Wand und Boden: Schlichte und bescheidene Mythen aus der Moderne
■ Kunst in Berlin jetzt: Roemlein, Rosin, Zimmer, Rosenberg und Miller
Bei Hitze gilt: Gelassenheit. Auf den ersten Blick könnten die gewinkelten monochrom bemalten Leinwände von Heinrich Roemlein einem Lehrbuch über das Zusammenspiel von Farben entstammen. In sauberem Meisteranstrich, ohne groß Pinselspuren zu hinterlassen, hängen Rechtecke in den Farben Ocker (bzw. Siena), Lichtgrau, Weiß, Anthrazit in der Galerie Zellermayer, knapp ein Dutzend Rechtecke, schlicht und bescheiden entlang der Wände verteilt. Dazu hat Roemlein einen Modellplan mit schwarzem Isolierband angeklebt, der dem Arrangement eine konzeptualistische Note gibt: In situ, hier wurde mit dem Raum gearbeitet, das zumindest verheißt der Titel der Ausstellung. Doch Raum interessiert den abstrakten Maler nur als mathematische Denkaufgabe. Nicht anders ist es mit Farbe: Die Rechtecke sind im Verhältnis 2:3 coloriert. Das Grau trennt dabei in Anlehnung an Mondrian die erdtönernen Felder, oder gleicht die Kräfte wie bei Imi Knoebels Displays in Pink miteinander ab. Auf diese Weise verwächst bei Roemlein Farbe als Material zur Masse und bildet erst allmählich Volumen durch die Entgegensetzung des lichtschluckenden Anthrazit. Allein die Sättigung, das ausgeglichene Verhältnis von Geometrie und Fläche, tritt viel zu früh ein. Die mit hellgrauen Streifen ins Bild konstruierten Brüche sind bloß hypothetisch, zur Spannung fehlt ein ablenkendes Waldgrün oder vielleicht ein überspitztes Gelb – irgendetwas jedenfalls, das aus der Bauklötzchenordnung ein Fenster zur Welt machen könnte. Das alles hier gab es schon: Die Stufen der Malerei sind durchlaufen, jetzt machen wir das ganze nochmal, nur ein bißchen gemächlicher.
Bis 23.8., Mo 11-14, Di-Fr 13-18, Sa 11-14 Uhr, Ludwigkirchstraße 6, Wilmersdorf.
Im gleißenden Licht der Nachmittagssonne sucht man die Lichtkastenobjekte von Michaela Zimmer am Bodemuseum vergebens. Sie blenden mehr, als daß sie scheinen. Vier Kästen hängen paarweise links und rechts neben dem Eingangsportal zur Sammlung der Romantik. Zimmer hat eines von deren Themen – das Bild der Vergangenheit im Zustand des Verlöschens als Ruine – wieder aufgenommen und das architektonische Umfeld des Museums untersucht, Baudetails fotografiert und für ihre Hinterlichtobjekte mit Lasuren versehen. Die Geländerkonstruktion einer Brücke, eine Gründerzeitfassade aus der Untersicht, das alles verschwindet unter Paraffin und transparentem Acryl. Durch den malerischen Eingriff wird das Abgebildete auf Spuren reduziert, so als hätte Gerhard Richter die verschwommensten seiner Motive noch einmal hinter einem Vorhang versteckt. Dabei tritt die Materialität der klarsichtigen Lackschichten reliefartig hervor. Im Tageslicht erscheint die Oberfläche wie ein Brei aus vergorener Milch. Langsam durchdringt der Blick diese amorphen Kluften, meist in der Rückbindung an Erinnerungsbilder. Erkennen kann man die von Zimmer verwendeten Fragmente kaum, nur erahnen. Erst am Abend, wenn die Malerei verschwunden ist, leuchtet das Foto vollständig durch. Aber wer würde schon vier Stunden vor den verschlossenen Eisentoren des Bodemuseums für den matten Schimmer preußischer Bau-Identität ausharren, wenn die echten Gebäude längst im Dunkeln liegen?
Standorte, bis 14.9., Eingang Monbijou-Brücke, Mitte.
