Wahlsonntag in Polen: Mit Hund und Maske an die Urne
Bei der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl zeichnet sich eine hohe Beteiligung ab. In Warschau hoffe viele, dass der Oppositionskandidat gewinnt.
Ihr Mann Piotr, ebenfalls Innenarchitekt, nickt. „Schon vor zwei Wochen sind so viele Warschauer an die Urne gegangen, wie selten zuvor. Den meisten ist wohl klar, was auf dem Spiel steht.“ Der 62-Jährige will seiner Frau den Vortritt ins Wahllokal lassen, nimmt ihr die Leine ab und streichelt die Dogge beruhigend über den Kopf. Doch der Türsteher am Eingang des Wahllokals winkt beide herrein, deutet stumm auf die Mund-Nasen-Schutzmaske, die er selbst trägt, und auf die große Flasche mit Hand-Desinfektionsmittel. Die Nowackis ziehen ihre Anti-Corona-Masken auf. Dann verschwinden sie in dem großen Schulhaus.
Die Sonne scheint, dazu weht ein mildes Lüftchen: es ist ideales Wahlwetter. Rund 30 Millionen Polen und Polinnen sind aufgerufen, für einen der beiden Präsidentschaftskandidaten ihre Stimme abzugeben: für den amtierenden Präsidenten Andrzej Duda, der wie auch schon 2015 von der nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützt wird, oder für seinem Herausforderer, den Oberbürgermeister Warschaus Rafal Trzaskowski von der liberalkonservativen Oppositionspartei Bürgerplattform (PO).
Bis zum Mittag gaben 24,7 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab, wie die Wahlkommission am Sonntag in Warschau mitteilte. Das waren gut sieben Prozentpunkte mehr als zum gleichen Zeitpunkt bei der zweiten Runde der Präsidentenwahl 2015. Die Wahllokale sind noch bis 21 Uhr geöffnet.
Aus dem ersten Wahlgang mit noch elf Kandidaten am letzten Junisonntag ging Andrzej Duda mit 43,5 Prozent der Stimmen als Sieger hervor. Der Amtsinhaber verfehlte aber die 50-Prozent-Marke, so dass er in die Stichwahl musste. Rafal Trzaskowski war mit 30,5 Prozent auf Platz 2 gekommen. Er war erst im Mai als neuer Kandidat der PO nominiert worden.
PiS in Panik
Trzaskowski versuchte die verlorene Wahlkampfzeit mit einer Ochsentour durch möglichst viele Orte Polens aufzuholen, was ihm auch gut gelang. In den vergangenen zwei Wochen rückte er Andrej Duda so nah auf die Pelle, dass die PiS in Panik geriet und im Propagandasender TVP die üblichen Feinde aufmarschieren ließ: Deutsche, Russen, Ukrainer, Juden und „Polen der schlechtesten Sorte“.
„Ich habe noch nie einen so dreckigen Wahlkampf erlebt“, sagt der Taxifahrer Jerzy S., der vor einem anderen Warschauer Wahllokal ansteht. Er will seinen Namen auf keinen Fall in einer ausländischen Zeitung lesen. „Wenn man heute etwas gegen Duda oder die PiS sagt, gilt man doch gleich als Volksverräter. So wie früher im Kommunismus.“
Nervös tritt der schmächtige Mann von einem Fuss auf den anderen: „Mein Tochter lebt in Frankfurt. Sie hat einen Deutschen geheiratet. Und letztens sagte ein Experte in einem der PiS-Fernseh-Sender, dass man Deutschland alle 50 Jahre bombardieren sollte. Das hätte schon Churchill gefordert.“ Er stockt kurz, sieht sich um, ob jemand zuhört: „Ich will das nicht. Ich will endlich in Frieden mit allen leben.“
Er zieht sich Folienhandschuhe an. Gleich ist er an der Reihe. „Wir in Warschau werden die Wahl leider nicht entscheiden. Da mussten wir zuletzt viel Demut lernen. Die Dörfer sind uns zahlenmäßig einfach voraus. Und die wählen Duda und die PiS.“ Dann grinst er von einem Ohr zum anderen: „Aber wer weiß: jede Stimme zählt. Meine auch!“
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