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Wahlsieger Der Unternehmensberater Tobias Bergmann hat mit seiner Liste „Die Kammer sind wir“ einen erdrutschartigen Sieg bei den Hamburger Kammerwahlen errungen. Was hat er jetzt vor?„Veränderung ist immer mutig“

Interview Gernot Knödlerund Sven-Michael Veit

taz: Herr Bergmann, Sie haben mit der Handelskammer eine der altehrwürdigsten Hamburger Institutionen aufgemischt.

Tobias Bergmann: Nicht nur aufgemischt. Wir werden sie jetzt tiefgreifend verändern.

Hätten Sie gedacht, dass Sie derart weitreichend die Macht übernehmen würden?

Dass wir von 55 von 58 Mandaten bekommen, davon hätte ich nicht zu träumen gewagt. Ich war mir aber sicher, dass wir eine richtig gute Chance haben.

Wie erklären Sie das Ergebnis?

Nach der ersten Freude fragt man sich: Wie unzufrieden sind die Hamburger tatsächlich mit dieser Handelskammer? Die wurde ja richtig abgestraft. Ein Thema waren sicher die Zwangsbeiträge und dabei gar nicht mal deren Höhe. Der liberale Hamburger Kaufmann wird gezwungen, irgendwo Mitglied zu sein und dafür auch noch zu bezahlen. Das geht ihm gegen den Strich. Man könnte zwar mit ihm darüber reden, wenn man das gut begründet, wenn aber dem Hauptgeschäftsführer ein Jahresgehalt von 500.000 Euro bezahlt wird, hat sich jede weitere Diskussion erübrigt.

Unter diesen Hamburger Kaufleuten gibt es doch jede Menge Manager, die 500.000 und mehr kassieren im Jahr.

Wir haben 160.000 wahlberechtigte Kammermitglieder. Bei den allermeisten sieht das ganz anders aus. Der Hauptgeschäftsführer leitet eine Körperschaft öffentlichen Rechts, kein börsennotiertes Unternehmen.

Jetzt haben Sie das Sagen in einem Apparat mit hohem Eigengewicht. Fürchten Sie nicht, sich dabei zu übernehmen?

Ich bin als Berater immer vor genau diesen Problemen gestanden, etwa der Frage, wie reformiert man Gewerkschaften. Die berufen sich ja auch auf eine starke Tradition, stehen aber plötzliche vor Fragen der Individualisierung und Globalisierung.

Der Berater fliegt ein, verbreitet Angst und Schrecken und hinterlässt verbrannte Erde. Das können Sie ja nicht tun.

Das ist eine Vorstellung der taz. Meine Firma Nordlicht begleitet die IG Metall seit 2009. Wir haben dort ein Büro und sogar Leute angestellt. Wir sind da nicht ein- und wieder ausgeflogen, sondern wir begleiten die Organisation.

Werden Sie der neue Präses sein, der die Unternehmerschaft des 21. Jahrhunderts repräsentiert?

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse werde ich aller Voraussicht nach der Präses werden. Dann ist die zweite Frage: Repräsentiere ich die Hamburger Unternehmen?

… des 21. Jahrhunderts. Dass Sie das wollen, haben Sie uns in einem Interview vor zwei Jahren gesagt.

Die Haltung, mit der ich diese Funktion ausüben möchte, und wie ich diese Organisation Handelskammer führen will, passt schon ins 21. Jahrhundert.

Was macht diese Haltung aus?

Es geht um modernes Management. Ich habe die Handelskammer als stark hierarchische Organisation kennengelernt mit teilweise monarchischen Strukturen – alles ist bezogen auf die Spitze aus Hauptgeschäftsführer und Präses. Für eine Organisation im 21. Jahrhundert offenbart das ein völlig falsches Führungsverständnis.

Tobias Bergmann

45, ist Gründer und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Nordlicht Management Consultants mit 30 Mitarbeitern.

Ins Plenum der Handelskammer wurde er erstmals 2011 gewählt.

2014 trat er mit der oppositionellen Gruppierung „Die Kammer sind wir“ an, die auf Anhieb 13 Sitze errang.

Sie wollen die Mitgliedsbeiträge auf null setzen. Wie wollen Sie da die Aufgaben, die die Kammer ja hat, finanzieren?

Wir schaffen ein System von freiwilligen Mitgliedsbeiträgen. Dann kann sich ein Unternehmen zwischen einer Basismitgliedschaft und einer freiwilligen, beitragspflichtigen Premiummitgliedschaft entscheiden. Darüber werden wir Einnahmen generieren. Das andere sind die gesetzlichen Aufgaben wie das Ausstellen von Ursprungszeugnissen oder die duale Ausbildung. Da erhebt die Kammer ohnehin schon Gebühren.

Sie haben einen großen Personalstamm. Ist es nicht ein enormes Risiko, die Beitragszahlung freizustellen, bei weiter laufenden Kosten?

Veränderung ist immer mutig. Wir haben uns bis 2020 – ein komplette Amtsperiode – Zeit gegeben, das umzusetzen. Wahrscheinlich wird es weniger freiwillige Beiträge geben als es heute Zwangsbeiträge gibt, weil wir bestimmte Unternehmen – polnische Trockenbauer, die nichts mit Hamburg am Hut haben und heute 500 Euro bezahlen – nicht überzeugen werden.

Wie hoch ist der Jahresbeitrag, den ihre Firma Nordlicht bezahlt?

Einen vierstelligen Betrag.

