Wandern im Jagdgebiet: Vorsicht, es wird scharf geschossen!

Unterwegs auf dem „Märkischen Landweg“ in Brandenburg. Eine Idylle für Wanderer, wenn da nur nicht die vielen Jäger wären.

Silhouette eines Jägers mit seinem Gewehr im Anschlag

Wer das Gewehr hat, hat Recht: Wanderer sollten sich von Jagdgebieten lieber fernhalten Foto: dpa

Das kleine Café in Templin hat mehrere Gäste an diesem Nachmittag. Über die Kopfsteinpflasterstraßen draußen rumpelt eher selten ein Auto, die Bürgersteige sind sowieso wie ausgestorben. Man fühlt sich hier unter sich. Die beiden Wanderinnen mit den mittelgroßen Rucksäcken zählen nicht, sie sind nur Zugvögel auf der Durchreise. „Ich lebe nicht mit ihm zusammen. Er hat Familie und ich hab Familie, da passt das nicht“, klingt es unüberhörbar von einer älteren Frau an einem der Nachbartische herüber. Eine hübsche Dunkelhaarige springt herein, es geht um ihre „Hochzeitsnachfeier“.

„Was bringt man denn da mit?“, staunt die Inhaberin.

Wanderer gehen die Unterhaltungen der Einheimischen natürlich nichts an. Aber wenn man nach vielen Kilometern, ohne einer Menschenseele begegnet zu sein, nur vom Rätschen der Eichelhäher oder dem knarrenden Aneinanderreiben zweier Baumstämme abgelenkt wurde, sind die Ohren einfach sensibel – und bereit, alles aufzunehmen, was Angela Merkels beschauliche Heimatstadt, gut anderthalb Stunden Zugfahrt Richtung Osten von Berlin entfernt, zu bieten hat.

Ein Stück entfernt vom Hotel Fährkrug finden sich am nächsten Morgen die aus einem blauen Kreuz bestehenden Markierungen des Märkischen Landwegs wieder. Es ist beruhigend, dass sie einen durch die Tiefen der uckermärkischen Wälder leiten, so verirrt man sich nicht. Hinter den Bäumen schimmert ein See. Zu Beginn der heutigen 23-Kilometer-Tour nach Ringenwalde, umgeben von mächtigen Eichen, Buchen und Ahornbäumen, ist die Idylle perfekt.

Bis sie beim Forsthaus Laatz jäh endet. Auf einmal tummeln sich überall Jäger – vor einem großen Feuer, auf dem Hof des Anwesens und im Wald. Weitere rücken mit geländegän­gigen Großwagen und dem für die Jagd nötigen Equipment an. Heute ist auf der offiziellen Route, die uns von der Touristen­information wärmstens empfohlen worden war, statt Wandern Treibjagd angesagt.

Ein Jäger hat Mitleid

„Gehen Sie zurück zum Hotel, hier ist es zu gefährlich!“ Dass ortsfremde Wanderer nicht nur auf die ausgewiesenen Wege, sondern auch auf das gebuchte Nachtquartier am Ende desselben angewiesen sind, interessiert Leute im Jagdfieber offenbar wenig. Soll aus der geplanten 85-Kilometer-Wanderung auf dem Märkischen Landweg, einem ausgewiesenen Qualitätswanderweg, etwa ein langweiliger Hotelaufenthalt ­werden?

Der Wanderweg: Die 190 Kilometer lange Route führt in zehn Etappen zwischen 10 und 27 Kilometern von Feldberg nach Mescherin/Oder südlich von Szczecin (Stettin). Man durchwandert drei große Naturschutzgebiete Brandenburgs: den Naturpark Uckermärkische Seen, das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin sowie den Nationalpark Unteres Odertal. www.wanderfreunde-deutschland.de

Anreise: Die Route ist kein Rundwanderweg, daher bietet sich die Anreise mit der Bahn an. Für unterwegs, z. B. mit dem Rufbus, gibt es Infos bei der Uckermärkischen Verkehrsgesellschaft. www.wirbewegensie.de

