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Oda Hassepaß vor ihrem Wahlkreisbüro in Berlin Foto: Wolfgang Borrs

Wahlwiederholung in BerlinNoch mal von vorn

Am 12. Februar wird in Berlin erneut gewählt. Eine Grüne will ihr Mandat verteidigen, eine SPD-Frau hat eigentlich andere Pläne. Unterwegs in der Hauptstadt.

D as Berliner Abgeordnetenhaus ist ein imposanter Bau aus dem späten 19. Jahrhundert, errichtet im Stil der italienischen Hochrenaissance. Wer es betritt, gelangt in ein hohes Foyer. Auf den Treppen führt ein langer roter Teppich in die oberen Etagen. Es ist ein geschichtsträchtiger Ort: Sitz des preußischen Landtags, Offizierskasino unter den Nazis, dann Sitz der ersten DDR-Regierung. Seit 1993 tagen hier die Abgeordneten des Parlaments der wiedervereinten Hauptstadt.

In Raum 376, einem langgezogenen Saal, kommen an einem Mittwochmorgen Ende Januar die Abgeordneten des Mobilitätsausschusses zusammen. Regierungskoalition und Opposition sitzen sich an zwei weißen Tischreihen gegenüber. Deckenlampen tauchen den Raum in gelbes Licht, manchmal hört man das Klappern von Kaffeetassen.

Rechts, bei der Regierungskoalition, sitzt eine Frau mit langem blonden Haar und tippt in ihr Notebook. Sie hat gerade die Eröffnungsfrage an die Senatorin gestellt, jetzt macht sie sich Notizen. Oda Hassepaß von den Grünen.

Hassepaß ist vergleichsweise neu hier. Bei der Wahl im September 2021 wurde sie direkt gewählt, setzte sich ganz knapp gegen Klaus Lederer, Spitzenkandidat der Berliner Linken und Kultursenator, durch. 30 Stimmen Vorsprung hatte sie, Lederer ließ nochmal nachzählen. Beim erneuten Zählgang waren es immer noch 24. Hassepaß hatte gewonnen.

Sie sei vor der Wahl belächelt worden, erzählt sie. „Man hat mich zur Kandidatur beglückwünscht, hat gesagt: ‚Toll, dass Du antrittst‘“. Eine echte Chance hätten ihr die wenigsten eingeräumt. Und sie selbst? „Ich bin eigentlich fest davon ausgegangen, dass es klappt“, sagt sie. „Ich hatte von den Begegnungen mit den Bürgerinnen und Bürgern auf der Straße ein gutes Gefühl.“

Die ersten Tage im Amt seien dann krass gewesen. Gleich nach der Wahl organisierte sie die Vorverhandlungen zum Koalitionsvertrag mit. „Zu Beginn war es, als ob man jeden Tag vom Zehn-Meter-Brett springen muss“, sagt sie. „Am Ende geht es nicht darum, ob man dabei besonders galant aussieht. Es geht darum, dass man springt.“

Sie musste ein Team aufbauen, ein Büro finden, die Abläufe des parlamentarischen Prozesses lernen. „Nach einem Jahr hatte ich das Gefühl, richtig drin zu sein“, sagt Hassepaß. „Und dann kam der neue Wahlkampf.“

Sie tritt jetzt wieder gegen Klaus Lederer an, den linken Partei-Promi. Gut möglich, dass diese Sitzung im Mobilitätsausschuss Hassepaß' letzte im Abgeordnetenhaus ist.

Lästern über die Chaos-Stadt

Fehlende Stimmzettel, zu wenig Wahlurnen, lange Schlangen vor den Wahllokalen: Am 26. September 2021 gab es viele Pannen. Damals wurde in Berlin nicht nur über die Kräfteverhältnisse im Abgeordnetenhaus und den Bezirksversammlungen abgestimmt, gleichzeitig war auch noch Bundestagswahl. Am Ende gab es so viele Unstimmigkeiten, dass das Berliner Verfassungsgericht im November 2022 entschied, die Wahlen zu wiederholen.

