: Wall, Walle, für alle
...und Corinna May war auch da: Einen Tag lang versorgte die Musikerinitiative Bremen ein breites Publikum mit Swing, Jazzrock und Blues im Zirkuszelt in den Wallanlagen
Ein kleines Mädchen steckt sich schon mal die Finger in die Ohren und sieht ihre Mama bei dem lauten Gitarrensolo vorwurfsvoll an, aber ansonsten ist beste Stimmung bei diesem „ganztägigen Benefiz-Festival-Event der Bremer Jazzmusiker für UNICEF“, das am Sonntag im Rahmen des 200. Geburtstags der Wallanlangen stattfand. Vor derart gemischtem Publikum spielen die Bremer Jazzer selten: Da sitzen die Connaisseure neben Kleinfamilien, die beim Sonntagsspaziergang kurz hereinschauen, und ein Frühschoppen-Jazz-Liebhaber findet sich plötzlich auf der Bank im Zirkuszelt neben Corinna May (Er: “Da sitz ich jetzt neben der bekanntesten Bremerin!“ Sie: „Ja, kann passieren!“)
May war gleich am Mittag zum ersten Auftritt gekommen (“Wenn in Bremen Jazz gespielt wird, bin ich eigentlich immer dabei!“), zusammen mit allerhand Familienangehörigen der MusikerInnen, die alleine schon das Zirkuszelt gut füllten, denn die „Bigband Walle“ besteht aus 16 größtenteils jungen Bandmitgliedern, die hier unter der Leitung des Posaunisten Sven Züllchner das solide Handwerk der Jazzimprovisation lernen. Dabei spielten sie zum Glück nicht nur tausendmal gehörte Klassiker wie „Night in Tunisia“, sondern auch modernere Stücke und Arrangements von Komponisten wie Bob Mintzer. Damit alle Raum für mindestens ein Solo bekamen, gab‘s zwei lange Sets: ein sympathischer Auftritt, bei dem die Spielfreude der Solisten überzeugte.
Insgesamt sechs Formationen standen auf dem Programm, und der Organisator des Festivals, Peter Apel, war so klug, dabei die allzu esoterischen Projekte, von denen es bei der MIB einige gibt, wegzulassen. So klang meist melodischer, eher rockiger als avantgardistischer Jazz vom Zelt über die Wallanlage. Etwa der funk- und bluesorientierte Sound des Trios „three.t.“, dessen Vorbilder eindeutig in den Studios der amerikanischen Westküste zu finden sind.
Ein Sextett um den Bremer Bassisten und Arrangeur Thomas Milowski widmete sich ganz der Musik des Bassisten, Komponisten und Bandleaders Charles Mingus, und das „Mingus Fingus“-Projekt war vielleicht auch der Höhepunkt des Festivals, denn hier waren einige der inspiriertesten Soli und raffiniertesten Arrangements zu hören. Dass auch die Beatles verjazzt werden können, bewies der Keyboarder Jens Schöwing mit seinem Trio, das als Gast den Posaunisten Uwe Granitza präsentierte. „Norwegian Wood“ als E-Bass-Solo, von Christian Frank fast so virtuos wie einst von Jaco Pastorius gespielt, der Chorus von „Fool on the Hill“ orchestral bombastisch aus dem Synthesizer und „Eleanor Rigby“ als melancholische Ballade, das hatte seinen Reiz, weil sich Wiedererkennen und Irritation die Waage hielten.
Der „Free Space Jazz“ des Trios „S.A.R.“ mit dem Gitarristen Peter Apel, Reinhard Schiemann an den Drums und Bassist Stefan Roschak entpuppte sich in den Wallanlagen als rocklastige Sound-Bastelei, die aber dann doch erstaunlich kompakt gespielt wurde. Mit dem sehr gefälligen und süffigen Jazz des Sextetts „Strings & Vibes“ um den Gitarristen Hans Steinmeier klang das Festival aus.
Für die MIB war dieser Tag ein schöner Erfolg, denn endlich spielten Bremer Jazzer mal für ein breiteres Publikum. Eine durchweg entspannte Veranstaltung, die sich auch für den nächsten Sommer empfiehlt.
Wilfried Hippen
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