Wahlkampf in Hamburg: Das soziale Gewissen der Stadt
Die Prognosen für Die Linke in Hamburg liegen bei bescheidenen 8 Prozent. Dabei hat die kleine Fraktion aus der Opposition einiges bewirkt.
Jetzt gerade am Sonntag wieder schickt Sozialpolitikerin Carola Ensslen eine Pressemitteilung darüber, dass Bewohner in Flüchtlingsunterkünften keine Privatsphäre haben, weil die Zimmer durch Mitarbeiter oder sogar einen Sicherheitsdienst jederzeit kontrolliert werden könnten. Nicht selten gibt es bei Meldungen dieser Art einen Tipp von Beschäftigten oder Ehrenamtlichen, denen die Linke als Sprachrohr dient.
In ähnlichen Fällen wandte sich die Linke dagegen, dass Security in Kinderschutzhäusern oder Jugendwohnungen eingesetzt werden. Oder dass Jugendliche, die schon über 18 sind, auf der Straße landen und keine Bleibe haben. Schon 2017 beantragten die Jugend- und Sozialpolitiker der Linken eine eigene separate Notschlafstelle für diese Gruppe, weil man sie nicht mit erwachsenen Obdachlosen zusammen unterbringen sollte. Erst jetzt in der heißen Phase des Wahlkampfs fällt den Grünen, die fünf Jahre mitregiert haben, ein, dass sie so eine Not-Einrichtung auch wollen – zumindest fordern sie dies jetzt öffentlich.
Auf einer Fachtagung im Herbst 2018 sprach eine Bezirksmitarbeiterin die taz auf die Not der jungen Leute an. Die Sozialarbeiterin war Mitglied bei den Grünen. Auf die Frage, ob ihre Partei nicht aktiv werden könne, sagte die Frau: Nee, da solle mal lieber die Linke eine Anfrage stellen.
Anträge erst abgelehnt, dann kopiert
Auch für alle Fachleute, die in der Schulpolitik weiter an die Idee einer „Schule für alle“ glauben, scheint die Linksfraktion das einzige Asyl. Der frühere Staatsrat der Grünen-Schulsenatorin Christa Goetsch, Ulrich Vieluf, schrieb jüngst für die Linke ein ganzes inklusives Schulgesetz, das nun zur Debatte steht.
„Es gibt zwei Versionen, wie wir die Stadt beeinflusst haben“, sagt Ronald Priess, Referent für Kinder- und Jugendpolitik. Einmal über das Mitorganisieren von Mehrheiten in der Stadt, wie bei der „Nolympia“-Bewegung, die eine kostspielige Bewerbung der Stadt für die Olympischen Spiele 2024 stoppte, oder den Volksinitiativen für mehr Kita-Personal und bessere Bedingungen in der Ganztagsschule. Zum anderen über parlamentarische Mittel wie die Einsetzung einer Enquetekommission zur Überprüfung der Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe.
„Anträge von uns werden oft abgelehnt, aber später dann doch von Rot-Grün umgesetzt“, sagt Priess. Zum Beispiel wurde ein Antrag zur Aufstockung des Personals bei den Jugendämtern um 100 Stellen abgelehnt. Später bewilligte der Senat 75 Stellen.
Die Beobachtung teilt auch Norbert Weber, ehemaliger Referent der Linken für Haushaltspolitik, der nun selbst für die Linke für die Bürgerschaft kandidiert. Als 2015 Tausende Schutzsuchende nach Hamburg kamen und der Bund sich an den Kosten mit einem dreistelligen Millionenbetrag beteiligte, drohte dieses Geld wegen der Schuldenbremse zur Begleichung von Altschulden im Haushalt zu verschwinden. „Wir haben beantragt, im Finanzrahmengesetz dafür einen Ausgabenkorridor zu schaffen und sind von Rot-Grün dafür ausgelacht worden“, erinnert Weber. Doch später habe der Senat genau das gemacht.
