Gepäcktransfer von Hotel zu Hotel angefordert werden.

Apps und Infos: www.­southwestcoastpath.org.uk/de, den gesamten Küstenweg, unterteilt in Tages­etappen, gibt es unter www.southwestcoastpath.org.uk/walk-coast-path/trip-­planning/day-day-guide/.

Die Reise wurde unterstützt von der South West Coast Path Association.

Clovelly ist auch vorausweisend was die kulinarischen Genüsse dieser Reise betrifft. „The New Inn“, der immerhin „seit dem 17. Jahrhundert Gäste empfängt“, bietet das typische Diner der nächsten Tage: Fish’n’ Chips, Krabbencoctail wie in den 60er-Jahren oder Steak, wahlweise ein Curry. Das Steak ist zäh, die Chips kalt und fettig, die Salatbeilage geschmacklos: weich gekochte Erbsen. Der Cider schmeckt!

Der „south west coast path“ an der englischen Südküste zieht sich 630 Meilen, 1.013 Kilometer immer auf dem Küstengrat entlang. Es ist der längste nationale Wanderweg Englands. Kulturelles Erbe, Wildnis, Flora und Fauna, Geologie, spektakuläre Aussichten aufs Meer. Wir testen ihn vier Wandertage lang zwischen Clovelly und Tintagel.

Von Clovelly nach Hartland

Die Sonne scheint und Hartland, unsere nächste Station liegt nur 12,7 km entfernt. Joan, die 12 Tage lang hier wandern will, so hat sie uns am Vortag begeistert erzählt, überholt uns leichten Schrittes. Viele Frauen sind hier allein unterwegs. England gehört zu Europa! Das findet übrigens auch Joan und alle anderen, mit denen wir unterwegs sprechen. Die Wanderklientel scheint eine ganz bestimmt Art zu sein.

Ob Rosamunde Pilcher in England auch so berühmt sei, wollen wir wissen: Nein, sagt Steve, „wir haben schon genug Mist im Fernsehen.“

Knallgelbe Ginsterbüsche, tiefblaue Blue Bells, lilafarbene Kuckuckslichtnelken, Schafe und Pferde, die auf den Klippen weiden, vom Meer ausgespühlte, schroffe, schwarze Buchten, Einsamkeit, krächzende Raben – die Poesie der Landschaft könnte überwältigend sein.

Doch Markus fällt bei jeder neuen Schafsrasse, jedem satten, prächtigen Rind auf der Weide eine neue, fantastische Zubereitung ein: Lammleber mit beschwipsten Aprikosen und Zwiebeln, dazu seine spezielle Thaisauce – Koriander, Knoblauch, Chili, Ingwer –, Rinderfilet als Carpaccio oder Pferdefleisch als Rheinischer Sauerbraten. Markus, ein wanderndes Kochbuch, ein fotografierender Gourmet.

Verwilderte Täler mit Bächen und Wasserfällen, die ins Meer münden, baumlose Weiden, blühende Blumenwiesen. Rast am Angels Wings Shelter, einem historischen Aussichtspunkt. Franz verweigert jegliche Nahrung, nicht einmal Wasser nimmt er. Ob ihn das so beschleunigt, so leichtfüßig macht?

Vorbei an dem alten, weißgetünchten Leuchtturm aus dem 19. Jahrhundert erreichen wir Hartland Quay. Am Hafen liegt heute ein Restaurant und Hotel. Im Wreckers Retreat Bar & Restaurant hier am Quay bestellen wir Lammcurry. Der ist auf jeden Fall würzig. Sally Zalewski holt uns für die Übernachtung in Hartland Village mit dem Auto ab. Die weitgereiste Sally kennt sich aus in der Region und in regionaler, guter Küche. Sie serviert am nächsten Morgen ein köstliches Frühstück mit selbst gebackenem Brot und selbst gemachter Marmelade.

