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Wahlverhalten von Migrant*innenFrüher rot, heute schwarz

Machten Zugezogene früher mehrheitlich ihr Kreuz bei der SPD, bevorzugen sie nun die CDU. Ist das ein langfristiger Trend?

„Wir schaffen das.“ Den Satz hat Merkel gesagt, Merkel ist in der CDU, also ist die CDU prima. Oder? Foto: Imago/Christian Ohde

Berlin taz | Menschen mit Migrationshintergrund wählen vornehmlich Parteien, die für sie politisch einstehen, sich um ihre Rechte kümmern und sie sozial wie wirtschaftlich einbinden. Soweit das Klischee. Aber da es bekanntlich oft anders kommt, als man denkt, ergibt sich beim Wahlverhalten von Menschen, die keinen eindeutig deutschen Hintergrund haben, mittlerweile ein überraschendes Bild. So bevorzugen Migrant*innen derzeit zwei Parteien, die sich nicht in jedem Fall als sonderlich migrationsfreundlich präsentiert haben: CDU und CSU. So hat es das jüngste Integrationsbarometer ergeben.

Danach sprechen sich über 43 Prozent der Befragten für eine der beiden Unionsparteien aus. Die SPD landet mit 25 Prozent auf Platz 2, es folgen die Linke und die Grünen mit jeweils rund 10 Prozent. Die FDP ist mit einem Zuspruch von knapp über 5 Prozent weniger beliebt.

Warum ist das so?

Darüber kann nur spekuliert werden. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftung für Integration und Migration, der die Studie erstellt hat, erfasst zwar die Daten, wertet sie aber nicht aus. Eine mögliche Erklärung könnte in einem kleinen, aber einprägsamen Satz liegen: „Wir schaffen das“. Gesagt im Sommer 2015 von Kanzlerin Angela Merkel. Der Satz ist wirkmächtig, bis heute: Deutschland nimmt Geflüchtete auf, behandelt sie weitgehend gut, schließt keine Grenzen. So sehen das viele Geflüchtete immer noch. Für sie ist und bleibt Merkel eine Heldin.

Der Satz ist zudem global nachhaltig. Selbst in Ländern wie Dschibuti, Indien, Myanmar und Kambodscha, die in der deutschen Presselandschaft nicht täglich präsent sind, hat „Wir schaffen das“ ein Bild von Deutschland als das migrationsfreundlichste Land auf der Welt produziert.

Normalisierungseffekt: Wir leben ein gewöhnliches Leben

Vielen der Zugezogenen – wie vielen Deutschen übrigens auch – sind die hiesig politische Lage und das deutsche Parteiensystem nicht bis in den letzten Winkelzug vertraut. Das aber wissen sie: Den Satz hat Merkel gesagt, Merkel ist in der CDU, also ist die CDU prima. Dass die Union mitnichten migrationsfreundlich, sondern eher migrationskritisch ist, dass Deutschland de facto die Grenzen dicht gemacht hat und durch den kürzlich wieder eingesetzten Familiennachzug für subsidiär geschützte Geflüchtete weit weniger Angehörige nach Deutschland kommen als gedacht, übersehen die jüngst Zugezogenen vielfach.

Unabhängig davon darf davon ausgegangen werden, dass Parteienvorlieben nicht nur unter Deutschen wechseln, sondern ebenso unter Menschen mit Migrationshintergrund. So haben die schon länger hier lebenden türkischstämmigen Menschen, die die größte Gruppe der Zuwander*innen ausmachen, jahrzehntelang mehrheitlich sozialdemokratisch gewählt. Dass sie jetzt verstärkt auf die Union umschwenken, kann man einerseits als Normalisierungseffekt lesen: Wir sind in Deutschland – mehr oder weniger – angekommen, wir leben hier ein gewöhnliches Leben, warum sollten wir nicht so wählen wie die meisten Deutschen? Andererseits schwindet die Bindung der Menschen mit türkischen Hintergrund an die SPD bereits seit 15 Jahren, die Sozialdemokrat*innen können ihre Politik auch Menschen mit türkischem Hintergrund nicht mehr klar genug vermitteln.

Möglicherweise handelt es sich beim migrantischen Zuspruch zur Union aber auch nur um einen kurzzeitigen Schwenk. Migrationsexpert*innen jedenfalls sprechen nicht von neuen manifesten politischen Orientierungen, sondern eher von „erodierenden Bindungen“. Und die können auch wieder festgezurrt werden.

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13 Kommentare

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  • Es ist bekannt, dass wegen (über)Anpassungsstreben Einwanderer stetig Legitimusvorliebe zeigen, so lange sie nicht von der Regierung grob angegriffen sind. Sie wagen sich nicht abzuheben. Das hat mit Konservatismus kaum zu tun. Hätten wir eine Linke oder SPD Kanzler(in), würden sie mehrheitlich so wählen. Die starke Rede Angela Merkels vor dem Bundestag "Juden und Muslime gehören genauso wie Christen und Atheisten zu unserer Gesellschaft, in unsere Schulen, in unsere Parteien, in unser gesellschaftliches Leben" hat wohl dazu beigetragen hat, die auschliessende Thesen Horst Seehofers zu kontern.