Der Termin für die Teilwiederholung der Bundestagswahl steht noch nicht fest, Abgeordnetenhaus und Bezirksversammlungen werden am 12. Februar erneut gewählt. Ob die Wahl dann tatsächlich rechtmäßig ist, ist eine andere Frage, aber dazu später mehr.

Maja Lasić beim Wahlkampf fürs Abgeordnetenhaus Foto: Wolfgang Borrs

Etwa 39 Millionen Euro wird die Wiederholung kosten. Seitdem wird wieder über die Chaos-Stadt Berlin gelästert. Und es wird über die Auswirkungen spekuliert, die diese Pannen auf das Vertrauen in die Demokratie haben könnten.

Bei knappen Wahlergebnissen können alle möglichen Faktoren darüber entscheiden, wer regiert und wer in der Opposition landet, wer ein Mandat erhält und fortan Berufspolitiker ist, wer in seinem bisherigen Beruf weitermacht. Ob eine Partei auf Bundesebene im Aufwind oder beim Absteigen ist, spielt hinein. Aber auch das Wetter am Wahltag beeinflusst, ob mehr oder weniger Bürger den Weg in die Wahlkabinen finden. Die Ergebnisse der Wiederholungswahl werden deshalb auch etwas über den Faktor Zufall erzählen, der jedes Wahlergebnis mit prägt.

Doch was bedeutet die Wiederholung für die Abgeordneten? Für Po­li­ti­ke­r:in­nen wie Oda Hassepaß, die sich knapp einen Platz erkämpft haben und nun um den Wiedereinzug bangen müssen? Die noch neu sind auf der politischen Bühne, ihr bisheriges Berufsleben dafür aufgegeben haben und wenig Zeit hatten, sich zu beweisen?

Die Regeln der Berliner Wahlwiederholung bringen einige Kuriositäten hervor. Wer sich mit den Kandidierenden befasst, trifft auf Menschen, die antreten, obwohl sie längst andere Pläne haben. Auf Politiker:innen, die für Parteien auf der Liste stehen, in denen sie längst nicht mehr Mitglied sind. Und die dennoch für sie kandidieren – weil sie nicht als fraktionslose Kandidatinnen oder für eine andere Partei antreten dürften.

Das Wahlkreis-Büro von Oda Hassepaß liegt an einer großen Straße unweit vom S-Bahnhof Pankow. Ein schöner, heller Raum, sie teilt ihn sich mit einem Parteikollegen aus dem Bundestag und dem Grünen Kreisverband Pankow. Es ist Freitag, zwei Tage nach der Sitzung im Mobilitätsausschuss.

Ihr neuer Job als Abgeordnete sei eine Umstellung gewesen, sagt Hassepaß. Drei Tage die Woche sitze sie jetzt im Abgeordnetenhaus, die anderen zwei im Büro oder Homeoffice. Im Wahlkampf sei sie auch viel draußen unterwegs, treffe Bürger:innen. Die Arbeitstage seien lang, die Wochenenden mit Veranstaltungen gefüllt.

Hassepaß wurde 1974 in Hamburg geboren, studierte Wirtschaftswissenschaften in Oldenburg, 2000 kam sie nach Berlin, arbeitete für verschiedene Unternehmen in der Medienbranche, darunter ein Verlag für Comics und Kinderzeitschriften.

Bevor sie ins Abgeordnetenhaus gewählt wurde, leitete sie die Kundenkommunikation der Wochenzeitung Der Freitag. Es sei gut und schön, über Politik zu lesen, habe sie irgendwann gedacht. Aber besser sei es, selbst aktiv zu werden.

Politisch involviert war sie schon länger. Hassepaß war stellvertretende Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Mobilität der Grünen. Seit 2020 organisiert sie die Online-Konferenz „Frauen machen Mobilität“ mit. Es sind die Themen, auf die sie immer wieder zu sprechen kommt: Verkehrswende, Mobilität, der Schutz der Schwachen im Straßenverkehr.

