Wand und Boden: Moralisches Wetterleuchten
■ Kunst in Berlin jetzt: Liz Crossley, Margret Hunter, Rosemary Jarman, Bettina Munk, Cheryl Donegan, Kurt Buchwald
Drei Engländerinnen und ihre Liebe zum Kontinent, so möchte man „Europa nach innen und nach außen Großbritannien“ im Kulturforum der Villa Oppenheim in etwas weniger abstrakte Worte fassen. Alle haben sie hier an der HdK studiert und zeigen wenig insulare Introvertiertheit. Die „Magdeburg Series I-III“ von Margret Hunter etwa, Kohlezeichnungen in einer Glasvitrine, sind die gelungene Verfremdung des deutschen Expressionismus in ironisch-kunstvolle Kinderzeichnungen. Ein eingerüsteter Kirchturm ist das Motiv, und seine Uhr darf auch mal über der Turmspitze schweben. Auch auf ihren großformatigen Ölbildern machen sich Strichmännchen und Kritzelköpfe gewissermaßen ihren Spaß aus der abstrakten malerischen Bearbeitung ihres Umfelds.
Liz Crossley dagegen meint es in der erhaben blau-goldenen Serie „Leiter“ mit der Kunst des rein Malerischen ernst. In der Serie „San Shielnagig“ entwächst den fließenden Formen und warmen erdigen Farben der figurative Schemen eines triumphalen, weiblichen Akts. Die abstrahierte weibliche Figur ist frontal zum Betrachter gesetzt, sie zeigt ihr Geschlecht, indem sie ihre Beine zum berühmten Victory-Zeichen spreizt. Zeichenvater Churchill wäre sicher „not amused“.
Die Farben Rot, Weiß und Blau des Union Jack zitiert Rosemary Jarmans konzeptionelle Edition „N, O, spells NO“. Die Collagen aus Fragmenten eines kristallin-geometrisch geprägten Werks sind als Polaroidformate in Plastikhüllen gepackt, die oben einen roten Rand haben und an einem blauen Faden hängen. Die Edition ist unverkäuflich, aber jeder kann sie abonnieren. Das zugrundeliegende komplexe, in die Vergangenheit zurückreichende und in die Zukunft vorausgreifende soziale Konzept sollte man an Ort und Stelle studieren.
Bis 20.10., Di-Fr 11-17.30, So 15-18 Uhr, Schloßstraße 55, Charlottenburg
Mit einem „roten Faden“ erregte Bettina Munk 1991 im Künstlerhaus Bethanien Aufsehen. Jetzt entwickelte sie für die Kunstwerke Berlin eine neue Installation: „Fragen“. Über eine schwarze Lichtschleuse gelangt man in die hell erleuchtete, fensterlose Ausstellungshalle im Parterre, wo von der Decke sechzehn lindgrüne hölzerne Rechtecke herabhängen. Einige dieser in Überkopfhöhe angebrachten Flächen sind mit nachleuchtender Farbe behandelt, was man in dem Moment erkennt, in dem plötzlich die Beleuchtung ausgeht: Da segeln mit einem Fragezeichen versehene Worte wie Aufheben? Verbringen? Befassen? Mißbrauchen? oder Absprechen? durch die Dunkelheit. Perspektivwechsel im Hell/Dunkel, man sieht die Dinge in einem anderen Licht. Mitbedacht ist natürlich auch der Wechsel Wirklichkeit/Virtualität. Doch vom so klar arrangierten Minimalismus der monochromen Farbfelder orientierungslos ins Dunkle gestoßen, scheinen einem die Fragen auch keine weitere Richtung vorgeben zu wollen. Es wetterleuchtet mehr die moralische als die kritische Idee, und man denkt, irgendwie stellt sich die Künstlerin ein bißchen zu sehr auf die sichere Seite.
Bis 16.10., Di-So 14-18 Uhr, Auguststraße 69, Mitte
Riskanter die bunten Porträts von Cheryl Donegan bei allgirls: Ästhetisch-formal deutlich unelegant und rauh, obwohl Donegan mit der Technik der Hinterglasmalerei arbeitet. Aber die Transparenz geht bei bis zu vier hintereinandergestaffelten Scheiben, die wiederum einem grobrasterigen Foto vorgeblendet sind, zwangsläufig verloren. 19 ziemlich verrückte Froschköniginnen, weibliche Spocks mit langen Ohren, Picasso-Frauen, Odilon-Redonsche Augenmenschen und afrikanische Maskengöttinnen scheinen den Betrachter entlang den Wänden zu umstellen — wären die Formate nicht so klein und damit so wenig bedrohlich. Es geht der New Yorkerin um die künstlerische Auseinandersetzung mit dem menschlichen Gesicht. Sie wird in der Aktion gefunden wie im Video „Practise“ dokumentiert. Ein Kopf steckt in einer Plastiktüte, Augen, Mund, Wangen werden mit dicker blauer Farbe nachgemalt. Oder eine Glasscheibe wird vor ein gefilmtes Gesicht gestellt, bemalt, die Farbe auch wieder abgewischt. In manchen Partien erinnert das an Arnulf Rainer, erfreulicherweise ohne dessen anmaßendes Pathos, gleich der Schmerzensmann für ganz Oberösterreich sein zu müssen.
Bis 17.10., Do-So 16-19 Uhr, Kleine Hamburger Straße 16, Mitte
Riskant ist auch die künstlerische Methode, die der ostdeutschen Fotograf Kurt Buchwald im Haus am Kleistpark zeigt. Im Einzelfall droht sie in schickes Kunstdesign abzustürzen, dann wieder vermag sie die Wirklichkeit zur Kenntlichkeit zu entstellen. Buchwald stellt riesige Metall- oder Holzscheiben verschiedenster Form vor sein Fotomotiv, das mit diesen Aussparungen völlig anders wahrgenommen werden muß. Wo es funktioniert: „Stadt mit Längsblende“, 1994. Die schwarze Säule überhöht die vertikale Struktur der Stadtarchitektur, die stürzenden, nach hinten wegkippenden Fluchtlinien der Altbauten verdeutlichen die künstliche fotografische Optik. Und weil man sich in der Längsblende spiegelt, fühlt man sich mittendrin, in dem einigermaßen bedrohlichen Stadtszenario. Oder: „Halbzwölf Berlin Gedächtniskirche“, 1994. Buchwald dreht ein schwarzes Rechteck mit zwei kreisrunden Löchern zwölf Mal um den Breitscheidplatz. In den Löchern wird der Zufall dessen fokussiert, was sich hier, um nur wenige Meter auseinanderliegend, abspielt. In den besten Momenten ergibt das surrealistische Motive. Etwa wenn eine banale Hauswand plötzlich links mit einem Auge kokettiert, das einer weggeblendeten Kinowerbung entstammt. Bei „Westhafen, Scheibe mit diagonalem Spalt“, 1994, werden Gleisanlagen, Stahlträgergerüste, Eisenschrott und Schornsteine durch den schrägen Durchblick nur interessant aufgepeppt.
Bis 6.11., Di-So 11-18, Mi 11-20 Uhr, Grunewaldstraße 6, Schöneberg Brigitte Werneburg
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