Wahlstreit in Elfenbeinküste: Staat außer Kontrolle
Proteste weiten sich aus. Präsident Gbagbo will Regierung und Wahlkommission auflösen. Rebellen rufen zur "Ruhe" und schauen zu, wie dem Staat die Kontrolle entgleitet.
BERLIN taz | Die Proteste in der Elfenbeinküste gegen die Auflösung von Regierung und Wahlkommission durch Präsident Laurent Gbagbo weiten sich aus und ergreifen allmählich das ganze Land. Am Donnerstag brannten Barrikaden in Bouaké, der größten Stadt der von Rebellen kontrollierten Nordhälfte des Landes, wo ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen zu Demonstrationen gegen Gbagbo aufgerufen hatte.
In den nahgelegenen Orten Sakassou und Béoumi kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. In der Wirtschaftsmetropole Abidjan im von Gbagbo kontrollierten Südteil kam es zu vereinzelten Gewaltakten; ein massives Polizeiaufgebot verhinderte größere Demonstrationen der zivilen Opposition.
Die zivile ivorische Opposition hatte am vergangenen Wochenende erklärt, sie erkenne Gbagbo nicht mehr als Staatschef an, und rief die Bevölkerung dazu auf, "sich mit allen Mitteln dieser Diktatur entgegenzustellen". Auf den Straßen ihrer Hochburgen brannten Barrikaden, Polizisten schossen mit Tränengas und scharfer Munition.
Die Elfenbeinküste ist seit 2002 zwischen einem von Präsident Laurent Gbagbo regierten Süden und einem von Rebellen kontrollierten Norden geteilt. Ein Friedensabkommen machte im Jahr 2007 Rebellenführer Guillaume Soro zum Premierminister einer Allparteienregierung unter Präsident Gbagbo; sie sollte freie Wahlen vorbereiten.
Aber am 12. Februar löste Gbagbo die Regierung und die Wahlkommission per Fernsehansprache auf. Hintergrund war ein Streit übe die Kompetenzen der Wahlkommission bei der Erstellung des Wahlregisters. Gbagbos Anhänger haben juristische Schritte gegen die Wahlkommission eingeleitet, weil sie 429.030 Wähler strittiger Nationalität im Eilverfahren in die Wahllisten eintragen lassen wollte.
In der Elfenbeinküste sind bis zu einem Drittel der rund 21 Millionen Einwohner "ausländischer" Abstammung, das heißt, ihre Vorfahren kamen vor der Unabhängigkeit des Landes 1960 aus anderen Teilen Französisch-Westafrikas, die heute eigene Staaten sind. Ob diese Menschen heute "Ivorer" sind oder nicht, ist bis heute unter den politischen Kräften des Landes umstritten und hat bis jetzt verhindert, dass in der Elfenbeinküste freie Wahlen unter gleichen Bedingungen für alle Bevölkerungsteile stattfinden. Das war einer der Auslöser für den Bürgerkrieg, der 2002 ausbrach, als Teile des Militärs meuterten, eine Rebellenbewegung gründeten und den Norden des Landes unter ihre Kontrolle brachten.
Der letzte Wahltermin 29. November 2009 war bereits ersatzlos verschoben; nun, mit der Auflösung von Regierung und Wahlkommission, ist auch der informelle nächste Wahltermin Anfang März nicht mehr zu halten.
Die Zeitung Soir Info berichtete, die Auflösung der Regierung sei mit Premierminister Soro sowie dem internationalen Elfenbeinküste-Vermittler, Burkina Fasos Präsident Blaise Compaoré, abgesprochen. Gbagbo wolle die Wahlen nun ohne die zivile Opposition vorbereiten. In seiner Fernsehansprache hatte Gbagbo erklärt, er wolle "eine Regierung im Dienst der Ivorer und nicht unter dem Kommando der politischen Parteien". Für diese Variante spricht, dass Premierminister Soro im Amt geblieben ist. Soro, so wird spekuliert, sehe die neue Krise als Chance, sich selbst als Retter des Friedensprozesses zu profilieren.
Doch Soros Gespräche zur Bildung einer neuen Regierung sind bislang ergebnislos geblieben. Die zivile Opposition verlangt die Wiedereinsetzung der Wahlkommission als Vorbedingung für ihren Eintritt in eine neues Allparteienkabinett. Gerüchte über einen möglichen Militärputsch machen derweil die Runde, und es hat Krisentreffen der hohen Generäle gegeben.
Damit entgleitet dem Staatszunehmend die ohnehin oberflächliche Kontrolle über das Land. Im Rebellengebiet wurde die staatliche Verwaltung erst vor kurzem offiziell wiederhergestellt, und sie hat die Hoheit über die Staatseinnahmen dort noch nicht wiedererlangt. Im Schatten der neuen Krise sind die Rebellen nun zwar nicht wieder militärisch in Aktion getreten; in einer Erklärung am 16. Februar stellten sie sich vielmehr hinter die geltenden, von Gbagbo gebrochenen Friedensverträge und riefen zu "Ruhe und Gelassenheit" auf. Aber sie lassen zu, dass zivile Demonstranten in Teilen ihres Gebietes die Verwaltung lahmlegen.
Am stärksten sind die Aufmärsche der zivilen Opposition im Osten des Landes nahe der Grenze zu Ghana, ein eigentlich der Gbagbo-Landeshälfte zugehöriges Gebiet. Dort haben laut Presseberichten oppositionelle Jugendgruppen faktisch die Kontrolle über mehrere Ortschaften übernommen. Ab Samstag 20. Februar, so sagte der Präsident des Dachverbandes der oppositionellen Jugend RJDP (Sammlung der Jugend für Demokratie und Frieden), werde man "im ganzen Land reagieren".
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