Unterkunft: Da das Übernachtungsangebot vor allem in kleinen Orten knapp ist, sollte vorgebucht werden. Infos: www.wandern-uckermark.de

Infos: Tourismus-Marketing in Templin, Am Markt 19, Tel. 0 39 87-26 31, www.tourismus-service-templin.de; Tourismusverein Angermünde, Brüderstr. 20, Tel. 0 33 31-29 76 60, www.angermuende-tourismus.de

Es braucht eine Portion Überredungskunst – man kann es auch Sturheit nennen –, dann erbarmt sich ein Jäger und nimmt uns in seinem Auto mit, bis zur Außengrenze des Jagdgebiets, sagt er. Anhand der Karte orientieren wir uns neu.

Der Ärger verfliegt schnell, denn auch dieser etwas sandige Weg zwischen Kiefern ist schön, zumindest auf dem ersten Kilometern. Dann warnt jedoch erneut ein Schild mit der Aufschrift „Treibjagd“ davor, weiterzugehen. Kennen die Grünröcke etwa ihr eigenes Jagdrevier nicht? Wird geballert, wo es gerade passt?

Auf einem halbhohen Ansitz kauert ein junger Mann mit orangefarbener Binde um den Kopf. Er sei der ­„Abstauber“, falls Wild in fremdes Territorium flüchten wolle, wo die hiesigen Jäger ihm nicht mehr legal nachstellen dürften. Eine weitere Maßnahme, um auch dieser Tiere habhaft zu werden, ist, die Treibjagd, soweit möglich, geheim zu halten, erzählt uns ein anderer redseliger Jagdkollege. Karin Buse, Mitarbeiterin beim Templiner Tourismus­marketing, kann dies nur bestätigen: „Wir haben keinen Kontakt zur hiesigen Jagdgenossenschaft, bekommen also keine Auskünfte von ihr.“ Sie verspricht, das Problem an die Stadtverwaltung weiterzugeben, damit sich Wanderer künftig vorab schlau machen können.

Singen und Klatschen

Wir könnten ruhig weiterlaufen, sollten uns aber durch Singen und Klatschen bemerkbar machen, meint der junge Mann mit Blick auf unsere Rucksäcke.

Nett gemeint, aber auf die Dauer anstrengend. Ein Jagdgenossenschaftler, der eine ganze Wagenladung von Grünröcken durch den Wald karrt, sieht das sowieso anders. Er verbietet grob das Weiterwandern, sein Kollege von der Kirchenforstverwaltung schlägt das Dorf Petznick als neuen Ausgangspunkt vor. Gemessen an unserer ursprünglichen Etappenrichtung, liegt es auf jeden Fall „weitab vom Schuss“.

Dann warnt jedoch erneut ein Schild mit der Aufschrift „Treibjagd“ davor, ­weiterzugehen

Eine einsame Gärtnerin auf dem stillen Gutshof von Petznick ist sich denn auch sicher, dass in dieser Gegend heute keine Treibjagd stattfindet. Würde hier geschossen, könne es sich nur um Wilderer handeln. Ein schwacher Trost, falls wir tatsächlich erschossen werden sollten. Die alte Frau schaut, auf ihre Hacke gestützt, listig zu uns hoch: „Dann weiß ich aber wenigstens, dass es illegal war.“

Und noch ein Warnschild

Was sie nicht weiß: Auf dem von ihr und einer anderen Anwohnerin beschriebenen Weg, der sich zwischen Knicks über Hügel und Äcker schlängelt, steht nach zwei Kilometern ebenfalls ein Warnschild. Wer das Gewehr hat, hat das Recht – wir drehen um.

Dank einer anderen Strecke, die über offenes Gelände führt, sowie eines hilfsbereiten Autofahrers, der uns aufgabelt, stoßen wir hinter einem Holzhandel in Milmersdorf wieder auf den Märkischen Landweg. Tatsächlich, auf der zweiten Hälfte der Tagesetappe gibt es weder Warnschilder noch Geknalle.

Im Landgasthof Zum Grünen Baum, der einzigen Pension in Ringenwalde, ist Arabische ­Woche. „Was man nicht kennt, will man hier nicht haben. Wenn die Leute einander kennen, wird es einfacher“, sagt Gastwirt Markus Räthel.