  • Der Trend wird sich umkehren, wenn im Zuge des Brexit 10.000 Banker nach Frankfurt kommen.

    • @EricB:

      Der Brexit hat weder etwas mit der CDU noch der SPD zu tun. Es werden vielleicht sogar 10.000 Banker nach Frankfurt kommen, in Kontinentaleuropa wird Frankfurt die erste Adresse sein. Es gibt aber in größerem Umfang Entlassungen der deutschen Banken, die Deutsche Bank wird mindestens 7.000 Stellen streichen, eher 9.000. Die Commerzbank hat den Abbau von 9.600 Stellen beschlossen, eine Fusion würde noch ein paar Tausend treffen, vor allem in Frankfurt.

    • @EricB:

      Die Banker sind MigrantInnen?

  • Es kommen schon noch die Zeiten in denen Migranten die AFD wählen. Einfach weil sie keine neuen Migranten wollen, mit denen sie in einen Topf geworfen werden und von denen sie vermuten, dass sie ihren eigenen Wohlstand gefährden. Es gibt ja auch schon Juden in der AFD. Wieso auch nicht? Wenn man sich sicher ist, dass der Rassismus einen nicht selber trifft.



    Im übrigen sind Migranten vielleicht einfach grundsätzlich konservativ, vielleicht neigen sie auch einfach zur stärksten Partei, weil sich das so gehört. Und wen soll man auch sonst wählen? Eine kapitalismuskritische Umweltpartei, eine ideologische Klienteltruppe, eine im freien Fall befindliche sozialere Mitte- Partei, oder linke Umverteilungsfreunde? Nein, Migranten sind hart und häufig selbstständig arbeitende Leute mit viel Stolz und klassischen konservativen Werten. CDU und CSU sind da eine ganz natürliche Wahl.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Was sind denn klassische konservative Werte? Gegen die Gleichstellung von Frau und Mann, gegen Partizipation möglichst vieler Menschen, gegen eine ordentliche Unterstützung der Schwachen, für eine starke Stellung der Kirche und für entfesselte Finanzmärkte? Ja, die muss man unbedingt wählen.

    • @Benedikt Bräutigam:

      In Österreich wählen viele Migranten mit Staatsbürgerschaft die FPÖ. Osteuropäer und Türken denken rassistisch, auch wenn sie selbst betroffen sind. Die FPÖ steht ihnen emotionell näher als die Schwulen- und Bankerfreunde mit ihrer ewigen Frauengleichstellungsagenda ohne Ergebnisse.

  • es liegt wohl nicht so sehr am "wir schaffen das" als am zunehmend kaum noch zu ertragendem Paternalismus bei den linken Parteien. Besondere Rücksichtname und positive Betonung der Migrationsherkunft gehen mir als Migrant schon auf den Senkel. Auf der anderen Seite wird hier im Artikel das oft massiv konservativere Weltbild Zugezogener unterschlagen, denen der Friede-Freude-LGBT-Kuchen nicht mundet. Aber was nicht sein darf, kann offenbar nicht sein.

  • Es werden diejenigen gewählt, die die Geldtöpfe groß machen und offen halten.

  • Die Erklärung ist für mich doch zu kurz gegriffen und kann schon deshalb nicht ganz stimmen, weil viele Migranten den Flüchtlingszustrom ganz besonders kritisch sehen. Das hat etwas mit dem von Enzensberger beschriebenen Zugabteil-Effekt zu tun. Ich glaube, dass es damit zu tun hat, dass viele Migranten aus kleinen Gemeinden stammen, in intakten Familienstrukturen leben, überdurchschnittlich religiös sind, die Grundsätze der Meritokratie verinnerlicht haben und damit dem entsprechen, was man sich sonst unter Bayern oder dem Emsland vorstellt. Sie sind also naturgemäß wertkonservativ eingestellt. Bislang wurde das beim Wahlverhalten dadurch überlagert, dass ein Biodeutschen-Bier-Schützenvereins-Partei wie die CDU einfach für sie über Jahrzehnte nicht wählbar war. Das hat sich nun offenbar geändert.

  • Das ist mit "Man tritt nach unten." zu erklären.

  • Was ist denn das für ein Artikel? Wen hat das Integrationsbarometer gefragt? Deutsche mit Migrationshintergrund oder Migrant*innen? Also Leute, die wahlberechtigt sind oder auch Leute, die nicht wahlberechtigt sind? Wonach hat das Barometer gefragt? Wie war die Fragestellung?

  • Die meisten Menschen mit Migrationsgrund wählen die Union sicherlich nicht wg. "wir schaffen das", denn für sie ist vordergründig die Zuwanderung v.a. die ökonomische Konkurrenz. Nein, sie wählen schwarz v.a. deswegen, weil die SPD in sozialer Hinsichts abgewirtschaftet hat und ihnen nichts zu bieten hat.