Von Hartland nach Bude

Schon der dritte Tag mit Sonne. Von Hartland nach Bude sind es heute erschreckende 24,8 km. Beim Friedhof der Kirche von Morwenstow kommen mir die ersten Zweifel. Vorbei an Howers Hug, der Hütte von Robert Hawker. Dem exzentrischen, dichtenden Priester diente der abgründige Blick aufs Meer als Inspiration. Er zog sich hierhin zurück, um zu schreiben und Opium zu rauchen.

Nicht weit davon und nicht zu verfehlen ist der Militärstützpunkt GCHQ Bude. Ein Satellitenzentrum futuristischer Art. Die Türme von Bude, die wir aus dieser Höhe sehen, verschwinden immer wieder, weil wir neue, tiefe Einbuchtungen durchwandern müssen. Die Strecke zieht sich endlos. Kurz vor Bude wird der Wanderweg belebt. Über den weiten Sandstrand von Bude erreichen wir The Grosvenor Bude, unsere heutige Unterkunft. Das junge Paar, Lizzy und Steve aus Manchester betreiben das viktorianische Anwesen seit zwei Jahren.

Bude ist ein Surferparadies nach dem Motto: life is a beach.Steve ist Surflehrer, Surfer sind auch seine Hauptklientel. Aber es kämen auch viele Deutsche auf den Spuren von Rosamunde Pilcher hierher, deren Romanzen ganz in der Nähe für das deutsche Fernsehen gedreht werden, weiß Steve. Ob Rosamunde Pilcher in England auch so berühmt sei, wollen wir wissen: „Nein“, sagt Steve, „wir haben schon genug Mist im Fernsehen.“

Das Abendessen im Brendon Arms, dem gut besuchten lokalen Pub, schmeckt erstaunlich gut. Hier treffen wir Joan wieder: Sie, die uns immer überholt hat, kann nicht mehr. Sie legt einen Tag Ruhepause ein. Auch wir sind viel zu müde für Bingo und Billard, das im Pub mit Leidenschaft gespielt wird.

Von Bude nach Crackington Haven

Über schwindelerregende Abstiege geht es am nächsten Tag den Küstenweg 17 km bis Crackington Haven, ein hartes Stück Weg. In der Trevigue Farm, einem Grundstück des National Trust werden wir dafür mit der hervorragender Küche von Gayle Crocker belohnt. Nicht überall ist kulinarische Wüste. Markus ist in seinem Element: Food shooting. Köstliches Fleisch, gebratenes Gemüse, Erdbeeren und Tarte – fotogen serviert.

Die letzten 18 km begleitet uns Steve Crummay. Steve arbeitet seit 30 Jahren als Landschaftspfleger und Guide im regionalen Naturschutz: Er kann jede Blume, jeden Stein erklären. Auch Steve ist Brexit-Gegner. Europa, das bedeute für ihn: saubere Strände, Rücksicht auf die Natur und Umweltauflagen. „Die werden nun seit dem Brexit extrem zurück gefahren“, sagt er. Über die Legende dieser Route muss Steve erst nachdenken.

Tintagel – die Legende lebt

Aber wir finden sie doch: In den vielen Souvenirläden im Ortskern von Tintagel weist alles, was sich erwerben lässt, auf König Arthur hin. Schwerter, Schilde, Rüstungen, Ritter. Am Meer liegt hoch oben die Burgruine Tintagel Castle, die der Chronist Geoffrey of Monmouth 1136 in seiner Historia Regum Britanniae zu König Artus’ Residenz erklärt hat. Tintagel ist identitätsstiftend. Es gehört zu den am häufigsten von Touristen besuchten Zielen in England.

Der Ort selbst ist völlig unspektakulär, eine Ansammlung von Bungalows und Gasthäusern. Bei Cider, Fish’n’ Chips nehmen wir im King Arthur’s Arms Pub gebührend Abschied. Markus hat die Kamera bereits verstaut. Food shooting lohnt hier nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...sieht toll aus, allerdings auch etwas feucht und kalt.