Und wie viel würden Sie freiwillig bezahlen?

Jetzt ist die nächste Frage: Für welche Handelskammer bezahle ich?

Für die Bergmann-Handelskammer.

Für die Bergmann-Handelskammer kann ich mir das sehr gut vorstellen. Dazu gehört als Top-Thema die duale Ausbildung.

Aber dieses Feld beackert die Kammer ja längst.

Die Frage ist: Verwaltet sie’s oder gestaltet sie’s? Zum Beispiel beim Thema Digitalisierung: Wie kriegen wir junge Menschen dazu, dass sie nicht à la Drucker vor 30 Jahren Zeug lernen, das zehn Jahre später kein Mensch mehr braucht. Wir bilden im Einzelhandel noch Leute aus und können jetzt schon absehen, dass bei Aldi in zehn Jahren keiner mehr an der Kasse sitzt.

Bisher hat die Kammer große politische Planungskapazitäten vorgehalten. Was soll daraus werden?

Es wird immer gesagt: Der Bergmann will eine unpolitische Dienstleistungsorganisation. Das ist es nicht. Die Kammer hat als zweite zentrale Aufgabe die Gesamtinteressenvertretung der Wirtschaft.

Der Kammer sind dabei in jüngster Zeit vom Hamburger Verwaltungsgericht Zügel bei politischen Äußerungen angelegt worden.

Das glaube ich nicht. So wie sie ihre Aufgabe in der Vergangenheit wahrgenommen hat, hat sie Zügel angelegt bekommen. Ich sehe überhaupt keinen Maulkorb für den künftigen Präses.

Wie bereiten Sie sich vor, wenn Sie die nächste Silvesterrede vor der Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns halten sollen?

Wenn ich da eingeladen werde, werde ich nichts zum Auslands­einsatz der Bundeswehr in Afghanistan sagen. Wenn, dann habe ich ein Mandat, über Wirtschaftspolitik zu sprechen. Außerdem werde ich nicht polemisieren.

Können Sie sich zur Elbvertiefung äußern und in die Stadtentwicklung eingreifen?

Die Kammer hat ein sehr breites Spektrum, in dem sie sich äußern kann. Von der Elbvertiefung über Olympia bis zur Untertunnelung der vormaligen Ost-West-Straße kann man im Prinzip alles sagen.

Ein kritischer Punkt war das starke Engagement der Handelskammer gegen die Volksinitiative für den Rückkauf der Energienetze.

Der Netzrückkauf ist Wirtschaftspolitik. Da gab es Vattenfall als Netzbetreiber auf der einen Seite und viele kleine Unternehmen, die Energie abnehmen und einspeisen, auf der anderen Seite. Bei so einem Thema hat die Kammer die Pflicht, sich zu äußern. Dabei muss sie sich fragen: Wer von meinen Unternehmen ist von dieser Frage betroffen und in welcher Weise? Gibt es denn ein gemeinsames Interesse dieser Gruppen? Damit würde man dann in die Öffentlichkeit gehen.

Die Kammer hat in jüngerer Zeit das traditionelle Ritual der Morgensprache wieder aufleben lassen, um die Verbindung mit der Londoner Kaufmannschaft zu stärken: Bleibt es dabei?

Dafür so viel Geld zu verwenden, ist nicht passend. Die Morgensprache ist ein Zeichen für Eliten-Europa: Zahle 200 Euro und du bekommst guten Wein und darfst dir eine Rede über Weißgottwas anhören. Das ist ein falsches Symbol für Europa und ein völlig falsches Symbol für die Handelskammer.

Wie sieht es mit Veranstaltungen wie dem „China Summit“ aus?

Das ist eine wirtschaftspolitische Veranstaltung. Da hat die Kammer was sehr Wertvolles ini­tiiert. Das kann ich mir gut auch in Zukunft vorstellen, aber immer unter dem Vorbehalt: Ich kenne die Bücher nicht. Wir haben als allererstes die Aufgabe nachzuschauen, wofür die Zwangsbeiträge ausgegeben werden. Wir werden jeden Stein umdrehen.

Wie sieht die Handelskammer 2030 aus?

Die Handelskammer wird auch 2030 im Zentrum von Hamburg sein. Sie wird starker und einflussreicher Interessenvertreter der Hamburger Wirtschaft sein – nur wie sie diese Rolle wahrnimmt, wird sich komplett gewandelt haben. Wenn die Kammer so wie bisher weitermachen würde, wäre sie bis 2030 weg. Zum einen gibt es außerhalb von Hamburg die Diskussionen über die Zwangsmitgliedschaft. Irgendwann wird das kippen. Und dann schauen Sie sich diese mächtige Organisation heute an: Was hat sie denn durchgesetzt?

Olympia schon mal nicht.

Nach einigem Nachdenken krieg ich in Gesprächen gesagt: die S-Bahn zum Flughafen. Das zeigt jetzt nicht, dass sie die Stadt regieren würde.

Warum wollen sie dann unbedingt Chef dieses bedeutungslosen Haufens werden?

Es ist wichtig, dass es aus der Wirtschaft nicht eine Kakophonie von Stimmen gibt, sondern dass wir versuchen, die Dinge untereinander zu klären. Und erst wenn wir überhaupt nicht mehr weiterwissen, rufen wir nach dem Gesetzgeber. Was mir an der Kammer gefallen hat, als sie vor 352 Jahren gegründet wurde, ist, dass Kaufleute gesagt haben: „Wir nehmen unser Schicksal selbst in die Hand.“

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