Dem munteren Treiben nach geht die Rechnung auf, und es ist gut vorstellbar, dass so eine Aktion wie der heutige „Syrische Abend“ für manchen Asylbewerber in dieser wunderschönen, aber doch ziemlich einsamen Naturregion ein echtes Highlight ist.

Eine Slawensiedlung

Eine Allee, deren altes Kopfsteinpflaster halb in der Erde versunken ist, führt leicht bergan zurück in den Wald. Der Morgen ist grau. Einige Bewohner des mitten im Wald gelegenen Weilers Poratz haben für ihre Häuser den Pinsel tief in den Farbtopf getaucht. Lange ist es her, dass sich zuletzt jemand bemüht hat, der ursprünglichen Slawensiedlung lebendigen Charme zu verleihen. Zur Zeit Friedrichs des Großen päppelten Kolonisten das Dorf auf. Das Basismaterial für ihren Beruf stand vor der Haustür, denn sie waren Köhler. An manchen der von ihnen erbauten schlichten Fachwerkgebäude wurde bis heute kaum etwas verändert.

Später, hinter dem freien Feld, kommt das etwas größere Peetzig, wo eine junge Mutter mit fünf kleinen Kindern Drachen steigen lässt. Rufe der Verzweiflung und des Glücks verlieren sich zwischen den rollenden Hügeln, dann gibt es Picknick.

Im Dorf Wolletz steht eine Rehaklinik am See. Zwischen mächtigen Säulen auf der Terrasse vor der Cafeteria zu sitzen, um bei Schwarzwälder Kirschtorte und Kaffee die geruhsame Strömung des Wassers zu beobachten, ist der perfekte Ausklang einer Wanderung.

Aber halt, da war noch etwas! Wird es mit dem vor einer Woche hierher bestellten Rufbus nach Angermünde klappen? Nach dem in diesem weitläufigen Landstrich teilweise recht barschen Umgang mit Wanderern melden sich Zweifel an. Die Busfahrerin stoppt jedoch superpünktlich an der bereits im Dunkel liegenden Haltestelle und weiß außerdem Tipps fürs Einkaufen und eine Pizzeria am Abend.

Schüsse im Wald

Am nächsten Morgen, nach dem Verlassen von Angermünde knallt es noch einige Male in einem Waldstück rechter Hand – aber der Weg zum Nationalpark Unteres Odertal, an der deutsch-polnischen Grenze, bleibt unbehelligt. Warum auf unserem Qualitätswanderweg Stolpe als nächstes Etappenziel vorgesehen ist, ist allerdings ein Rätsel. Am Angebot an Unterkünften liegt es sicher nicht, wohl eher an dem über 800 Jahre alten „Grützpott“, einem Burgturm. Die beeindruckende Aussicht zeigt, dass wir aus eigener Kraft von einer hügeligen Moränenlandschaft in ein verschwenderisch weites Flusstal gelangt sind. Das stimmt zufrieden, trotzdem liegen fußmüden Wanderern am Ende des Tages ihr leibliches Wohl sowie ein Bett noch mehr am Herzen.

Vor allem mit Ersterem wird es in dem ursprünglichen Slawendorf ohne Gasthaus und Lebensmittelladen schwierig. Nachdem in dem beschaulichen Grenzort die letzte Pension dichtgemacht hat, ist Gabi Pust zur „Retterin der Unmotorisierten“ geworden. Sie vermietet nicht nur die Ferienapartments ihres wunderschön renovierten Schweizerhauses, sondern füllt Radlern und Wanderern auf Wunsch den Kühlschrank, sodass wir gut gestärkt zur letzten Tour, durch den Nationalpark nach Schwedt, starten.

Auf den Wiesen spazieren Grau- und Silberreiher, Biber haben Baumstämme so zernagt, dass sie nur noch an wenigen Fasern zusammenhängen. Statt Büchsenknallen tuckern auf der Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße, einem Nebenarm der Oder, ab und zu Frachtboote vorbei.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.