Auch die Problemstellung von Susanne Rosin ist nicht neu, sonst hätte Bernhard Kerber im Katalog nicht gleich das ganze Handwerkszeug der Moderne über den noch jungen Arbeiten der Künstlerin ausgeschüttet. Was der Professor allerdings in seiner schroffen Exegese von Schein und Sein verschweigt, ist die sanfte Anziehungskraft, die Rosins Reliefkästen in Serie gehängt entwickeln. Sie spielen mit Rahmen und Referenzen der Raumordnung. In zehn Zentimeter tiefen Rahmen sind Fotografien eingefaßt, die einen erstaunlichen Trompe-l'oeil- Effekt abbilden. Eine mit Wasser gefüllte Vase verzerrt den Hintergrund (hier zumeist Karomuster oder Streifen), läßt die klaren und einfachen geometrischen Konturen brechen, nach vorne treten und an den Rändern bis zur Unkenntlichkeit vergrößert aufblähen. Das simple Muster wird zur illusionär zerklüfteten Hohlfläche. Dann aber bemalt Rosin die Kästen noch einmal mit den gleichen Linien, deren Wahrnehmbarkeit das Foto doch in Frage stellt. So entsteht ein Kubismus- Effekt – nicht einer der Form, sondern der Fläche. Daß sie für ihr Wechselspiel mit dreidimensionalen Raumelementen und planem Abbild Geschenkpapier und Küchenfolie als Hintergrund benutzt, ist ironisches Imitat Picassos. In neueren Arbeiten hat Rosin das Thema noch stärker ausgereizt. Dort scheinen sich an die fünf Ebenen zu vermischen: Fotos werden malerisch überarbeitet, erneut abgelichtet, über den Rahmen hinaus erweitert usw. Die Postkarte eines herbstlichen Waldes bietet so viele Schichten, daß der gemalte Part auf der äußeren Umhüllung am realsten wirkt. Möglicherweise ist alle Darstellung nur Ornament, zumindest deren Inszenierung.
Kuben & Vasen, bis 13.8., Galerie Andreas Weiss, Di-Fr 14-19, Sa 11-14 Uhr, Nollendorfstraße 11/12, Schöneberg.
Rosenberg/Miller sind par excellence Künstlerpaar in der Produktion: gemeinsam nehmen sie Atelier-Stipendien im Künstlerhaus Bethanien wahr und bilden mit ihren beiden Kindern eine freundlich unautoritäre, fast schon unheimliche Familie. Selbst das Medium Fotografie, mit dem sie derzeit arbeiten, scheint für die Vereinheitlichung der Lebenszusammenhänge beispielhaft. Doch dann trennen sich die Partner auf halbem Wege. Wo Aura Rosenberg mit ihren Fotografien von bemalten Kindergartenkindern die Rolle der Mutter als Bedeuterin des Nachwuchses dokumentiert, schlägt sich Miller mit den Signifikationsprozessen von Alltag, Mythos und der eigenen Beat-Generation herum. Aufnahmen von Baubuden in Mitte oder dem Grab von Jim Morrison auf dem Père Lachaise bezeugen seiner Meinung nach die Existenz von „ideologischen Nicht-Orten“, Plätzen, an denen die Bedeutung auch hinter der Darstellung verschwindet. Miller knipst die Aura des Historischen weg, indem er den Gegenstand nur am Rande berührt: Das statisch sich umarmende Hippiepaar auf dem Friedhof steht plötzlich im Mittelpunkt und blickt selbstvergessen auf das, was vorher Mythos im Zentrum war. Geschichte bricht sich in der Wiederholung, „der Inhalt ist immer anderswo, immer ,verlagert‘“, so Miller in einem Interview mit Roberto Ohrt. Rosenbergs Kinder würden dem widersprechen. Vor jedem Bewußtsein von Geschichte stehen sie noch am Anfang dessen, was für Benjamin einmal die Chronik bedeutet haben mag, und wollen kein Ereignis vergessen, erst recht nicht die Maske aus Theaterschminke auf dem eigenen Gesicht. Noch sind sie stolz auf den Augenblick, an dem sie selbst teilhaben, auch wenn Rosenbergs Fotos ähnlich wie die von Miller nach etwas anderem suchen.
Bis 14.8., Di-So 14-19 Uhr, Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, Kreuzberg. Harald Fricke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen