■ Wahrheit-Reporter vor Ort: Der Diätkostfabrikant „du darfst“ wird 25 Jahre alt: Überfließendes Gewicht
Zu den Attraktionen im Berliner Europacenter zählt die „Uhr der fließenden Zeit“. Touristen und Schulklassen scharen sich tagtäglich vor dem dreizehn Meter hohen Glasobjekt. Seit Dienstag ist die Sicht auf die „Uhr der fließenden Zeit“ durch einen drei Meter langen und zwei Meter hohen Spiegel versperrt, denn die Diätkostfirma „du darfst“ nimmt sich hier fünf Tage lang Zeit für überfließendes Gewicht. Die Firma „du darfst“, deren Logo auf jungem Goudakäse, Konfitüreetiketten und Streichwurstdärmen prangt, und die ja mit den (von Ryan Paris' Achtzo-Hit „Dolce Vita“ gecoverten) Werbesongversen „Ich will so bleiben wie ich bin! – du darfst!“ und „Ich hab' ,du darfst‘ für mich entdeckt!“ stete Zuwächse verzeichnet, hat anläßlich ihres fünfundzwanzigsten Geburtstages eine neue Zielgruppe für sich entdeckt: den beleibten, mittelalten Mann.
1973 rückte der Halbfettmargarinefabrikant der „Freßwelle“ („du darfst“) der Nachkriegszeit zu Leibe und kam nach der „Einführung von Schmelzkäse“ (1975), der „Einführung von Schmelzkäse- Ecken“ (1983), „Schmelzkäse- Scheiben“ (1984) und „der Brühwurst“ (1988) zum Jubiläum auf die abgebrühte Idee mit der Zielgruppenerweiterung. Nun darf, passend zur aktuellen Werbung, der Mann für eine vorbeispazierende Blondine den Bauch einziehen. Frauen, die sich wie bisher in der Fernsehwerbung vor Glasobjekten und Supermarktschaufenstern rekelten, sind nicht gefragt, sondern deren gemütliche Hasis und Bärchen. Denn: „Jetzt ist Mann dran!“ lautet das Motto, unter dem die Firma bundesweit an öffentlichen Plätzen ihre Spiegelaktion startet. Daher werden die zielstrebig ins Pilsstübchen Steuernden vom freundlichen „du darfst“-Team aufgefordert, sich in eindeutigen Posen vor dem Spiegel ablichten zu lassen.
„Wieviel kostet das?“ fragt konsumkritisch ein gänzlich zielgruppenfremder weiblicher Teenager, der sich aus dem Hintergrund herausgelöst und den Aufbauten im Europacenter genähert hat. Das, lieber Teenager, kostet bloß ein bißchen Mut. Dafür kann man aber auch einen „fetten Geldpreis“ von täglich 5.000 Mark gewinnen.
Der Zulauf von Zielgruppen- und anderweitigen posierwilligen Männern ist dennoch zunächst eher mager. Ein jüngerer Schnurrbartträger läßt sich schließlich breitschlagen; statt jedoch zu den eigens angebotenen gymnastischen Accessoires (pastellfarbene Hanteln, Hulareifen) zu greifen, öffnet er originellerweise drei Hemdknöpfe und entblößt für das Foto eine stark behaarte Brust. Boa! Tagesgewinner?
„Am späten Nachmittag machen meistens mehr mit“, verrät Stefanie G., die freundliche „du darfst“-Promoterin. „Manche Männer gehen einfach vorbei und sagen: 5.000 Mark? Brauch' ich nicht!“ Am Hamburger Hauptbahnhof hätten teilweise bis zu 60 Männer pro Stunde mitgemacht. Doch sei ihnen dort das ICE-Unglück von Eschede in die Quere gekommen: „Nichts wie weg!“ habe man gedacht, als sich eine Frau beim „du darfst“-Team erkundigte, ob ihr Mann in dem Unglückszug gesessen sei. Da habe man schnellstens mit der „du darfst“-Spiegelaktion an einen anderen Ort in der Innenstadt umziehen müssen, wo die Menschen dann auch sehr locker gewesen seien.
Heute findet übrigens die Endveranstaltung statt, bei der es unter anderem gelbe Krawatten (mit dem „du darfst“-Logo auf der Krawattenrückseite) zu gewinnen gibt und das Gewicht des bekannten Berliner Radiojournalisten Andreas Dorfmann zu erraten sein wird. Erst habe man überlegt, das Gewicht des Siegers als Gewinn in „du darfst“-Lebensmitteln aufzuwiegen. Diese Idee sei jedoch aus kühlungstechnischen Gründen verworfen worden.
Zudem, so die freundliche „du darfst“-Promoterin, sei es ja schließlich „kontraproduktiv“, wenn etwa ein besonders gewichtiger Mann besonders große Mengen von der schlankmachenden Kost erhielte. Monie Schmalz
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