Wahlkampf in Polen: So viele Frauen waren es noch nie
Fast alle Parteien treten bei der Parlamentswahl im Oktober mit einer Spitzenkandidatin an. Premier könnte wohl wieder eine Frau werden.
Begonnen hatte der rasante Aufstieg zahlreicher Polinnen in politische Spitzenämter, als Premier Donald Tusk EU-Ratspräsident wurde und alle bisherigen Ämter in Polen niederlegte. Anders als von vielen erwartet, trat nicht Radoslaw Sikorski, der damalige Außenminister Polens, die Nachfolge Tusks als Regierungschef an. Vielmehr übernahm Ewa Kopacz, die damalige Sejm-Marschallin (Präsidentin des Abgeordnetenhauses), die Regierungsgeschäfte. Vielen galt sie nur als Interimslösung bis zu den nächsten Wahlen. Kaum jemand traute Kopacz Führungsqualitäten zu, auch wenn das für Frauen in solchen Positionen übliche Attribut der „eisernen Lady“ wieder die Runde machte.
Obwohl in Polens Wahlgesetz eine Frauenquote von mindestens 30 Prozent auf den Wahllisten vorgesehen ist, führte dies in den letzten Jahren nicht zu einem signifikant höheren Anteil von Frauen im Parlament, da die aussichtsreichsten ersten Listenplätze fast immer Männern vorbehalten blieben.
In diesem Jahr ist alles anders. Nachdem Kopacz in den letzten Monaten etliche Politikerinnen in wichtige Positionen vorrücken ließ, wandelte sich auch in der Öffentlichkeit das Bild einer Frau in der Politik. Heute wirken eine Regierungschefin, Sejm-Marschallin, Ministerinnen, die Regierungssprecherin oder Spitzenkandidatinnen der diversen Partei fast schon wie selbstverständlich.
Ordinäre Ausdrucksweise
Dazu trugen auch die Abhörskandale bei, die zumeist Politikern der PO zum Verhängnis wurden. Nicht, weil diese Politiker etwas Illegales getan oder Staatsgeheimnisse ausgeplaudert hätten, sondern weil sie sich – im Glauben unbelauscht zu sein – so unfassbar ordinär, ja vulgär ausgedrückt hatten.
Peinlich wurde es insbesondere für den damaligen Außenminister Sikorski, der seinem Gesprächspartner bei einem exorbitant teuren Dienstessen einen Botschafterposten in Paris anbot und seine Einschätzung der außenpolitischen Situation Polens so zum Besten gab: „Das polnisch-amerikanische Bündnis ist nichts wert, totaler Bull- shit. […] Wir glauben, dass alles bestens ist, nur weil wir den Amerikanern einen geblasen haben.“
Auch der britische Premier Cameron kam bei Sikorski nicht übermäßig gut weg: „Er hat den EU-Fiskalpakt gefickt. Er kapiert einfach gar nichts!“ Bei den kommenden Parlamentswahlen will Sikorski, der inzwischen alle politischen Ämter niedergelegt hat, nicht mehr antreten. Ähnlich ging es auch anderen Politikern in Polen.
Für die Psychologin Hanna Bednarek aus Poznan/Posen hängt der Aufstieg der Politikerinnen in Polen mit der „schlechten Männerpolitik“ und deren „ewig gleichem Streit“ zusammen. Die Wähler und Wählerinnen haben die seit Jahren immer gleichen Politikergesichter satt. Sie sind bereit, auch ein Risiko einzugehen und eine bislang unbekannte Person zu wählen.
Überraschungssieger Andrzej Duda
Dies ist bei den Präsidentschaftswahlen im Mai diesen Jahres bereits geschehen. Völlig überraschend gewann Andrzej Duda, ein Hinterbänkler der PiS und politischer Nobody, die Wahl gegen den bisherigen Amtsinhaber Bronislaw Komorowski.
Dieser Trend könnte sich bei den Parlamentswahlen fortsetzen. Die Trumpfkarte der bisherigen Regierungschefin ist allerdings: Sie wurde nicht abgehört und ist in keinen Skandal verwickelt. Dies gilt für viele Politikerinnen ebenfalls.
Nicht so sehr hingegen für Politiker. So setzen inzwischen fast alle Parteien auf Spitzenkandidatinnen. Und Beata Szydlo mausert sich von der Landpomeranze mit dem griesgrämigen Leidensgesicht zu einem Bond-Girl mit Power-Attitüden. Zur Zeit braust sie mit einem vollklimatisierten Bus durch Polen und schüttelt möglichst vielen Wählerinnen die Hand.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!