Hassepaß war auch Sprecherin der Initiative „Stadt für Menschen“. 2018 ließ das Bündnis einen Bereich der Berliner Friedrichstraße für den Autoverkehr sperren. Wo man mehr bewirken könne, auf der Straße oder im Parlament? „Alle Ebenen müssen zusammenspielen“, sagt sie. „Aktivist:innen auf der Straße müssen Druck machen, damit in der Politik noch mehr passiert. Andererseits braucht es Ak­ti­vis­t:in­nen auch im Abgeordnetenhaus. Menschen, die für das brennen, was sie tun.“

Es habe sie überrascht, wie schnell man Ideen auch im Abgeordnetenhaus einbringen könne. Dann erzählt sie aber auch von großen und kleinen Irritationen. Von mangelnden Absprachen zwischen den Koalitionspartnern. Oder davon, dass man angehalten sei, eigentlich vernünftigen Anträgen der Opposition nicht zuzustimmen – eben weil sie von der Opposition kommen. In diesen Momenten scheint es, zwickt es hier und da noch ein wenig, ihr neues Leben als Parlamentarierin.

„Manchmal habe ich das Gefühl, es wird erwartet, dass man in der Politik generell skeptischer unterwegs sein und sein Menschenbild überarbeiten muss“, sagt Hassepaß. „Und ich bin mir nicht sicher, wie weit ich das will.“

Hat die Unsicherheit, ob es nach anderthalb Jahren weitergehe, ihren Politikstil beeinflusst? „Nein“, sagt Hassepaß. „Wenn ich mir die Frage der Dauer gestellt hätte, hätte das verhindert, dass ich Sachen richtig angehen und umsetzen kann. Ich hätte mich ausgebremst.“

Wütend war sie nicht, als klar wurde, dass die Wahl wiederholt werden muss. „Nein, ich dachte: Okay, mach ich’s noch mal.“

Erst nach und nach sei Hassepaß klar geworden, was an der Wiederholung alles dran hängt: Die Menschen aus dem Wahlkreis, die Geld gespendet hatten, die Freunde, die Flyer und das Plakat entworfen hatten. „Da fragt man sich schon: ‚Warum sollte jemand, der damals quasi umsonst gespendet hat, jetzt nochmal spenden?‘“ Die Spendenbereitschaft sei jetzt in der Tat etwas geringer. Die Einsatzbereitschaft ihres Teams hingegen sei „ungebremst hoch“.

„Meine Mit­ar­bei­te­r:in­nen im Abgeordnetenhaus sind guter Dinge, dass wir auch nach der Wahl zusammen weitermachen können“, sagt Hassepaß. Aber sie seien natürlich schon mit der Erwartung eingestiegen, diesen Job fünf Jahre machen zu können. Hassepaß sagt, sie spüre eine „enorme soziale Verantwortung“.

Auch die Unsicherheit, schon nach anderthalb Jahren nicht zu wissen, wie es weitergeht, gehört zu den Besonderheiten der Wahlwiederholung. Thorsten Faas ist Professor und Leiter der Arbeitsstelle „Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland“ an der Freien Universität Berlin, er forscht seit Jahren zum Thema Wahlen. „Die Wiederholung der Berlin-Wahl ist ein absoluter Präzedenzfall“, sagt er. Zwar habe es in Hamburg 1993 bei der Wahl zur Bürgerschaft ebenfalls Unstimmigkeiten gegeben. Dort hatte sich die Bürgerschaft dann allerdings aufgelöst. Es war deshalb eher eine vorgezogene Neuwahl als eine Wahlwiederholung.

De facto müsse man auch in Berlin von einer Neuwahl sprechen, sagt Faas. Schließlich werde ja nicht nur punktuell wiederholt gewählt. Jedoch: „Die Wählerinnen und Wähler können zwar neu abstimmen“, sagt Faas. „Das Angebot aber bleibt gleich.“

Heißt: Die Parteien dürfen keine neuen Kandidierenden aufstellen, treten also mit den selben Personen an. Auch wenn die mitunter inzwischen andere Pläne haben – so wie Maja Lasić.