Auch Heike Sudmann, Abgeordnete für Stadtentwicklung und Verkehr, sagt, sie erlebe, dass ihre Ideen Anklang finden. Für ihr günstiges 365-Euro-Jahres-Ticket für Bus und Bahn hatte sie 2017 den ersten Vorschlag gemacht und 2018 einen Haushaltsantrag gestellt. Inzwischen steht das 365-Euro-Ticket im Wahlprogramm der CDU –und Rot-Grün führte es zumindest für Azubis ein.
Linke bei Kirche nicht eingeladen
„Ich will, das wir in den nächsten drei Wochen zweistellig werden“, sagt Sudmann. Denn es gebe sehr viel Arbeit. „Mit mehr Abgeordneten können wir die auf mehr Schultern verteilen.“ Sie erlebe an den Wahlständen, dass die Menschen häufig darüber reden, ob SPD-Mann Peter Tschentscher oder die Grüne Katharina Fegebank Bürgermeister werden. Auf diese ungewohnte Polarisierung führt sie die gesunkenen Umfragewerte der Linken zurück. Norbert Weber indes glaubt, dass die Linke „generell intensiver mobilisieren“ muss als andere.
Es gibt freilich auch noch andere mögliche Gründe: Anders als in Berlin oder Bremen steht eine Regierungsbeteiligung für die Linke in Hamburg nicht zur Diskussion – schon rein rechnerisch wird sie ja zurzeit dafür nicht gebraucht. Und es gibt immer noch oder wieder eine Ausgrenzung der Partei. So lud das Hamburger Abendblatt gerade erst zum Spitzenduell nur Tschentscher und Fegebank ein, und danach die Spitzenkandidaten von CDU und FDP als mögliche weitere Koalitionspartner. Die Linke fehlte.
Und auch das Erzbistum Hamburg lädt für Dienstag anlässlich der Wahl zu einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Suchet das Wohl der Stadt“ ein. Die Linke darf nicht mitsuchen. Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus nennt es eine „politische Entgleisung und Instinktlosigkeit“, sollte nun auch das Erzbistum nach dem Dammbruch von Thüringen die Linke mit der AfD gleichsetzten und die „Rhetorik der,politischen Ränder' bedienen“.
Die Hamburger Linke hat auf einem Parteitag beschlossen, wieder in die Opposition zu gehen und sich nicht für eine Regierungsbeteiligung zu bewerben. Auch das könnte Zustimmung kosten. Sie halte es für einen Fehler, sich von vornherein „aus dem Spiel zu nehmen“, hatte die Grüne Fegebank der Linken Boeddinghaus kürzlich im taz Salon zur Wahl vorgehalten. Worauf diese konterte, die Grünen signalisierten, dass sie lieber mit der FDP zusamme gehen würden, weil die „nicht so anstrengend“ sei.
Vornehme Zurückhaltung
„Ich wähle die Linke und schätze an ihr, dass es dort Leute gibt, die sich ernsthaft mit Dingen auseinandersetzen“, sagt zum Beispiel Aram Ockert, früherer Grüner und heute Politikkommentator für den Freitag. Doch die Linke übe eine Art vornehme Zurückhaltung. Wenn sie offen ließe, ob sie sich nach der Wahl an einer Regierung beteiligt, böte dies auch die Chance, SPD und Grüne inhaltlich in Schwierigkeiten zu bringen und für die Schwachen in der Stadt mehr zu erreichen.
Die Frage, ob es richtig sei, in der Opposition zu bleiben, wurde auch bei der Hamburger Linken kontrovers besprochen. Fragt man dazu einzelne Politiker, verweisen sie darauf, dass Grüne und die SPD in Hamburg konservativer seien als ihre Schwesterparteien in Bremen und Berlin, und daher die Anknüpfungspunkte fehlten für gemeinsame Projekte wie Mietendeckel oder die Bekämpfung der Kinderarmut. In der Tat findet man im Programm der SPD wenig Substanzielles zum Sozialen.
Sabine Boeddinghaus sagt, sie finde, dass „weder Regierung noch Opposition zu einem Selbstzweck werden dürfen“. Sie bekomme häufig aus der Zivilgesellschaft die Rückmeldung, dass die Linke in der Bürgerschaft eine wichtige Anlaufstelle sei. „Wenn der Platz frei wird, frage ich mich, wer füllt den aus?“
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