Ein grimmiggrauer Samstag Ende Januar, zehn Uhr morgens. Maja Lasić baut ihren Wahlstand vor der Karstadt-Filiale im Ortsteil Wedding auf. Sie faltet den grauen Aluminiumtisch auseinander, nimmt einen Stapel Flyer und ein paar Kugelschreiber aus dem roten Bollerwagen, verteilt alles auf dem Tisch. Dann ballt sie eine Hand zur Faust, pustet darauf. „Das wird sooo kalt heute“, sagt sie.

Die nächsten zwei Stunden wird Lasić, SPD-Direktkandidatin für Wahlkreis Mitte 7, die paar Meter an der Kreuzung vor dem Kaufhaus auf und ab gehen. Sie wird Pas­san­t:in­nen begrüßen, wird sie fragen, ob sie ihnen ein paar Informationen zur Wahl mitgeben kann. Die meisten werden ablehnen, mal freundlich, mal mürrisch. Lasić wird es mit einem Lächeln tragen. „Trotzdem einen schönen Tag“, wird sie sagen. „Und vergessen Sie nicht, am 12. Februar wählen zu gehen.“

Unter den wenigen Menschen, die stehenbleiben, ist eine Rentnerin, knapp über 80. „Wissen Sie“, sagt die Frau, „da drüben auf dem Rathausplatz, da gibt es nicht genügend Papierkörbe. Und die, die es gibt, werden nicht oft genug geleert.“

„Ich weiß, das höre ich oft“, sagt Lasić.

„Und dann hängen da immer so viele Menschen rum. Ob Flüchtlinge oder nicht, aber es muss doch sauber sein.“

„Was wir schaffen müssen, ist, dass die Menschen wieder miteinander ins Gespräch kommen“, antwortet Lasić

Die Frau nickt, dann verabschiedet sie sich. Sie werde Lasić wählen, sagt sie noch, bevor sie im Karstadt verschwindet. Sie wähle schließlich immer SPD.

Was sie nicht weiß: Maja Lasić tritt zwar als Direktkandidatin an. Sollte sie gewählt werden, wird sie das Mandat allerdings nicht annehmen. Lasić ist seit vergangenem Oktober im Bezirk Mitte Bezirksstadträtin für Schule und Sport. Und sie will das auch bleiben.

Auch wenn das Wahlrecht vorschreibt, mit exakt den selben Kan­di­da­t:in­nen anzutreten, einige Veränderungen gibt es doch: Menschen, die aus Berlin weggezogen, verstorben oder von ihrer Kandidatur zurückgetreten sind, stehen nicht mehr auf der Kandidat:innenen-Liste. 25 dieser Fälle gibt es auf Landesebene, ein paar weitere auf Ebene der Bezirke. Maja Lasić gehört nicht dazu. Sie möchte einfach nicht zurück ins Abgeordnetenhaus. Darauf nimmt das Wahlrecht aber keine Rücksicht.

12 Uhr, der Wahlstand ist inzwischen abgebaut, Lasić trinkt einen Kaffee im Karstadt-Restaurant. Die 43-Jährige spricht schnell und energisch, hängt oft ein kurzes Lachen an das Ende ihrer Sätze.

Wie fühlt es sich an, Wahlkampf zu machen, obwohl man weiß, dass man das Mandat nicht antreten wird? „Ich mache Zweitstimmen-Wahlkampf“, sagt Lasić. „Ich rücke die Politik der SPD in den Vordergrund, nehme mich selbst dabei zurück.“

Lasićs Biografie ist voller Wendepunkte. Mit 14 flieht sie vor dem Krieg aus dem heutigen Bosnien-Herzegowina nach Deutschland. Sie studiert Biologie und Chemie, promoviert, arbeitet später für ein Pharma-Unternehmen. Dann wechselt sie die Richtung. Mit der Initiative „Teach First“ geht sie an eine sogenannte Brennpunktschule im Wedding, unterstützt benachteiligte Schüler:innen, später übernimmt sie unter anderem die Akquise für diese Initiative. In dieser Zeit beginnt sie auch, als Mitarbeiterin des SPD-Bundestagsabgeordneten Josip Juratovic zu arbeiten. „Es waren meine ersten Erfahrungen mit dem Apparat“, sagt sie.

2016 kandidiert Lasić für das Abgeordnetenhaus, zieht mit einem Direktmandat ein. Sie wird bildungspolitische Sprecherin, macht sich mit ihrem Engagement für Schulen in schwierigen Gegenden einen Namen. Sie ist gut vernetzt, in den Zeitungen erscheinen Portraits von ihr.

Dennoch schafft sie den Wiedereinzug 2021 nicht. „Hart“ sei das gewesen. „Es fühlt sich nicht gut an, mitten in der Aufgabe abbrechen zu müssen.“

Lasić entschließt sich zu einem ungewöhnlichen Schritt. Sie geht zurück an die Schule, wird Lehrerin im Wedding, unterrichtet Kinder in Biologie und Chemie.

Doch dann kehrt die Politik in ihr Leben zurück. Der Bezirksbürgermeister von Mitte wird im September 2022 abgewählt. Auf ihn folgt die damalige Schulstadträtin des Bezirks. Deren Stelle ist damit frei. Lasić wird ihre Nachfolgerin.

„Als Bezirksstadträtin bin ich Teil der Exekutive, kann Dinge direkt gestalten“, sagt sie. „Und dieses direkte Gestalten hat nach wie vor einen besonderen Reiz.“

Lasićs neuer Arbeitsplatz ist das Rathaus Mitte, ein karger, graublauer Neunzigerjahre-Bau, der unweit der Karl-Marx-Allee im Osten der Hauptstadt in den Himmel ragt.

Ein Donnerstag Ende Januar. In einem quadratischen Saal trifft sich die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Mitte. Es ist 17:30 Uhr. Stühle stehen überall im Raum, sie sind bis auf den letzten Platz besetzt. Die meisten Menschen sind leger gekleidet, in Pullover und Jeans. Ein Murmeln ist zu hören, hier und da auch ein Lachen. Die Stimmung ist entspannter als im Abgeordnetenhaus, es geht weniger förmlich zu.

Fünf Blätter umfasst die Liste mit den Tagungsordnungspunkten. Zu den Themen gehören „Café Leo vollständig erhalten“, „Schlossplatz begrünen“ oder „Kein Parken mehr auf der Swinemünder Brücke“.

Lasić, ganz in Schwarz, sitzt am Kopf eines Tisches, in einer Reihe mit den anderen vier Be­zirks­stadt­rä­t:in­nen und der Bezirksbürgermeisterin. Nach drei Stunden tritt sie das erste Mal ans Mikro, um sich auf eine Anfrage zu äußern. Es geht um ein Eisstadion im Bezirk, es musste aufgrund eines Schadens für das Publikum geschlossen werden. Lasić sagt, sie werde sich darum kümmern. Keine zwei Minuten dauert ihr Redebeitrag, dann nimmt sie wieder Platz. Um 23 Uhr ist die Sitzung zu Ende. Ein ganz normaler Arbeitstag.

Wie unterscheidet sich der Alltag einer Bezirksstadträtin von dem einer Parlamentarierin im Abgeordnetenhaus? Sie müsse jetzt eine ganze Behörde steuern, sagt Lasić, und das im unterbesetzten Schulbereich. „Das nimmt viel Zeit in Anspruch und ist meine zentrale Anforderung.“ Der Rest sei annähernd gleich: der regelmäßige Austausch in den Ausschüssen, der Kontakt zu den Bürger:innen.

Pragmatischer Umgang mit der Wiederholung

Lasić glaubt nicht, dass es für die Menschen verwirrend sein könnte, wenn sie für das Abgeordnetenhaus kandidiert, aber im Bezirk bleiben will. „Ich bin da sehr transparent und sage, dass ich Stadträtin bleiben will. Für die meisten Leute spielt es keine Rolle, ob ich im Abgeordnetenhaus oder im Bezirksamt sitze. Denen geht es nur darum, dass ich für sie da bin.“ Wenn sie gewählt werden sollte, sagt Lasić, will sie ihren Platz an den Nächsten in der SPD-Bezirksliste abgeben.

Und ja, sie würde ihren Umgang mit der Wahlwiederholung als pragmatisch beschreiben.

Dabei gibt es bei der Wiederholung noch außergewöhnlichere Fälle als ihren: Da sind etwa die zwei Kandidatinnen, die im September 2021 für die Grünen antraten, inzwischen aber aus der Partei ausgetreten sind. Auf den neuen Wahlzetteln tauchen sie dennoch als Grünen-Kandidatinnen auf. Die Partei kann sie nicht von der Liste streichen lassen. Und für sie selbst ist eine Kandidatur als Grüne die einzige Chance auf einen Platz im Parlament.

Bleibt die Frage, ob das Vertrauen in die Demokratie da nicht doch leidet.

Oda Hassepaß glaubt das nicht. „Man kann ja auch sagen: ‚Schaut, das Thema Wahlen wird so ernst genommen, dass man es noch einmal prüfen lässt.‘“

Auch Maja Lasić glaubt nicht, dass die Demokratie insgesamt dadurch Schaden nimmt. „Ich glaube eher, dass es sich in das Bild einer dysfunktionalen Haupstadt einfügt“, sagt sie. „Eben jenes Bild, dem wir kontinuierlich gegensteuern wollen. Die Wahlwiederholung tut uns da keinen Gefallen.“

Wahlforscher Thorsten Faas sagt: „Dass die Wahl wiederholt werden muss, ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die sagen, dass man dem System nicht trauen kann.“ Eine Wahl zu wiederholen heiße ja auch, dass am Ende andere Ergebnisse und Machtverhältnisse stehen könnten. „Wenn jemand 2021 für eine Partei oder Person gestimmt hat, die 2021 gewonnen hat, dieses Jahr aber nicht wieder ins Amt gewählt wird, fühlt derjenige sich eventuell unfair behandelt“, sagt Faas. „Vor allem, wenn er damals in einem Wahllokal, in dem es wenige Fehler gab, oder per Briefwahl abgestimmt hat.“

Es ist auch immer noch nicht hundertprozentig klar, ob die Wahl dieses Mal gilt. 43 Ber­li­ne­r:in­nen haben vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Beschwerde eingereicht. Entsprechende Eil-Anträge, die Wiederholung noch vor dem 12. Februar zu stoppen, lehnten die Richter am 31. Januar ab. Die Grundsatzentscheidung, ob die Wahl verfassungsgemäß ist, steht aber noch aus.

„Man kann daran sehr deutlich das Dilemma dieser Wahl sehen“, sagt Faas. „Lässt man sie stattfinden und kommt später zu dem Ergebnis, dass sie nicht hätte stattfinden dürfen, wäre das ein Problem.“ Man könne nur hoffen, dass das alles eine Ausnahme bleibe.

Oda Hassepaß will auf jeden Fall in der Politik bleiben, auch wenn es mit ihrer Wiederwahl nicht klappt. „In der Verkehrspolitik gibt es genug zu tun“, sagt sie. „Da wird es auch an anderen Stellen Möglichkeiten geben, sich einzubringen.“

Maja Lasić sagt, wenn sie einmal nicht mehr als Stadträtin tätig sein würde, dann würde sie wieder als Lehrerin arbeiten. Das stehe für sie fest. „Wenn ich einem Schüler, der Schwierigkeiten hat, helfen kann, bekomme ich das strahlende Feedback direkt“, sagt sie. „In der Politik muss man sich selbst ins Bewusstsein rufen, dass man etwas Gutes getan hat.“

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